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Virtuelle GeschenkZeit

by dave posted on 10.10.2005 12:23 last modified 12.01.2006 12:43 —

Die Rechnung ist falsch und geht doch auf – Vorsicht Zeit-Diebe im Werk

Es gibt ein großes und doch alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit.
Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt.
Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.

Und genau das wusste niemand besser als die grauen Herren. Niemand kannte den Wert einer Stunde, einer Minute, ja einer einzigen Sekunde Leben so wie sie. Freilich verstanden sie sich auf ihrer Weise darauf, so wie Blutegel sich aufs Blut verstehen, und auf ihre Weise handelten sie danach.
Sie hatten ihre Pläne mit der Zeit der Menschen. Es waren weitgestreckte und sorgfältig vorbereitete Pläne.
Das Wichtigste war ihnen, dass niemand auf ihre Tätigkeit aufmerksam wurde. Unauffällig hatten sie sich im Leben der großen Stadt und ihrer Bewohner festgesetzt. Und Schritt für Schritt, ohne dass jemand es bemerkte, drangen sie täglich weiter vor und ergriffen Besitz von den Menschen.
Sie kannten jeden, der für ihre Absichten in Frage kam, schon lange bevor der Betreffende selbst etwas davon ahnte. Sie warteten nur den richtigen Augenblick ab, in dem sie ihn fassen konnten. Und sie taten das ihre dazu, dass dieser Augenblick eintrat.
Da war zum Beispiel Herr Fusi, der Friseur. .... Eines Tages stand Herr Fusi in der Tür seines Ladens und wartete auf Kundschaft. Der Lehrjunge hatte frei und Herr Fusi war allein. Er sah zu, wie der Regen auf die Straße platschte, es war ein grauer Tag, und auch in Herrn Fusis Seele war trübes Wetter. ... In diesem Augenblick fuhr ein feines, aschgraues Auto vor und hielt genau vor Herrn Fusis Friseurgeschäft. Ein grauer Herr stieg aus und betrat den Laden. Er stellte seine bleigraue Aktentasche auf den Tisch vor den Spiegel, hängte seinen runden steifen Hut an den Kleiderhacken, setzte sich auf den Rasierstuhl, nahm sein Notizbüchlein aus der Tasche und begann darin zu blättern, während er an seiner kleinen grauen Zigarre paffte.
Herr Fusi schloss die Ladentür, denn es war ihm, als würde es plötzlich ungewöhnlich kalt in dem kleinen Raum. „Womit kann ich dienen?“ fragte er verwirrt, „Rasieren oder Haare schneiden?“ ...
“Keines von beiden“, sagte der graue Herr, ohne zu lächeln, mit einer seltsamen tonlosen, sozusagen aschgrauen Stimme. „Ich komme von der Zeit-Spar-Kasse. Ich bin Agent Nr. XYQ/384/b. Wir wissen, dass Sie ein Sparkonto bei uns eröffnen wollen.“
“Das ist mir neu“, erklärte Herr Fusi noch verwirrter. .... „Nun, jetzt wissen Sie es“, antwortete der Agent knapp. „Sehen Sie, lieber Herr Fusi“, sagte der Agent, „Sie vergeuden Ihr Leben .... Alles was Sie also benötigen, ist Zeit. Habe ich recht?
„Darüber habe ich eben nachgedacht“, murmelte Herr Fusi und fröstelte, denn trotz geschlossener Tür wurde es immer kälter.
“Na, sehen Sie!“ erwiderte der graue Herr und zog zufrieden an seiner kleinen Zigarre. „Aber, woher nimmt man Zeit? Man muss sie eben ersparen! Sie, Herr Fusi, vergeuden Ihre Zeit auf ganz verantwortungslose Weise. Ich will es Ihnen durch eine kleine Rechnung beweisen. Eine Minute hat sechzig Sekunden. Und eine Stunde hat sechzig Minuten. Können Sie mir folgen?“
“Gewiss“, sagte Herr Fusi.
Der Agent Nr. XYQ/384/b begann die Zahlen mit einem grauen Stift auf den Spiegel zu schreiben.

...... Es folgte eine intensive Befragung von Herrn Fusi durch den Agenten nach Tätigkeiten, Hobbys, Gewohnheiten und Geheimnissen und diese Zeiten werden zu einer Summe von 1 324 512 000 Sekunden addiert. .....

„Diese Summe“, sagte der graue Herr und tippte mit dem Stift mehrmals so hart gegen den Spiegel, dass es wie Revolverschüsse klang, „diese Summe ist also die Zeit, die Sie bis jetzt bereits verloren haben. Was sagen Sie dazu, Herr Fusi?“
Herr Fusi sagte gar nichts. Er setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirn, denn trotz der eisigen Kälte brach ihm der Schweiß aus.
Der graue Herr nickte ernst.
“Ja, Sie sehen ganz recht“, sagte er, „es ist bereits mehr als die Hälfte Ihres ursprünglichen Gesamtvermögens, Herr Fusi. Aber nun wollen wir einmal sehen, was Ihnen von Ihren zweiundvierzig Jahren eigentlich geblieben ist. Ein Jahr, das sind einunddreißigmillionenfünfhundertsechsunddreißigtausend Sekunden, wie Sie wissen. Und das mal zweiundvierzig genommen macht einemilliardedreihundertvierundzwanzigmillionenfünfhundertundzwölftausend.“
Er schrieb die Zahl unter die Summe der verlorenen Zeit:
.1 324 512 000 Sekunden
-1 324 512 000 Sekunden
.0 000 000 000 Sekunden
Er steckte seinen Stift ein und machte eine längere Pause, um den Anblick der vielen Nullen auf Herrn Fusi wirken zu lassen.
Und es tat seine Wirkung.
“Das“, dachte Herr Fusi zerschmettert, „ist also die Bilanz meines ganzen bisherigen Lebens.“
Er war so beeindruckt von der Rechnung, die so haargenau aufging, dass er alles widerstandslos hinnahm. Und die Rechnung selbst stimmte. Das war einer der Tricks, mit dem die grauen Herren die Menschen bei tausend Gelegenheiten betrogen.
“Finden Sie nicht“, ergrief nun der Agent Nr. XYQ/384/b in sanften Ton wieder das Wort, „dass Sie so nicht weiterwirtschaften können, Herr Fusi? Wollen Sie nicht lieber zu sparen anfangen?“
Herr Fusi nickte stumm und mit blaugefrorenen Lippen.
“Hätten Sie beispielweise“, klang die aschenfarbene Stimme des Agenten an Herrn Fusis Ohr, „schon vor zwanzig Jahren angefangen täglich nur eine einzige Stunde einzusparen, dann besäßen Sie jetzt ein Guthaben von sechsundzwanzigmillionenzweihundertundachtzigtausend Sekunden. Bei zwei Stunden täglich ersparter Zeit wäre es natürlich das Doppelte, also zweiundfünfzigmillionenfünfhundertundsechzigtausend. Und ich bitte Sie, Herr Fusi, was sind schon zwei lumpige kleine Stunden angesichts einer solchen Summe?“

... Nach Berechnung von Zinsen und Verdoppelungen der angesparten Zeitguthaben unterbreitet der graue Herr diverse Zeiteinsparmöglichkeiten und verabschiedete sich. Nachdem der Rauch der Zigarre und die Kälte verschwunden war, konnte sich Herr Fusi nicht an den Agenten erinnern, aber das Zeitsparen war als sein eigenen Wunsch vorhanden. Herr Fusi sparte nun als Mitglied der Zeit-Spar-Kasse immer mehr Zeit ein ...

Niemand schien zu merken, dass er, indem er Zeit sparte, in Wirklichkeit etwas anderes sparte. Keiner wollte wahrhaben, dass sein Leben immer ärmer, immer gleichförmiger und immer kälter wurde. Deutlich zu fühlen jedoch bekamen es die Kinder, denn auch für sie hatte nun niemand mehr Zeit.
Aber Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.
Und je mehr die Menschen daran sparten, desto weniger hatten sie.

Warum habe ich mir die Mühe gemacht einen Teil aus dem Märchen-Roman „MOMO oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte“ von Michael Ende aufzuarbeiten?

Ich möchte euch Leser dieser Meldung einen Anstoß geben, wieder einmal ein Buch in die Hand zu nehmen. Vor allem die jetzt die Arbeitslosigkeit vor sich haben. Befasst euch mit „schönen“ Dingen des Lebens. Betrachtet das anstehende Jahr als „zurückgegebene“ Zeit, um euch auf neue Herausforderungen vorzubereiten.

Auch diejenigen, die Momos Geschichte schon aus ihrer Jugend kennen, lest sie einfach noch mal und ihr werdet sie mit „erwachsenen“ Augen sehen. Einfach über die Kernaussagen nachdenken und mit der eigenen Situation vergleichen. Wollen wir nicht alle ein „besseres“ Leben, aber was ist der Preis dafür? Ist weniger oft nicht mehr?

Diejenigen, die im (Arbeits-)Stress stehen, erkennt wer euch wertvolle Zeit klaut und euch immer mehr Leistung abfordert zum persönlichen Eigennutz. Lebt ihr um zu arbeiten oder arbeitet ihr um zu Leben? Werdet nicht zu Helfershelfer der „grauen Herren“. Lernt diese in euerem Umfeld zu erkennen - denn ihr wirken darf nicht unerkannt bleiben.

Erforscht die Tricks, die die „grauen Herren“ anwenden, damit ihr nicht auf solche „Blender“ hereinfällt. Mehrfachbejahungsfragen und Zahlenvergleiche auf unterschiedlicher Basis werden häufig angewendet. Analysiert wie euch der Übertritt z.B. in eine Beschäftigungsgesellschaft zelebriert wurde? Ein wenig Psychologie gehört z.B. zu einem Verkaufsgespräch und das passend vorbereitende Umfeld.

Ich wünschen allen Freunden und Betroffenen eine ruhige und besinnliche Zeit jetzt im Advent, über Weihnachten und dem Jahreswechsel. MAN sieht sich wieder.

Euer
Harry Klein

PS: Dieses Buch kann man in jeder Bücherei ausleihen und noch viele andere mehr.

(2) Kommentare

polwol 02.12.2004 21:15
Hallo Harry,

kaum habe ich von den Grauen Herren und Momo erzählt, ist mein Nachwuchs verschwunden und mit dem Buch aus ihrem Zimmer zurückgekommen. Jetzt bin ich über Gigi Straßenkehrer und Beppo Fremdenführer unterrichtet und habe das Buch auf dem Wohnzimmertisch liegen. Nun bin ich gezwungen es zu lesen, um die ausgelöste Begeisterung nicht zu enttäuschen. Hast damit was schönes angerichtet. 8-)

Harry ist dir ein Freudscher Fehler bei der Überschrift passiert? Bei mir steht „am Werk“ als Kapitelüberschrift oder hast du nur die Arbeit im Hinterkopf?
manoman 03.12.2004 08:16
Wolfram, du hast recht, es heißt „Zeit-Diebe am Werk“. Aber deshalb den Sigmund bemühen, ist nicht gleich notwendig. Aber vielleicht liegt in einem (Ab-)Schreibfehler auch ein Fünkchen Wahrheit?

Lies erst mal das Buch und du bringst die Nachnamen nicht mehr durcheinander. Es ist schön zu erfahren, dass ich damit eine Gesprächsbasis zwischen den Generationen angestoßen habe.

Harry Klein