Kämpfen immer noch für die gleichen Ziele
SZ-Interview mit Wolfgang Räschke, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter, zu Position und Aufgabe der Gewerkschaft von Andreas Schweiger. Veröffentlicht am 30.10.2004.
Auf die Fragestellung: „Verlieren die Gewerkschaften den Rückhalt bei den Arbeitnehmern? Bei der Tarifauseinandersetzung in Sachsen im vergangenen Jahr, als es zum Beispiel auch um die Arbeitszeitverkürzung bei VW ging, wurde der IG Metall ein zu harter Kurs vorgeworfen. Beim jüngsten Stellenabbau bei MAN in Salzgitter dagegen warfen Teile der Belegschaft Gewerkschaft und Betriebsrat eine zu weiche Haltung vor. Bei Opel ist es nun zu einem wilden Streik gekommen – vorbei an der IG Metall.“
Antwort Räschke: „Nein, die Gewerkschaft verlieren den Rückhalt nicht. Aus den genannten Beispielen lässt sich kein genereller Trend ableiten, das sind für mich spezielle Fälle. In Sachsen fehlte die Unterstützung aus dem Westen. Das führte zu einer Rückwärtsentwicklung und rächt sich jetzt – insbesondere bei Opel. Beim jüngsten Streik dort gab es eine Radikalisierung in Bochum, weil der Konzern ohne die Betriebsräte entschieden hat. Es hat uns einige Zeit gekostet, die Situation in den Griff zu bekommen. **Zu MAN: Dort ist es uns nicht gelungen, das Konzept der Transfergesellschaft bei den Betroffenen zu vermitteln. Ich bin von diesem Konzept noch immer überzeugt. Eine andere Regelung hätte den Busbau kaputtgemacht, weil die Belegschaft überaltern würde.** Unsere Mitglieder werden nicht generell kritischer gegenüber ihrer Gewerkschaft. Allerdings steigt bei vielen die Politikverdrossenheit, und deshalb setzen sie sich mit vielen Themen nicht mehr inhaltlich auseinander.“
Der ganze Artikel ist über den Pressespiegel abrufbar.
Also das Informationsbedürfnis und die Informationsveranstaltungen der Opel-Kollegen in Bochum waren eine Radikalisierung? Seltsame Auslegung, wohl weil die Eigendynamik der Leute die Gewerkschaft überrascht hat. Die haben sich nicht an den üblichen Ablauf gehalten. Haben die Taktik: Forderung, Aufruf, Demo, Verzicht, Weiterarbeiten ohne Murren nicht mitgemacht. Erst durch eine unklare Abstimmung mit einer verquickten Doppelfrage könnte die Geschlossenheit der Belegschaft aufgespaltet werden. Ja, das hat Zeit gekostet, um diese Situation in den Griff zu bekommen.
Bei der Antwortet zu MAN / NEOMAN höre ich den 2. Bevollmächtigte und Betriebsbetreuer Horst L. heraus. Eine Beschäftigungsgesellschaft ist keine Lösung, schon gar kein Konzept und einer Gewerkschaft nicht würdig. Es ist eine verzögerte Rutschbahn in die Arbeitslosigkeit und gleichzeitig die Inanspruchnahme der Arbeitslosenversicherung. Unterstützen diese Funktionäre mit dem Vorwand „überaltern“ das Unterlaufen des tariflichen Kündigungsschutzes? Oder was wollen sie den Zeitungslesern damit mitteilen, um ihre Handlungsweise bei den Kündigungen zu rechtfertigen – die paar Alten haben lange genug Beitrag bezahlt, auf die kann man verzichten?
Erklärt die Antwort auf eine andere Frage diese Funktionärshandlungsweise?
„Wir kämpfen immer noch für die gleichen Ziele wie vor 50 Jahren. Allerdings können wir seit einigen Jahren nicht mehr, wie von uns gewünscht, gestalten, sondern übernehmen heute mehr Schutzfunktionen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Tarifverträge zu bewahren, die wir uns erkämpft haben.“
Wir sind die Gewerkschaft, was nutzen uns Verträge die unterlaufen werden. Rechte die nicht beansprucht und verteidigt werden, sind wertlos.
Der Kündigungsschutz von älteren langjährigen Mitarbeitern ist Bestandteil von Tarifverträgen. Dies sollte mit Billigung dieser Funktionäre unterlaufen werden, wenn nicht wir dagegen angekämpft hätten. Gewerkschafter steht auf und kämpft dagegen an, wir brauchen wieder eine Organisation, die für die Arbeitnehmerrechte eintritt.
Euer
Harry Klein
Ich bin von diesem Konzept ganz und gar nicht überzeugt (wäre ich Arbeitgeber, dann natürlich schon):
Die Erfahrung mit der Siemens-Beschäftigungsgesellschaft (beE) zeigt, dass ca. 30% der Mitarbeiter, die in eine solche beE abgeschoben werden als Arbeitslose enden.
Die Gewerkschaft hat anscheinend – so wie die Arbeitgeber - nur das eine Ziel: Oberste Pflicht ist das Einkehren von Ruhe an den Standorten. Und wie erreicht man das? Indem man die Mitarbeiter zeitverzögert über eine Beschäftigungsgesellschaft freisetzt.
Hilfreich ist natürlich die räumliche Absonderung. So können (nach dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“) die Betroffenen sehr schnell von den verbliebenen Mitarbeitern vergessen werden. Dadurch ist sichergestellt, dass man wieder zum normalen Tagesgeschäft zurückkehren kann. Die Kollegen ziehen die Köpfe ein und arbeiten an der Grenze ihrer Belastbarkeit und sogar darüber hinaus in der Hoffnung, dass sie dadurch einem ähnlichen Schicksal entgehen können. Ein Trugschluss – jeder überschreitet mal die magische Altersgrenze von 40 und nicht alle können es bis dahin in den Zentralvorstand geschafft haben, der einzige Ort mit Daseinsberechtigung für Ältere, wie es scheint.
Die Mitarbeiter in der Beschäftigungsgesellschaft werden natürlich freigestellt. Ein geniales Mittel um diese auch untereinander zu isolieren. Nicht gerade eine geeignete Grundlage, auf der sich Widerstand bilden könnte. Jeder, der sich dorthin begeben hat, hegt ja auch ein gewisses Maß an Hoffnung, dass er zu den 70% gehört, die vermittelt werden. So eine Hoffnung wird keiner dadurch aufs Spiel setzen, dass er unangenehm auffällt.
Und dann kommt der Tag, an dem die Beschäftigungsgesellschaft endet. Spätestens jetzt kann man denen, die während der Zeit in der Beschäftigungsgesellschaft keine Arbeit gefunden haben auch noch wunderbar die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Sie haben sich halt nicht genug bemüht, eine neue Stelle zu finden, oder ihre Qualifikationen reichen nicht aus – selber Schuld, sie hätten ja Zeit genug gehabt, sich weiterzubilden.
Wie eine Gewerkschaft so etwas nicht nur mitmachen, sondern sogar noch davon überzeugt sein kann, dass das gut ist, ist mir unbegreiflich.
Herrn Räschkes Äußerung: „Eine andere Regelung hätte den Busbau kaputtgemacht, weil die Belegschaft überaltern würde.“ stellt eine eindeutige Altersdiskriminierung dar. Mit einer solchen Auffassung stellt er sich nicht nur gegen die deutsche, sondern auch gegen die europäische Rechtsauffassung.
(ms)