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Rede zur Aktionärsversammlung von Jörg Studer (29.3.10)

by swiss posted on 29.03.2010 17:50 last modified 02.04.2010 17:51

Diese Rede hat Betriebskomissions-Präsident Jörg Studer an der Aktionärsversammlung der Clariant am 29.3.10 in Basel gehalten.

(Als PDF hier)


Im Februar hat Herr Kottmann im Fernsehen gesagt, er werde sich dafür entschuldigen, dass er uns Mitarbeitenden von Clariant die Arbeit wegnimmt und nach Asien verlagert. Bis heute hat Herr Kottmann den Weg zu uns noch nicht gefunden. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss eben der Berg zum Propheten gehen. Darum sind wir heute hier!

Bei der Belegschaft von Clariant braucht Herr Kottmann sich übrigens nicht zu entschuldigen. Wir würden eine solche Entschuldigung auch nicht annehmen. Vielmehr werden wir weiter für unsere Arbeitsplätze kämpfen und gegen den Kahlschlag bei Clariant!

Entschuldigen wird Herr Kottmann sich stattdessen heute vielleicht bei Ihnen als Aktionärinnen und Aktionäre. Nämlich dafür, dass er im Jahre 2009 7.7 Mio. Franken Vergütung erhalten hat! Wir finden, das ist viel Geld für eine Tätigkeit, die bis jetzt vor allem darin bestanden hat, Arbeitsplätze abzubauen!

Mit dieser hübschen Summe steht Herr Kottmann nicht alleine da. Auch die übrigen Mitglieder des Managements sind wahrscheinlich nicht von finanziellen Sorgen geplagt: Denn insgesamt sind die Vergütungen an die Mitglieder der Konzernleitung im letzten Jahr um sage und schreibe 80 Prozent gestiegen! Auf über 22 Mio. Franken! Das entspricht 15 Prozent der gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung! Und das ist fast so viel, wie im gleichen Jahr bei der Forschung gespart wurde!

Im letzten Sommer hat Herr Kottmann in einem Interview verkündet, Clariant solle sich auf «Innovation fokussieren» und «ein Powerhouse für Forschung und Entwicklung» sein. Wenn er das wirklich ernst gemeint hat, dann möchten wir gerne wissen, wie er sich das vorstellt, wenn bei der Forschung jedes Jahr mehr gespart wird: 2007 wurden noch 211 Mio. für Forschung und Entwicklung ausgegeben, 2008 nur noch 184 Mio. und 2009 sind wir gar bei 150 Mio. Franken angelangt!

Textilchemie, heisst es, sei ein Massenprodukt, das nur über den Preis verkauft werden könne. Die Verlagerung der Textilchemie von Muttenz nach China verschlingt riesige Summen. Wie lässt sich das mit der angekündigten Fokussierung auf Spezialitäten vereinbaren? Gibt es überhaupt eine aktuelle, schriftlich formulierte Strategie für die ganze Clariant Gruppe und wie sieht diese aus? Welche konkreten Innovationen sind für 2011 geplant?

Seltsam finden wir auch, dass im letzten Jahr die Ausgaben für Administration und Gemeinkosten gestiegen sind. Umsatz und Bruttogewinn sind zurückgegangen, ebenso die Kosten für Marketing und Vertrieb. Und bei der Forschung wird – wie gesagt – gespart. Einzig die Kosten für die Administration steigen. Und dies, obwohl im gleichen Zeitraum die Belegschaft um mehr als 2500 Mitarbeitende geschrumpft ist! Wie ist das möglich? Was hat das Management mit diesen 41 Mio. Franken gemacht? Und wie lassen sich 80%-ige Lohnsteigerungen für die Konzernleitung rechtfertigen?

Stets wird uns eingeredet, Clariant mache „Riesenverluste“, Clariant gehe es so schlecht, dass jährlich Tausende von Stellen abgebaut werden müssten. Gleichzeitig wurden 2009 an ausgeschiedene Mitglieder der Konzernleitung rund 7.12 Mio. Franken ausbezahlt – laut Geschäftsbericht aufgrund „vertraglicher Zusicherungen“. Womit lassen sich Abgangsentschädigungen in dieser Höhe rechtfertigen? Wer ist verantwortlich für die Ausgestaltung solcher Verträge?

Während also oben aus dem Vollen geschöpft wird, werden unten Stellen abgebaut und Leute auf die Strasse gestellt. Das ist leider nichts Neues. Mit der geplanten Verlagerung der Produktion nach Asien aber hat Herr Kottmann den Bogen überspannt. Das lassen wir uns nicht bieten! Viele von uns haben ein Leben lang in diesem Betrieb gearbeitet. Diese Leute haben praktisch keine Chance, wieder eine vergleichbare Arbeit zu finden. Wir lassen uns nicht so leicht vertreiben! Herr Kottmann wir verlangen nein wir fordern sie auf den Schliessungsentscheid zurück zu nehmen!

Vielleicht finden Sie, dass meine Worte unpassend sind für eine Generalversammlung der Aktionäre. In diesem Fall bin ich es, der sich bei Ihnen entschuldigt. Wenn Sie hingegen mit mir übereinstimmen, dass ich berechtigte Anliegen vertrete und dass meine Fragen stichhaltig sind, dann habe ich eine Bitte an Sie: Verlangen Sie auf diese Fragen eine klare Antwort! Und beharren Sie darauf! Das ist Ihr gutes Recht als Aktionärinnen und Aktionäre. Uns Mitarbeitende kann Herr Kottmann einfach entlassen, wenn wir ihm lästig sind. Ihnen aber ist er Rechenschaft schuldig.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie mir geschenkt haben.
Kontakt : joerg-studer@bluemail.ch oder joerg.studer@clariant.com
Tel : 061 469 53 66 oder 079 289 99 00

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