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Rede am 1. Mai in Binningen zu "Sozialpartnerschaft heute"

by swiss posted on 04.05.2010 21:25 last modified 04.05.2010 21:25

Diese Rede hat Betriebskommissionspräsident Jörg Studer an der 1. Mai-Kundgebung in Binningen gehalten:

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Rede Binningen zum Thema „Sozialpartnerschaft heute“

 

Der 1. Mai wird bekanntlich „Tag der Arbeit“ genannt. In einigen Kantonen ist der 1. Mai sogar ein offizieller Feiertag. Früher war er ein Kampftag der Arbeiterinnen und Arbeiter, heute ein bezahlter Feiertag. Das, so erklärten vor vielen Jahren mit Stolz unsere Väter, sei ein Zeichen, dass die Arbeiterbewegung etwas erreicht habe und die Arbeiterschaft nun gleichberechtigt sei. Von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft war die Rede und davon, dass alles einvernehmlich am Verhandlungstisch gelöst werden könne. Was ist von dieser Sozialpartnerschaft geblieben?

Bei Clariant hält sich das Management nicht einmal an die minimalen Gesetze, die die Beschäftigten vor Massenentlassungen schützen sollten! Mitte Februar wurde die Belegschaft vor vollendete Tatsachen gestellt: der Produktionsstandort Muttenz werde – bis auf einen kleinen Teil – geschlossen. Erst als die Unia gegen die Missachtung der gesetzlichen Vorschriften protestierte und mit einer Klage drohte, eröffnete Clariant ein Konsultationsverfahren. Ein Konsultationsverfahren allerdings, das eine reine Alibiübung ist! Ganz offensichtlich denkt das Management nicht im Traum daran, die Vorschläge der Belegschaft, wie der Stellenabbau verhindert werden könnte, überhaupt zu prüfen. Stattdessen bewahrheitet sich, was Herr Kottmann bereits im letzten Herbst in einem Zeitungsinterview verkündet hat: Er wolle sich nicht von „Gewerkschaftern und Bedenkenträgern“ beirren lassen... Das ist seine Vorstellung von Sozialpartnerschaft! Ohne die Beschäftigten und ihre Vertreter überhaupt anzuhören, geht er seinen Weg und vernichtet Arbeitsplätze, Knowhow und Werte, die von uns, den Beschäftigten bei Clariant geschaffen worden sind. Darum rufen wir laut und deutlich: CLARIANT SIND WIR, WIR BLEIBEN HIER!   

Herr Kottmann will die Produktion nach Asien verlagern. Es sei wirtschaftlich nicht mehr möglich, in der Schweiz zu produzieren, behauptet er. Zu diesem Zweck präsentiert er Zahlen mit gigantischen Buchverlusten. Doch in diesen Buchverlusten sind die Kosten für die Produktionsverlagerungen als sog. „Restrukturierungskosten“  bereits eingerechnet. Clariant Muttenz ist durchaus profitabel! Erst vor wenigen Tagen hat der Konzern ein starkes Umsatzwachstum und einen stattlichen Betriebsgewinn von 183 Mio. Franken allein für das 1. Quartal 2010 bekanntgegeben! Sogleich nach Bekanntgabe der Zahlen, schrieb die BAZ, sei der Aktienkurs markant angestiegen. Fette Gewinne für die Aktionäre und Stellenabbau für die Beschäftigten, das ist die Sozialpartnerschaft im Jahre 2010!

Nicht, weil sie nicht,  profitabel ist, soll die Produktion in Muttenz geschlossen werden, sondern weil die Produktion in Asien noch profitabler ist! Doch unser Leben zählt mehr als ihre Profite! Nicht nur tragen wir mit unserer täglichen Arbeit zu den Gewinnen bei, wir sind auch gezwungen, mit der ständigen Angst vor Entlassung zu leben. Keiner von uns weiss, ob er nicht morgen schon die Kündigung bekommt! Dieses Leben in Ungewissheit ist eine Schande! Die Frau eines Arbeitskollegen hat jedesmal Angst, wenn das Telefon läutet, es sei die Hiobsbotschaft, dass der Mann die Kündigung bekommen hat. Ein anderer wollte eine Familie gründen, als er vom Schliessungsentscheid erfahren hat. Wegen der wirtschaftlichen Ungewissheit muss sich das Paar gedulden mit dem Nachwuchs. Angst vor Kündigung und Leben in Ungewissheit, das ist für die Beschäftigten die Sozialpartnerschaft im Jahre 2010!

Ein Leben in Angst und Ungewissheit, das ist kein Leben in Würde! Wir sind stolz auf unsere Arbeit, unsere Kenntnisse und Fähigkeiten, auf die Werte, die wir mit unserer Arbeit schaffen. Wir lassen uns unsere Arbeit nicht wegnehmen, nur damit die Aktionäre und Manager ihre Gewinne und Boni noch mehr steigern können! Wir lassen uns nicht vertreiben! Lassen wir uns nicht länger mit Sozialplänen und staatlichen Almosen abspeisen! Kämpfen wir für unsere Arbeit und unsere Würde!

Früher einmal waren es nur die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Büezer, die am 1. Mai auf die Strasse gingen. Aus den Arbeitern wurden dann Arbeitnehmer. Wir seien jetzt alle Arbeitnehmer, hiess es, auch die Angestellten. Die Büezer seien nun den Angestellten gleichgestellt. Wenn das so ist, dann würde man meinen, dass wir auch alle am gleichen Strick ziehen. Was wir in letzter Zeit erlebt haben, ist leider etwas ganz anderes. Wo waren die Angestelltenvertreter, als in Hüningen gestreikt wurde? Wo waren die Angstelltenvertreter, als wir am 11. März auf die Strasse gegangen sind? Es ist dem gemeinsamen Kampf gegen den Stellenabbau nicht förderlich, wenn die Angestelltenvereinigung der Unia dauernd in den Rücken schiesst. Das geht sogar so weit, dass versucht wird, die SP-Landräte gegen uns aufzuhetzen. So wie sich die Angestelltenvertreter verhalten, müssen wir uns fragen: Auf welcher Seite stehen sie eigentlich? Auf der Seite der Beschäftigten oder auf der Seite des Managements? Kuscheln ist ja schön, aber nicht mit dem Management!

Die Angstelltenvertreter sind darum aufgerufen, uns nicht länger in den Rücken zu fallen! Und alle Angestellten, ob organisiert oder nicht, rufe ich auf: Schliesst uns unserem Kampf gegen den Stellenabbau an! Lassen wir uns nicht länger gegeneinander ausspielen! Keiner weiss, wer als nächster die Kündigung bekommt. Setzen wir diesem unwürdigen Spiel mit unserer Angst und Ungewissheit ein Ende! Kämpfen wir gemeinsam gegen den Stellenabbau, gegen die unsinnige Produktionsverlagerung, gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen, Berufserfahrung und Werten, die wir gemeinsam geschaffen haben! Kämpfen wir gemeinsam für den Produktionsstandort Muttenz, für unsere Zukunft und die unserer Kinder! Kämpfen wir gemeinsam für unsere Arbeit und unser Leben! Es leben die, die kämpfen!

 

Jörg Studer Präsident Betriebskommission Clariant in der Schweiz

079 289 99 00

 

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