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Thesen zur Betriebsratsbeteiligung

by Administrator posted on 27.04.2009 06:48 last modified 27.04.2009 17:57

Diese Thesen wurden für ein Netzwerk IT-Treffen vorbereitet, konnten dort wegen der vielen interessanten Projektberichte nicht diskutiert werden. Daher werden sie jetzt öffentlich zur Diskussion gestellt.

Der Betriebsrat als Institution

  1. Betriebsräte arbeiten in einem engen rechtlichen Korsett. Dabei werden sie zu einer Denk- und Handlungsweise gezwungen, die sich an den rechtlichen Möglichkeiten orientiert und auf Stellvertretung beschränkt.

  2. Betriebsräte wirken der Entwicklung von Selbstbewusstsein, Selbstorganisation und kreativer Macht auf Seiten der Beschäftigten entgegen. Erfolgreiche Betriebsratsarbeit stärkt die Illusionen in Stellvertreterpolitik und fördert daher die Passivität.

  3. Das Management nutzt Betriebsräte, um Konflikte unter Kontrolle zu bringen.

  4. Das Management nutzt Betriebsräte, um AktivistInnen zu integrieren.

Betriebsratsbeteiligung

  1. Eine Beteiligung am Betriebsrat kann im Einzelfall sinnvoll sein, um

    1. an Informationen zu kommen und diese öffentlich zu verwenden,

    2. den existierenden Betriebsrat mit einer Gegen-Kandidatur unter Druck zu setzen,

    3. exponierte AktivistInnen zu schützen,

    4. die eigene Gruppe im Betrieb bekannt zu machen und die Gruppe sichtbar zu halten, („Tribune“)

    5. überhaupt erst einen Betriebsrat zu gründen.

  2. Es gibt keinen sicheren Weg, bei einer Mitarbeit im Betriebsrat dem Anpassungsdruck zu entgehen. Hilfreich könnte sein:

    1. Menschen dafür aufzustellen, die die Grenzen der BR-Arbeit kennen (siehe Thesen 1 bis 4)

    2. Menschen aufstellen, die ihr Tun im Betriebsrat reflektieren und in Frage stellen und dies auch ständig tun.

    3. Dies schon bei der Wahl kundtun und sich darüberhinaus verpflichten, nichts im Alleingang zu entscheiden.

    4. Ständige Offenlegung der BR-Unterlagen und Geschehnisse im Betriebsrat gegenüber der Belegschaft.

    5. Begrenzung der Mitgliedschaft auf eine Periode.

    6. Keine volle Freistellung annehmen.

    7. Ständiges Beten, dass es klappt (weil wir nicht glauben, dass es meistens klappen wird…).

Betriebsrat und Betriebsgruppe

  1. BR-Mitglieder müssen in die Betriebsgruppe eingebunden sein. Die Betriebsgruppe darf sich nicht nur um die Geschehnisse im BR kümmern. AktivistInnen, die sich nur auf BR-Beteiligung beschränken, haben schon verloren.

  2. Forderungen an den Betriebsrat, unsere Interessen durchzusetzen, sind problematisch, haben aber manchmal ihre Berechtigung. Voraussetzung ist, dass der BR eine offene Informationspolitik betreibt. Vereinbarungen mit dem Management wollen wir vorher sehen und dazu Stellung nehmen können, z.B. auf einer Betriebsversammlung oder im Intranet.

  3. Die wichtigste Frage ist, wie wir in Betrieben autonome Basisgruppen bilden können. Betriebsratsbeteiligung leistet dazu kaum einen Beitrag.

18. April 2008

(9) Kommentare

Anonymer Benutzer 08.05.2009 18:36
"Vereinbarungen mit dem Management wollen wir vorher sehen und dazu Stellung nehmen können"


daran sollten die igm betriebsräte in den betriebsratsfraktionen sich messen lassen,vor allen halten und ihre blockadepolitik gegenüber
andersdenkenden in betriebsräten aufgeben.

nur gemeinsam können wir gegenüber der unternehmensseite erfolgreich für die belegschaften arbeiten

 das meint der jägermeister
Anonymer Benutzer 08.05.2009 19:30
Im Wesentlichen: Ja. Trifft in der Kürze natürlich nicht alle Fälle.
Anonymer Benutzer 09.05.2009 08:53
es sind auch nicht ALLE igm betriebsräte gemeint!!!

leider ist es die überwiegende mehrheit die den "alleinvertretungsanspruch" mit "aller macht" durchsetzen will!!

so die klarstellung vom jägermeister
Anonymer Benutzer 10.05.2009 20:13
Ad. Der Betriebsrat als Institution

Der BR ist ein formales Gremium, das von der Belegschaft gewählt wird und Rechte und Pflichten nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat. Diese Rechte sind im Weltvergleich ziemlich einmalig, und wir sollte froh darüber sein, dass die früheren Generationen das erkämpft haben. Der BR ist kein politisches Gremium, diesen Part müssen Andere übernehmen. Zum Verhältnis BR und Gewerkschaften habe ich hier geschrieben http://www.nci-br.de/[…]/nci-aktuell-archiv-08-04.htm#04.04.2008-1

So viel zu Theorie. Was daraus in der Praxis wird, hängt von den Mitarbeitern, den Betriebsräten und der Betriebsleitung ab. Die Pkt 1. bis 4. gibt es in der Praxis, aber vom BetrVG werden sie nicht gewünscht oder gar erzwungen (s. meine Kommentare weiter unten). Ich persönlich bedauere, dass alleine die formalen Rechte und Möglichkeiten aus dem BetrVG selten voll ausgenutzt werden (von den informellen ganz zu schweigen). Die formalen Voraussetzungen hierfür sind vorhanden, man kann sich höchstens fragen, warum der Wille fehlt.

Es ist für mich auch klar, dass der BR kein Arbeiterrat ist. Dafür hat er seine formale Macht auch dann, wenn es gerade keine Revolution gibt, wenn die Wahlbeteiligung bei fast 0% liegen würde oder wenn kein Mitarbeiter ihn unterstützen will. Im übrigen bin ich der Meinung, dass gestalterische Macht vom Machen kommt und nicht z.B. von Träumen, Jammern oder Unterlassen. (Es ist eine allgemeine Feststellung, ohne jemanden zu nahe treten zu wollen!).

Ad. Betriebsratsbeteiligung

Obwohl ich also die Idee des BR nützlich und sinnvoll finde, macht es für mich persönlich nur einen Sinn sich dort zu beteiligen, wenn ich auch die Möglichkeit habe die BR-Arbeit mitzugestallten. Meine Erwartungen gehen hier viel weiter als der Pkt. 5. ( http://www.nci-br.de/[…]/nci-aktuell-archiv-08-04.htm#10.04.2008-1 ). Die Voraussetzung für meine Mitgestaltung ist, dass der BR von niemanden monopolisiert, beherrscht und/oder benutzt wird. Es darf also keine Fraktionen geben (zumindest keinen Fraktionszwang). Die Entscheidungen im BR sollten rein sachbezogen und durchaus mit wechselnden Mehrheiten getroffen werden. Am einfachsten wäre dieser Zustand zu erreichen, wenn die nach dem Wahlrecht mögliche (leider wenig praktizierte) Personenwahl zum Standard wäre und nicht die übliche Listenwahl. Und schon wieder komme ich zu dem Schluss, dass es auf die beteiligten Menschen ankommt. (s. http://www.nci-br.de/[…]/nci-aktuell-archiv-08-05.htm#29.05.2008-1 ).

Die rechtlichen Möglichkeiten für einen „guten“ BR sind durchaus vorhanden. Die bei der Personenwahl stärkere Kontrolle durch den Wähler könnte die Probleme im Pkt. 6 reduzieren. Wer Vorschläge hat, wie man/frau die Betriebsräte besser auswählt und kontrolliert, kann sie hier platzieren: http://www.netzwerkit.de/projekte/siemens/foren/Betriebsrat .

Ad. Betriebsrat und Betriebsgruppe.

Die Einschränkung auf die Betriebsgruppe ist für mich zu eng. Der BR ist das Gremium der gesamten Belegschaft und (wie ich oben geschrieben habe) darf von keiner Gruppe (Submenge) monopolisiert werden. Alle Betriebsratsmitglieder müssen im ständigem Kontakt mit der gesamten Belegschaft sein (auch mit denen, welche ihn/sie nicht gewählt haben!).

Auch die Belegschaft hat hier ihre Bringschuld, entweder durch direkten Kontakt zum Betriebsratsmitglied „ihres Vertrauens“ oder in der Betriebsversammlung. Es ist wenig bekannt (und wird wenig praktiziert), aber die Betriebsversammlung hat die Möglichkeit Aufträge an den BR zu geben (§45 „...Die Betriebs- und Abteilungsversammlungen können dem Betriebsrat Anträge unterbreiten und zu seinen Beschlüssen Stellung nehmen.“, diese sind für den BR aber nicht bindend). Auch hier kommt es also auf die Praxis an, das BetrVG gibt vieles her.

Ich persönlich gehe bei meine BR-Arbeit pragmatisch vor, d.h. wenn es keine Aktivitäten seitens der Belegschaft gibt, erfülle ich meine Pflichten aus dem BetrVG und verfolge Ziele, welche ich für wichtig halte. Ich bin auch gegen das delegieren von Problemen an den BR seitens der Mitarbeiter, hier versuche ich konsequent „Hilfe zu Selbsthilfe“ zu praktizieren. Es ist auch nicht mein Ziel das „Konsumverhalten“ zu fördern (egal, ob im BR oder in einer Gruppe).
(INTR)
Apache 30.06.2009 15:41
BR und Betriebsgruppe sollten meiner Meinung nach nicht nur eng zusammenarbeiten,sondern viele aus der Gruppe sollten auch im BR vertreten sein.Denn die Gruppe besteht ja aus den Aktivisten bzw.Aktivistinnen im Betrieb und ist ein Bestandteil der Belegschaft.Also ist es doch optimal wenn Leute aus der Gruppe im BR sitzen.Denn einmal können wir so kontollieren falls wir keine Mehrheit im BR haben,ob die Interessen der Belegschaft gewahrt werden oder ob Co-Management gemacht wird ,und somit die BR Mehrheit aus vom Arbeitgeber gekauften Leuten besteht.Dann muss die Gruppe zweigleisig fahren,einmal im BR als Minderheit dagegenhalten und die Fakten wo der BR als Zuträger,des Arbeitgebers fungiert,der Belegschaft mitteilen und bei Repressallien über die Gewerkschaft fungieren.Der Versuch eine Mehrheit zu erreichen im BR muss m.E. immer Ziel der Gruppe sein.Der beste Weg ist dann eine Verhältniswahl wo die Belegschaft über Programme abstimmen muss und nicht über Personen.Obenan steht natürlich immer die Gewerkschaftsarbeit also der Mensch wo Probleme hat,das der sich der Gruppe anschliessen kann und rechtliche Beratung erhält.Ihm/Ihr das Gefühl gegeben wird das sie nicht alleingelassen werden bei Problemen.Und natürlich auch Druck machen,wenn versucht wird Menschen fertig zu machen egal ob vom Arbeitgeber oder einen gekauften BR.Das sind so meine Gedanken zu dem Thesenpapier,wobei es richtig und wichtig ist,es zu diskutieren.
Anonymer Benutzer 03.07.2009 23:24
Mit dem ersten Teil der Ausführungen von Joachim Kratz stimme ich überein (Kontrolle des BR, aktive Mitarbeiter im BR, Information der Belegschaft). Aber dann schreibt er:

„Der Versuch eine Mehrheit zu erreichen im BR muss m.E. immer Ziel der Gruppe sein.“

und folgert daraus:

„Der beste Weg ist dann eine Verhältniswahl wo die Belegschaft über Programme abstimmen muss und nicht über Personen. Obenan steht natürlich immer die Gewerkschaftsarbeit...“

Dieses ist in meinen Augen die Übertragung des parlamentarischen Politikverständnisses auf den BR. Aber der BR ist kein Parlament. Im BR wird keine Gesellschaftspolitik gemacht oder Gesetze erlassen. Umgekehrt, der BR wendet nur das BetrVG an und politische Betätigung ist im sogar verboten. Der BR macht nicht mal Tarifpolitik sondern überwacht nur die Tarifeinhaltung (und anderer Gesetze). Dazu braucht es keine Visionäre und Ideologen sondern schlicht sachkundige, arbeitswillige und teamfähige Betriebsratsmitglieder. Und sachbezogene (und wechselnde) Mehrheitsentscheidungen statt Fraktionszwang, um die beste Kompromisslösung zu finden. Wozu überhaupt Fraktionen, welche dann die Mehrheit erreichen wollen und dazu auch noch Machtkämpfe führen (statt sich auf die Sacharbeit zu konzentrieren)? Wozu braucht eine Fraktion die Macht? Um ihre Ideologie durchzusetzen, oder um die Freistellungen unter sich zu verteilen? Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine Personenwahl der direkten Demokratie entspricht und die Qualität der BR-Arbeit (im Sinne der Belegschaft) steigern kann. Und gekaufte Leute kommen am leichtesten über Listen in den BR `rein.
(INTR)
Anonymer Benutzer 06.07.2009 10:03
Also ich finde eine Verhältniswahl den besten Weg um einen gekauften BR abzulösen(sofern eine Mehrheit im Gremium besteht).Denn bei der Verhältniswahl muss der gekaufte BR ja sein Programm also Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber,der Belgschaft mitteilen und die Gruppe dann ebenfalls ihr Programm was heisst an erster Stelle die Mitarbeiterinteressen zu vertreten.Letztendlich entscheidet dann die Belegschaft was sie will.Deshalb finde ich die Verhältniswahl in Betrieben wo Br Co-Management machen,das demokratisch wirksamste Mittel um im BR dann mit einer Mehrheit die Interessen der Mitarbeiter zu wahren.Und wenn ich bei meinen Vorgänger lese,das es wohl dann nur um Freistellungen ginge,auch da liegt er falsch.Denn in Betrieben wo Co-Management herrscht,da teilen sich doch die BR die durch Personenwahl die Mehrheit erreicht haben,die Freistellungen.Beispiele dafür gibt es doch genug.Bei einer Verhältniswahl geht es doch um Mitarbeiterinteressen die auf Grund von Co-Management vom BR verraten worden sind und durch andere Mehrheiten abgelöst werden sollen.
Anonymer Benutzer 12.12.2009 16:14
Bei der BR-Wahl sind Personen- oder Listenwahl zulässig. Um die Vor- und Nachteile der beiden Verfgahren besser zu verstehen empfehle ich diesen Link: http://www.netzwerkit.de/projekte/forumberlin/vollmer_bmw . Ich verstehe die Ausführungen so, dass je nach Betriebsgröße und der Zahl den konkurierenden Richtungen (Listen) das eine oder das andere Wahlverfahren demokratischer ist. Also wie immer im Leben, weder das eine noch das andere ist eine Patentlösung. Insofern muss ich meine Vorliebe für die Personenwahl (s. oben) relativieren.

Was auf alle Fälle verändert werden sollte, ist das d'Hondt Verfahren für die Verteilung der Sitze, weil es die kleinen Liste meistens benachteiligt http://de.wikipedia.org/wiki/D’Hondt-Verfahren . Auf der Bundesebene wurde es längst ersetzt durch http://de.wikipedia.org/wiki/Hare-Niemeyer-Verfahren . Wer von den großen Organisationen (Gewerkschaften, Parteien etc.) würde diese Änderung der Wahlordnung für die Betriebsrsatswahlen unterstützen, wenn jemand eine Petition an den Bundestag einreichen sollte?
(INTR)
anarchyrissen 02.07.2010 23:31
die Thesen haben in der Tat vollen Diskussionswert. Wenn sich jede/r seine Rolle bewusst wäre, liesse sich viel bewegen. Im Ideal: Betriebsräte heissen Betriebsgruppen willkommen, keine Ideologische Grabenkämpfe, Zusammenarbeit ist machbar, Ergänzung. Gerade wo Unternehmenspolitik erschreckend zunehmend ausbeuterisch und verantwortungslos wird... demokratiezersetzend. Alternative Systementwürfe scheinen gescheitert, oder noch nicht neu erkenntlich. In Zeiten nicht sichtbarer Horizonte hilft ein Kompass, Mut, Geduld, Zusammenhalt. Schwierige Zeiten, spannende Zeiten. Danke für euren Anstoss.