Kritik ist kein Kündigungsgrund
Im Verfahren von Brigitte Heinisch, Altenpflegerin in Berlin, gegen Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH urteilte der EGMR-Gerichtshof über deutsches Arbeitsrecht. Deutsche Richter hatten die fristlose Kündigung der Altenpflegerin bestätigt, die mehrfach auf die unzureichende Versorgung der Patienten aufgrund des Personalmangels hingewiesen hatte und schließlich im Dezember 2005 Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber wegen Betrugs erstattet hatte.
Deutsches Arbeitsrecht verstößt nach Meinung des EGMR-Gerichtshofes gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung - Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 10) ist vergleichbar mit Grundgesetz Art. 5. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburger hat die Bundesregierung angewiesen, der zu Unrecht von deutschen Gerichten verurteilten 50-jährigen Pflegerin aus Berlin 10.000 Euro Schadensersatz zu zahlen.
Das Urteil ist ein Schlag ins deutsche Arbeitsrecht. Es deckt ein lange bestehendes Versäumnis der Regierungen auf, zumal der Fall seit Jahren als Unrecht angeprangert wurde. Die Entlassung der Altenpflegerin bewegte zur gleichen Zeit die Gemüter, als noch Emmelys Schandurteil diskutiert wurde. Das Fehlurteil der Kündigung der Kaisers Kassiererin wegen 1,30 Euro Pfandbons wurde erst vom BAG aufgehoben.
Im Kern des EGMR-Urteils steht, dass eine vom Grundgesetz gedeckte (sachlich begründete) Kritik nicht als mangelnde Loyalität ausgelegt werden kann. Kritik ist vielmehr ein wichtiger Bestandteil jeder freiheitlichen Gesellschaft, zumal sonst auch niemand aus Fehlern lernt. Ein Arbeitnehmer muß auch das Mittel der Strafanzeige nutzen können, wenn er dadurch Mißstände zu beseitigen versucht.
Der EGMR stellt damit dem deutschen Arbeitsrecht ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Demnach müssen alle Arbeits-Richter und die dafür verantwortlichen politischen Instanzen noch viel über Menschenrechte, insbesondere über die Menschenrechtskonvention Art 10 lernen.
Auf die Fragen von Netzwerk IT:
- Wann und wo wird die Altenpflegerin wieder eingestellt?
- Wann wurden angeprangerte Mißstände beseitigt?
- Ist der Personalmangel behoben oder welche Planung hat das Unternehmen?
- Welche Kontrollen werden durchgeführt, damit keine weiteren Gründe der Beanstandung in Altenpflegehäusern entstehen?
ist bisher eine Stellungnahme des Unternehmens VIVANTES eingegangen, die für die Betroffene erst mit konkreten Inhalten auszufüllen wäre. Von sich aus ist das Unternehmen nicht auf ihre frühere Altenpflegerin zugegangen, um sich zu entschuldigen und die Kündigungen wiedergutzumachen.