Standpunkt - Information 17/09 Entgleisung mit Folgen! (III)
Nach der Entgleisung eines Berliner S-Bahn Zug am 1.Mai in Berlin, kommen nun immer mehr Folgeerscheinungen zutage. So besteht in diesen Tagen nur noch ein Notfahrplan bei der S-Bahn, der mit einem Drittel der S-Bahn Fahrzeuge gefahren wird. Das Chaos befindet sich ebenfalls in der Zentrale der S-Bahn. Dort wird versucht das Chaos als notwendige Sicherheitsüberprüfung zu verkaufen. Tatsächlich ist es das Ergebnis einer skrupellosen Optimierungswut an Mensch und Material. Die Arbeitsbedingungen der S-Bahner wurden in den letzten Jahren ebenso an ihre Belastungsgrenze gefahren, wie die Wartung der Fahrzeuge. Dabei mussten nicht nur Werkstattpersonale ihren Arbeitsplatz räumen. Das war nur möglich, da die Laufkilometer der Züge von einer Untersuchungsfrist bis zur nächsten verdoppelt wurden. Das Ergebnis, Mensch und Material sind am Ende ihrer Belastbarkeit.
Radscheibenriss auch bei DB-Regio
Nach Berichten von Eisenbahnern kam es in der vergangenen Woche bei mehreren Fahrzeugen der DB-Regio zu Vorfällen, die weitere Ermittlungen des Eisenbahn-Bundesamt (EBA) nach sich ziehen dürften. So fuhren in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mehrere mit Reisenden besetzte Doppelstockzüge über Halt zeigende Signale. Als Ursache wurden extreme Bremswegverlängerungen festgestellt. Sie hatten ihre Ursache an fehlenden Bremsbelägen an den Waggons. So waren diese Beläge nicht mehr vorhanden. Bis auf die Halterungen der Beläge waren diese abgenutzt. Die betroffenen Züge bremsten nur noch von Metall auf Metall. Die Bremswirkung lag bei Null, obwohl alle Bremsen an den Waggons eingeschaltet waren.
Ein weiterer Fall eines Radscheibenriss wurde letzte Woche an einem Doppelstockzug der Regionalexpresslinie 7 festgestellt. Ein aufmerksamer Kollege bemerkte diesen Riss bei einer Bremsprobe des Zuges in Wünsdorf/Waldstadt. Dieser Zug war zuvor auf der RE-Linie 7 zwischen Belzig – Berlin/Stadtbahn – Wünsdorf/Waldstadt unterwegs. Nach der Feststellung des Radscheibenriss am betreffenden Doppelstockwaggon, wurde dieser im Bahnhof Wünsdorf ausgekuppelt und abgestellt. Nur glückliche Umstände haben dazu geführt, dass es zu keiner Entgleisung kam. Die Züge der Regionalexpresslinien in Berlin/Brandenburg fahren mit bis zu 160 km/h. Eine Entgleisung durch einen Radscheibenbruch in Folge eines Riss an der Radscheibe wie bei der S-Bahn am 1.Mai in Berlin-Kaulsdorf, hätte bei einem Regionalexpress unvorstellbare Folgen nach sich gezogen.
Untersuchungsfristen verdoppelt
Laut Informationen aus dem Instandhaltungsbereich bei DB-Regio, wurden erst vor kurzem die Laufkilometer der Regionalzüge zwischen den sicherheitsrelevanten Wagentechnischen Untersuchungen von 3000 km auf 6000 km verdoppelt. Diese Heraufsetzung der Untersuchungsfristen und der damit verbundenen Einsparungen an Personal und Material, haben nicht zuletzt zu der fahrlässigen Gefährdung von Reisenden und Mitarbeitern bei der Berliner S-Bahn geführt. Somit wird nun auch bei DB-Regio mit Anordnungen des EBA zu rechnen sein.
Der weilen kommen die Untersuchungen und Radsatzauswechslungen bei der S-Bahn ins Stocken. Da keine neuen Radsätze in ausreichender Zahl vorhanden sind. Als Besteller der Radsätze hat die Deutsche Bahn auch jetzt einen entscheidenden Einfluss, welche Art von Achsen und ihren materiellen Bestandteilen der Achsen in den Fahrzeugen eingebaut werden. Prof. Markus Hecht von der Technischen Universität Berlin wies schon 2003 die S-Bahn Führung daraufhin, dass die verbauten Achsen bei den S-Bahnen nicht für Scheiben gebremste Züge geeignet sind. So berichtet uns ein ehemaliger Mitarbeiter des Hersteller der S-Bahn Züge, dass der Besteller, somit die Deutsche Bahn und auch der Senat von Berlin (kaufte 100 Viertelzüge der BR 481), massiven Druck auf den Hersteller ABB Daimler Benz Transportation (Adtranz) bzw. Bombardier Transportation Germany GmbH Hennigsdorf ausgeübt hat. Es sollten genau die Achsen eingebaut werden, die nun zum Desaster im Berliner Nahverkehr geführt haben.
Die Optimierungswut bei der Deutschen Bahn geht unterdessen weiter. So kam das Eisenbahn Bundesamt nicht um eine Anordnung herum, die eine zusätzliche Radsatzuntersuchung bei allen Güterwaggons vorsieht. Auslöser war die Entgleisung eines Flüssiggaswaggon in Italien. Dieser explodierte in Folge der Entgleisung. 24 Menschen kamen bei dieser Explosion ums Leben. Eine Rechtfertigung für ihre derzeitige intensive Arbeit braucht das Eisenbahn-Bundesamt allein durch diesen Fall nicht abgeben. Das wäre Sache der Gewinn orientierten Bahn-Konzerne die mittlerweile hinter fast allen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) in Deutschland stehen.
EBA leidet selber unter Sparmaßnahmen
Das Eisenbahn-Bundesamt musste in den letzten Jahren ebenfalls Sparmaßnahmen hinnehmen. So steht z.B. mittlerweile nur noch ein Mitarbeiter des EBA für Stichproben bei den EVU's in Berlin und Brandenburg zur Verfügung. Die offensive Arbeit des Eisenbahn Bundesamt kann somit auch als Desaster der Behörde angesehen werden, weil sie es in den letzten Jahren nicht geschafft hat den fortlaufenden Verlust der Sicherheit bei der Bahn aufzuhalten. Es wurde nicht nur bei sicherheitsrelevanten Untersuchungen an den Fahrzeugen der Deutschen Bahn gespart, sondern auch bei der Kontrolle der Einhaltung aller Sicherheitsvorkehrungen im Eisenbahnbetrieb durch das EBA. Dabei steht das Bundesverkehrsministerium als übergeordnet Behörde des EBA in der Verantwortung.
Der selbe Herr Tiefensee als Verkehrsminister der über die Folgen der Anordnungen des EBA klagt, hat in seiner Verantwortung gegenüber der Deutschen Bahn, genau diese Anordnungen des EBA provoziert und durch den fahrlässigen Umgang der Deutschen Bahn mit der Sicherheit auch die Verantwortung zu übernehmen. Ebenso wie die Bundestagsabgeordneten, die mit ihrer Stimme dem Expansionskurs der Deutschen Bahn auf Kosten der Sicherheit zugestimmt haben.
Räder, Fahrzeugrahmen und Drehgestelle brechen. Darum kümmert sich nun die technische Aufsichtsbehörde des Verkehrsministerium intensiv. Das EBA übernimmt diesen Part aber nicht für die überlasteten Mitarbeiter. Dieser Part obliegt den Gewerkschaften und Betriebsräten. Doch diese sind derzeit so harmlos in ihrer Rolle als Interessenvertreter der Mitarbeiter, wie die Geschäftsführungen mit ihrem Willen einen grundsätzlichen Neuanfang bei der Berliner S-Bahn umzusetzen. Es ist die mittlere Führungsebene die Statistiken geschönt haben und die sich seit Jahren entwickelte Misere verdeckten. Die Vorgaben der Gesellschafter und Geschäftsführung der S-Bahn musste zu jedem Preis umgesetzt werden. Dabei ging es dieser mittleren Führungsebene nur um den Erhalt ihrer Posten. Um jeden Preis, auch den die eigenen Mitarbeiter zu zahlen hatten und noch immer zahlen.
Selbstbetrug statt offene Aufarbeitung
Der Selbstbetrug und die Fälschung von Statistiken bei der S-Bahn erinnert viele S-Bahner an die real existierenden Zeiten. Ähnlich wie die DDR, geht nun nicht nur die S-Bahn in Berlin zu Grunde. Doch noch wehrt sich das Volk nicht gegen den Ausverkauf ihrer Grundinteressen. Noch immer wird von allen Rollenträgern bei der Berliner S-Bahn nur das Chaos verwaltet, aber die Ursachen werden weiterhin nicht abgeändert. Weil es weder von den einen, noch von den anderen Interessenvertretern gewollt ist. Gewinne und Expansionen stehen weiterhin über der Frage der Sicherheit und um erträgliche Arbeitsbedingungen der Eisenbahner.