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Standpunkt - Information 16/09 - Entgleisung mit Folgen !(II)

erstellt von Standpunkt-Redaktion — zuletzt verändert: 05.07.2009 18:38
Es sollte am 01.Mai 2009 eine unscheinbare Betriebsstörung bleiben, hat aber nun innerhalb eines Monats zum Sturz der gesamten Geschäftsführung der S-Bahn Berlin GmbH geführt.

 

Ein Radscheibenbruch an einer Achse der Baureihe 481 war der Auslöser einer Kettenreaktion von bisher unbekannten Ausmaß bei der Bahn. So war die fehlende Berichterstattung der Entgleisung ein untrügliches Zeichen, dass diese „Betriebsstörung“ nicht an die breite Öffentlichkeit gelingen sollte. Noch Tage zuvor berichteten die Medien von einer „unbedeutenden“ Entgleisung einer Rangierfahrt im Bahnhof Erkner. Doch am 01.Mai war es anders. Es handelte sich um einen besetzten Zug, der erst Minuten zuvor in den täglichen Betrieb geschickt wurde. Es war wohl auch die Besonderheit dieses Tages, dass diese besondere Betriebsstörung in den Berichterstattungen der Medien über Naziaufmärsche, massiven Gegendemonstrationen und Gewalt keinen Platz ließ.

 

So entschied sich die Standpunkt-Redaktion, die Umstände der Entgleisung und die versuchte Vertuschung durch die Unternehmensführung der S-Bahn an die Öffentlichkeit zu bringen. Mit dem Interesse an einer offenen Darlegung der Umstände dieser Entgleisung, in Zusammenhang mit den Entwicklungen einer fortschreitenden Optimierungswelle bei der Bahn, gingen wir an die Öffentlichkeit. Der klaren und offenen Darstellung der Umstände der Entgleisung und ihren möglichen Folgen, kamen einige Kollegen nicht gleich nah. Die vom Bahnvorstand instruierten Sprechern reagierten überheblich und herablassend über die Berichterstattung, nachdem sie auch von anderen Medien aufgegriffen wurde. So sollten auch die eigentlichen Missstände im Unternehmen verdeckt bleiben.

 

Das Eisenbahn Bundesamt (EBA) hingegen war nun informiert und in der Pflicht. So kam es auch, dass die Umstände der verschobenen Hauptuntersuchung des entgleisten Zug nachgegangen wurde. Eine umfassende Untersuchung des eigentlichen Radscheibenbruch dauert eine längere Zeit. Da die Gefahr, dass bei anderen Radsätzen ähnliche Risse auftreten können nicht ausgeschlossen ist, wurde durch das EBA entschieden, dass alle Fahrzeuge der betroffenen Baureihe 481 alle 7 Tage zur Untersuchung der Radsätze in die Werkstatt müssen. Doch diese Intervalle wurde von der S-Bahn nicht eingehalten. Ein planmäßiger Betrieb hatte Vorrang vor den Sicherheitsmaßnahmen an den Fahrzeugen.

 

Um Kosten zu sparen, wurde der Fahrzeugpark bei der Berliner S-Bahn in den letzten Jahren massiv reduziert. Schon mehrere Monate vor der nun entstandenen Situation, standen kaum noch Reservezüge zur Verfügung. So war es auch den Disponenten in den Werkstätten fast unmöglich, auf die Weisungen ihrer Vorgesetzten zu reagieren. Die angewiesene Priorität bezog sich auf den planmäßigen Einsatz der Züge und nicht auf die sicherheitsrelevanten Untersuchungen. Dadurch kam das EBA auch bei eigenen Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass die vereinbarten 7 tägigen Untersuchungsintervalle an den Fahrzeugen nicht eingehalten wurden. In diesem Zusammenhang wurde auch festgestellt, dass die S-Bahn Führungsetagen über Jahre hinweg angewiesen haben, die Radsätze der Fahrzeuge länger im Betrieb zu lassen, als es die Zulassung für die BR 481 durch das EBA vorsehen. Dieser verlängerte Einsatz der Radsätze wurde jedoch nicht von den Geschäftsführern angeordnet, sondern von der mittleren Führungsebene. Diese hat die Zielsetzung der Unternehmensführung durchgesetzt und angewiesen. Mehr Gewinne mit weniger Kosten durch Mitarbeiter und Fahrzeugwartungen. Das Unheil nahm seinen Weg.

 

Die 7 tägigen Untersuchungsintervalle wurden nicht eingehalten, der vorgeschriebene Austausch der Radsätze bei 1,2 Mio. km wurde nicht eingehalten und die Geschäftsführung der S-Bahn legte bei den Gesprächen mit dem EBA falsche bzw. gefälschte Daten vor. So legte das EBA kurzfristig bis zu 250 Fahrzeuge der BR 481 still, bis die vorgeschriebenen und angewiesenen Untersuchungen und Achsauswechselungen erfolgt sind. Ein dramatischer Einbruch bei der Bereitstellung von Fahrzeugen für den fahrplanmäßigen Betrieb war die Folge. Nachdem in diesem Jahr schon 9000 Zugfahrten aus anderen hausgemachten Gründen bei der S-Bahn ausfielen, hat auch der Auftragsgeber der Verkehrsleistungen, der VBB, mit Konsequenzen gedroht. Es ist nun offensichtlich geworden, dass bei die S-Bahn Führung gespart, optimiert und vertuscht hat. Dabei sind die falschen Versprechungen und Zusagen der S-Bahn Geschäftsführung vor dem Verkehrsausschuss des Berliner Abgeordnetenhaus am 26.01.09 nun als Lüge und als bewußtes Täuschungsmanöver anzusehen.

 

Nachdem nun das ganze Desaster aufgedeckt wurde, lag die Reaktion der Geschäftsführer in der Form vor, dass sie ihren Posten geräumt haben. So sollen neue Köpfe wieder Ruhe in das Unternehmen bringen. Noch eine Woche vor dem Rücktritt der gesamten Geschäftsführung, forderten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der S-Bahn die Beschäftigten auf, mit genau dieser Geschäftsführung wieder eng zusammenzuarbeiten. Nun geht weder der Betriebsrat in seiner Mehrheit, noch die Arbeitnehmervertreter auf die Positionen der Mitarbeiter ein. Ein Schweigen soll sich wieder über den tatsächlichen Kurs der Bahn legen. Es soll so weitergehen wie bisher, nur mit neuen Marionetten.

 

Die Marionetten die der Gesellschafter ausgetauscht hat. Aber die Gewinnabführungsverträge zwischen DB AG und S-Bahn Berlin GmbH wurden nicht aufgekündigt. Die Ziele der Bahn-Privatisierung und der weiteren Optimierungen der Bahn auf Kosten der Sicherheit sind noch lange nicht aufgegeben. So stehen auch im Regionalverkehr immer mehr Züge still, da es an Ersatzfahrzeugen fehlt und die Wartungsintervalle mit den daraus resultierenden Fahrzeugausfällen exorbitant in die Höhe getrieben wurden. Es ist eine Frage der Zeit, bis auch in anderen Bahnbereichen Achsen und Radscheiben brechen. Die Entgleisung in Köln und Berlin sind schon lange kein Zufall mehr, wie auch renommierte Experten in unzähligen Publikationen darlegen. Die Entgleisung eines Flüssiggaswaggon in Italien und der daraus folgenden Explosion ist auf eine Ermüdung der Radsatze zurückzuführen. Durch diese Katastrophe sind 22 Todesopfer zu beklagen.

 

Eine Klage, die sich in immer lauteren Tönen von mehr und mehr Mitarbeitern bei der Bahn in Wut und Zorn gegenüber den Verantwortlichen breit macht. Ob es die Geschäftsführer, Vorstände oder deren Handlanger sind, sie haben schon lange nicht mehr das Vertrauen der Beschäftigten. Diese Entwicklung zeigt sich auch in einem „Kommuniqué der S-Bahn Mitarbeiter“. Dieses Kommuniqué wurde dem Standpunkt zugespielt und zeigt offenen die Spaltung zwischen den Mitarbeitern und den Gewinn orientierten Managern bei der Bahn. Aber auch den Willen der S-Bahner, ihre Leistungsfähigkeit ihren Fahrgästen zur Verfügung zu stellen. Die Mitarbeiter, wie auch die Fahrgäste sind nicht mehr bereit, den Preis für die Gewinnmaximierung der Bahn-Konzerne zu zahlen.

 

So ist es sehr fraglich, welchen Kurs die Bundesländer als Besteller von regionalen Verkehrsleistungen verfolgen, wenn sie die Gewinnmaximierung der Deutsche Bahn AG kritisieren, aber es anderen Bahn-Konzernen mit dem Mittel der Ausschreibungen von regionalen Verkehrsleistungen ermöglichen wollen. Veolia, Keolis oder oder ... haben die gleichen Erwartungen an den Betrieb des Nah- und Regionalverkehr. Sie wollen Gewinne machen. Derzeit machen die privaten Bahn-Konzerne diese Gewinne hauptsächlich auf Kosten der Löhne ihrer Beschäftigten. Jeder Wille diese Löhne denen der Mitarbeiter der DB AG anzupassen, wird mit dem Kommentar abgelehnt, dass es sich dann für die Konzerne nicht mehr lohnen würde Verkehrsleistungen zu erbringen. Gewinne wollen alle Konzerne machen. Die verantwortlichen Politiker brechen den Konzernen dieses Recht zu, aber nicht den Fahrgästen und Mitarbeitern. So sind entspringen die Entwicklungen bei der Bahn den politischen Entscheidungsträgern. Sie sind es, die der DB AG und den anderen Bahn-Konzernen weiterhin ermöglich, ihre Gewinne auf unser aller Kosten zu machen.

 

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Kommuniqué der S-Bahn Mitarbeiter

 

 

Wir, die Mitarbeiter der Berliner S-Bahn …

… bitten unsere Fahrgäste angesichts des eingeschränkten Bahnverkehrs zu unterscheiden
zwischen uns Mitarbeitern und dem nur an einer Gewinnmaximierung ausgerichteten
Management der S-Bahn Berlin GmbH.

… haben in den letzten Jahren mit dem Verlust hunderter Arbeitsplätzen, mit zunehmender Flexibilisierung unserer Arbeitszeiten, sowie mit ständigen Produkivitätserhöhungen bereits einen hohen Preis für den Privatisierungskurs des Bahnkonzerns gezahlt.

… fordern die Deutsche Bahn AG als Gesellschafter der S-Bahn Berlin GmbH auf, für das
skrupellose und fahrlässige Verhalten der von ihr bestellten Geschäftsführer die Verantwortung zu übernehmen. Das Auswechseln von Führungskräften reicht nicht aus. Der Kurs der DB AG muss sich ändern.

… erwarten vom Senat von Berlin und von der Bundesregierung als Eigentümer der DB AG, den Privatisierungskurs der Bahn zu stoppen. Ein Börsengang, sowie die Ausschreibung von Verkehrsleistungen an andere Konzerne, dient weder den Interessen der Bahnkunden an einem sicheren und pünktlichen Zugverkehr, noch unseren Interessen am Erhalt der Arbeitsplätze und unserer sozialen Standards.

Unser Vertrauen zur Unternehmensführung der S-Bahn Berlin GmbH und zur DB AG als Eigentümer wurde zerstört. Wir, die Mitarbeiter der Berliner S-Bahn …

… wollen nicht für das ramponierte Image der S-Bahn und dessen finanzielle Folgen aufkommen. Verantwortungslose Manager, die sich nur den Renditeerwartungen verpflichtet fühlen, haben die Berliner S-Bahn in diese Misere geführt.

… sind nicht bereit, zusätzliche Leistungen zu erbringen, solange es keine Garantie für den Erhalt aller derzeitigen Arbeitsplätze und die für einen geordneten und sicheren Fahrbetrieb bei der Berliner S-Bahn nötigen Arbeitsplätze gibt.

… fordern den Betriebsrat der S-Bahn auf, zukünftig mit statt über die Mitarbeiter der S-Bahn zu entscheiden. Dazu zählt als erster Schritt, die sofortige Einberufung einer außerordentlichen Betriebsversammlung. Die Teilnahme ist allen Mitarbeitern zu ermöglichen.

Die Mitarbeiter der Berliner S-Bahn betrachten dieses Komminiqué als Grundlage, damit in Zukunft wieder ein leistungsfähiger, kundenorientierter und sicherer Betrieb der Berliner S-Bahn gewährleistet werden kann. Dies ist nur mit den Mitarbeitern und ihren Erfahrungen, Ideen und Leistungsfähigkeiten möglich.

Wir Mitarbeiter und unsere Fahrgäste, sollten dieses Kommuniqué an weitere Kollegen bzw. weitere Fahrgäste weiterverteilen.

Pressekontakt: S-Bahn-Mitarbeiter.web.de

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(3) Kommentare

Anonymer Benutzer 06.07.2009 14:12
Eine tolle Darstellung. Die Bürger danken für die Aufklärung! :)
Anonymer Benutzer 08.07.2009 11:25
gut zusammengefasst und recht sachlich, danke
Anonymer Benutzer 21.09.2009 12:47
Harter Deutsch in der Artikel