Zugkatastrophe bei Brüssel – spekulative Schuldsprechung statt Ursachenforschung
Um 08.40 Uhr Ortszeit prallten zwei Regionalzüge frontal aufeinander. Dabei kamen zahlreiche Fahrgäste und Bahn-Mitarbeiter ums Leben. Über einhundert Fahrgäste wurden schwer verletzt. Wie es zu einer der schwersten Zugkatastrophe in Belgiens Geschichte kommen konnte ist bisher nicht bekannt. Die Medien im In- und Ausland spekulieren derzeitig nur über die mögliche Schuldfrage. In diese Spekulationen mischt sich selbst ein Bürgermeister ein, indem er mit der völlig unhaltbaren Aussage aufwartet, der Lokführer habe ein „Halt“ zeigendes Signal überfahren. Statt fachkundige Eisenbahner zu Wort kommen zu lassen, wird auf die auch in Belgien überlasteten Lokführer mit dem Mittel der Spekulationen eingeschlagen, ohne dass diese sich dagegen wehren können.
Gewerkschafter der belgischen Bahn (SNCB) berichten, dass sie schon über Jahre hinweg gegen die unzumutbaren Arbeitsbelastungen der Lokführer hingewiesen haben. Seit 1991 ist die NMBS/SNCB ein sogenannter „selbständiger Betrieb“. Im Zuge der EU-weiten Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs wurde auch die NMBS/SNCB vom Staat in eine privatwirtschaftliche Selbstständigkeit entlassen. Seit dem 1. Januar 2005 ist der belgische Eisenbahnverkehr mit der Gründung der NMBS/SNCB Holding Group liberalisiert. So müssen bei der Suche nach den Ursachen für die Katastrophe auch die Umstände der Liberalisierung des Zugverkehrs bei der SNCB mit aufgenommen werden.
Weder die Lokführer, so dass sie diesen Unfall überlebt haben, als auch die Fahrgäste der Züge werden ihres Leben nicht mehr ohne weiteres glücklich werden. So darf ohne die Beteiligten weder über die Schuldfrage als auch über die tatsächlichen Ursachen spekuliert werden. Ein umfassender Untersuchungsbericht muss der Öffentlichkeit darlegen welche Ursachen zu der Katastrophe beigetragen haben und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind, damit sich eine Katastrophe, wie sie in Belgiern passiert ist, sich nicht wiederholen kann.
Nach einer Belastungsstudie der GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) aus dem Jahr 2009 kommt bei der Deutschen Bahn AG neben den bekannten technischen Unzulänglichkeiten auch die Überbeanspruchung des Personals hinzu. Bleibt nicht nur zu hoffen, sondern auch zu fordern, dass es keine weiteren Bahn-Katastrophen gibt, bevor die Bahn-Manager ihre Rolle im System Bahn nicht mehr in der Wertabschöpfung aus dem Fahrzeug- und Fahrwegmaterial, den Fahrgästen sowie den Mitarbeitern sehen.
GDL-Belastungsstudie: http://www.gdl.de/redaktionssystem/downloads/belastungsstudie1.pdf
zitiert nach http://brf.be/nachrichten/shownachricht?id=2860460