Kassiererin streikt, Kaisers kündigt wegen Verdacht und Gericht klärt Vorgänge nicht auf
Der Fall der gekündigten Kaisers-Kassiererin Emmely, die als letzte Beschäftigte am ver.di Streik teilgenommen hat, hat inzwischen bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Seitdem musste eine erstaunte Öffentlichkeit lernen, dass der Grundsatz "Im Zweifelsfall für den Angeklagten" nicht vor Arbeitsgerichten gilt. Dort reicht bereits der Verdacht einer Straftat aus (hier geht es um 2 Pfandbons im Wert von 1,30€), um nach 31 Jahren fristlos entlassen zu werden. Wer angesichts des großen Medienaufgebotes und der fast 100 Prozessbesucher/Innen gehofft hatte, dass Gericht würde wenigstens den Vorfall aufklären, wird eines schlechteren belehrt.
Eine seltsame Prozessführung und verdächtige Belastungszeug/Innen
Vorbemerkung: Pedro ist kein neutraler Beobachter. Ich bin als gewerkschaftlicher Basisaktivist der Meinung, dass die Kündigung von Emmely nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit wegen 1,30€ ein Skandal ist, egal ob der ihr vorgeworfene Betrug nun stimmt oder nicht. Aufgrund meiner Erfahrungen und Kenntnisse u.a. im Zusammenhang mit Kündigungen unbequemer Kolleg/Innen und Betriebsräte durch Firmen wie UPS, Siemens, Schlecker und LIDL bin ich mir durchaus bewußt, dass Gerichte in "politischen" Verfahren auch politisch entschieden. Insofern habe ich mich heute früh ohne große Illusionen auf den Weg ins Arbeitsgericht Berlin am Magdeburger Platz gemacht. Was dort zwischen 9.00 Uhr und 11.30 Uhr geschah, kann man nur noch als Farce bezeichnen.
Nachfolgend die ganz persönliche Zusammenfassung meiner Eindrücke:
Da ich am Montag an der Solidaritätskundgebung vor Kaisers in Friedrichshain teilgenommen hatte, wusste ich grob um was es ging. Emmely hat am Einzelhandelsstreik von ver.di teilgenommen und als einzige von ursprünglich acht streikenden Kolleg/Innen nach Gesprächen mit dem Chef den Streik aufrecht erhalten. Einige Zeit später kündigt ihr Kaiser fristlos wegen falsch abgerechneter Pfandbons im Wert von 1,30€.haben soll. Was ihr im Detail vorgeworfen wird, weiss ich nicht, als ich den Gerichtssaal betrete.
Die Beweisaufnahme beginnt mit der Vernehmung von drei Zeug/Innen zum Auffinden der Pfandbons am Samstag den 12.1. am Backshop. Die Kollegin vom Backshop, die Hauptbelastungszeugin und der Marktleiter werden vernommen. Ziemlich langatmig wird ausgesagt, dass am Backshop gegen Mittag zwei nicht abgerechnete Pfandbons auftauchen, von der Kollegin in den Kassenraum gebracht werden . Dort gibt der Marktleiter Emmely die Anweisung, die Pfandbons an sich zu nehmen, da es gut sein könnte, dass sich der Kunde noch meldet. wenn das nicht der Fall ist, sollen sie als Fehlbons abgerechnet werden. Emmely legt die Bons wohl im Kassenraum auf dem Kabelkanal überm Schreibtisch ab. Auf Nachfrage vom Richter wird ausgeführt, dass das Personal eigenes Pfandgut vor Dienstantritt abgeben muss, der Bon wird dann vom Marktleiter oder seinem Vertreter unterzeichnet und kann dann später bei einem Personaleinkauf eingelöst werden.
Was soll dass ganze? Nicht nur ich frage mich das, auch andere Besucher/Innen lesen Zeitung oder gehen sich einen Kaffee holen. Spannend wird es zum erstenmal als der RA von Emmely die Hauptbelastungszeugin befragen will. Ob es stimme, dass sie mit Emmely Streit hätte und darum gebeten habe, in eine andere Schicht versetzt zu werden? Ob sie am 19. an der Party mit dem Bowling teilgenommen habe? Die Zeugin empört sich, das habe mit der Sache nichts zu tun. Die RA'in von Kaisers springt ihr bei und der Richter läßt die Fragen nicht zu, obwohl der RA darauf hinweist, dass die Glaubwürdigkeit der Zeugin natürlich Thema der Beweisaufnahme sein müsse. Für mich neu ist auch das Prozedere, dass der vorsitzende Richter die Aussagen der Zeug/Innen in seinen eigenen Worten zusammenfasst und zu Protokoll gibt. Dass er dabei Ausagen wegläßt, die meines Erachtens für die Aufklärung der Geschehnisse von Bedeutung sein könnten, wird mir im Laufe des Vormittag mehrmals aufstossen. In der Situation gibt er Vorsitzende meines Erachtens die Worte der Zeugin insofern tendenziös wieder, als er ihre spontane, empörte Aussage "Das habe mit dar Sache nichts zu tun." Im übrigen könne sie das eh nicht entscheiden dahin hingehend zusammenfasst, dass er einen Kausalzusammenhang herstellt, wonach die Zeugin das nicht getan habe, da sie darüber eh nicht entscheiden könne.
Der nächste Zusammenstoss erfolgt bei der Aussage des Marktleiters. Als der RA von Emmely ihm die Frage stellen will, ob er das Handbuch von Kaisers-Tengelmann , Abschnitt xyz kenne, wonach Fundsachen im Wert unter 10€ ins Kontrollbuch einzutragen sind und dort 6 Monate aufgehoben werden müssen, fallen der Richter und die RA'in von Kaisers über ihn her. Das sei kein Beweisthema. Eine Aussage, die an diesem denkwürdigen Vormittag in allen für Kaisers kritischen Situation zum Totschlagargument werden wird. Der RA gibt nicht nach, erhebt Protest, erläutert seine Frage. Er will wissen, wie es zu erklären sei, dass der Marktleiter in diesem Fall gegen diese Dienstanweisung verstossen habe. Dass sei auch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen von Bedeutung und deshalb rechtlich als Beweisthema einzustufen. Der Richter, der dass eben noch vehement bestritten hat, kommt nach 2-minütiger Beratung mit seinen Beisitzern zurück und verkündet überraschend, die Frage sei zulässig. Ob er wohl Angst hatte, dass eine wörtlich protokollierte Ablehnung der zulässigen Frage einen Revisiongrund liefern würde? Nachdem der Richter bei anderer Gelegenheit lang und breit seine Rechtsauffassung vertritt und erläutert, kommt es mir merkwürdig vor, dass er hier einknickt. Jedenfalls muss der Marktleiter antworten. Er redet sich damit raus, dass das nur für Geld gelten würde, Pfandbons werden dagegen grundsätzlich anders behandelt, nämlich so wie er Emmely angewiesen habe (Einige Tage aufheben, ob sich der Kunde meldet und dann als Fehlbon abrechnen).
So endet die erste Runde für Uneingeweihte wie mich wenig erhellend hinsichtlich dessen, was nun eigentlich Sache ist. Mir bleibt noch in Erinnerung, dass sich die Parteien darüber streiten, ob die Pfandbons in der darauf folgenden Woche noch im Kassenraum gelegen haben oder nicht. Das scheint für den Fall eine Rolle zu spielen, jedenfalls werdenalle drei Zeug/Innen danach befragt. Interessant ist die Situation, wo die Hauptbelastungszeugin zunächst aussagt, dass sie dies nicht sagen könne. Die RA'in von Kaisers rettet ihre Glaubwürdikeit, indem sie ihr von Gericht unbeanstandet ihre ursprüngliche schriftliche Aussage zum Lesen gibt. Damals im Februar hat sie das Gegenteil zu Protokoll gegeben. Die Erklärung für diese Situation liefert die RA'in ihrer Zeugin durch eine Suggestivfrage gleich mit. Ob es denn so wäre, dass das, was sie im Februar ausgesagt habe, ihre damaligen Erinnerung entsprochen habe? Das sei sicher so, gibt die Hauptbelastungszeugin erleichtert zu Protokoll, wobei der Richter aus dem Gesagtem eine juristisch schön klingende und harmonische Aussage macht, die - welch Zufall - im Gegensatz zu einem echten Wortprotokoll nicht mehr enthält, dass die RA'in von Kaisers der in dem Moment als Lügnerin darstellenden Zeugin die Antwort in den Mund gelegt hat.
Nach Ende der ersten Runde hatte ich den Eindruck, dass das alles etwas konstruiert ist in dem Sinn, dass da ein alltägliches Geschehen im Arbeitsleben nachträglich als Vorwand für eine Kündigung genommen wurde. Der Marktleiter hat z.B. bei der Frage nach dem Details des Geschehens nach dem Auffinden der Pfandbons am 12. Januar eine wie ich finde, sehr ehrliche Aussage gemacht. "Er wisse das nicht mehr so genau. Damals habe ja kein Mensch ahnen können, dass so eine Sache solche Wellen schlagen würde."
Dann geht es um die Beweisführung bezüglich des 22. Januars. Jetzt schlägt die große Stunde von Kaisers und ihrer Hauptbelastungszeugin. die erzählt flüssig, dass Emmely an jenem Tag nach ihrer Schicht einen Personaleinkauf getätigt, dabei zwei Pfandbons vorgelegt habe, die vom 12. Januar waren (zumindest an einen Bon im im Wert von 48 Cent will sie sich ganz genau erinnern können) und die nicht abgezeichnet waren. Sie habe diese von der Rechnung abgezogen. die 1. Kassiererin, die neben Emmely gestanden habe, habe zu ihr gesagt, sie solle mal nachsehen, ob die Pfandbons noch im Kassenraum wären. das hätte sie auch gleich getan und die seinen nicht mehr dort gewesen. Die Zeugin wird als erstes von der RA'in von Kaisers "befragt". Die nutzt ihr Fragerecht durchaus geschickt, um weitere Verdachtsmomente in die Verhandlung einzubringen. Ob die Zeugin sich mal das E-Journal anschauen könne, ob daraus hervorgehe, dass an jenem Tag nur einmal Bons im fraglichen Wert eingelöst wurden, ob dies mit der abendlichen Zusammenstellung und Abrechnugn der Pfandbons deckungsgleich wäre usw.
Ich muss ganz ehrlich gestehen, das klang alles total plausibel. Au Backe, vielleicht hat Emmely ja doch einen "Betrug" begannen und hat sich blöderweise dabei erwischen lassen? Das klang sogar so überzeugend, dass sogar ich als parteiischer Zuhörer im ersten Moment dachte, dass klingt wie der lückenlose Beweis eines Fehlverhaltens. Nach der Frage von Emmely's RA, ob denn noch andere Kunden an der Kasse gewesen wäre und ob sie tatsächlich sofort im Kassenraum nachgeschaut habe, gibt es wieder einen Disput mit dem zunehmend gereizteren Richter. Der hatte vorher schon der Hauptbelastungszeugin mehrfach nahe gelegt, dass das ja eine schwierige Situation sei und wenn sie müde sei, würde er jederzeit die Verhandlung unterbrechen. Kaisers Hauptbelastungszeugin scheint eher ein einfaches Gemüt zu sein. Jedenfalls versteht sie den subtilen Rettungsanker des Richter nicht und betont mehrmals, sie sei nicht müde. Während vorne der Disput tobt, rattert es in meinem Kopf. Noch ganz unter dem Eindruck der scheinbar so plausibel aufgebauter Belastungskette, taucht die entscheidende Frage auf, die sich hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin stellt.
Angenommen Emmely hätte den Betrug begangen, wieso hat die Hauptbelastungszeugin dann einen unkorrekten Bon akzeptiert? Kann ja mal vorkommen in der Hektik des Alltags an der Kasse. Diese Erklärung scheidet aus, weil erstens der Richter inzwischen den Disput mit seiner unnachahmlichen Art der freien Protokollführung beendet hat und diktiert, der Laden sei leer gewesen und zweitens die Zeugin selbst ausgeführt hat, das sie den kleingedruckten Wert und das Datum des Bons (48 Cent, 12.1.2008) erkannt habe. Scheinbar ist ihr in dem Augenblick sofort die Erinnerung an einen 10 Tage zurückliegenden Vorfall (Auffinden des Bons am Backshop und Gespräch des Marktleiters mit Emmely im Kassenraum) gekommen, obwohl so etwas auch nach Aussage des Marktleiters eine alltägliche Bagatelle ist. Aber das der Bon entgegen der Vorschrift nicht korrekt abgezeichnet war, zu übersehen? Nein, diese Überlegung von mir führt in die Irre und die Zeugin hat ja auch selbst gesagt, dass der Bon nicht abgezeichnet gewesen ist.
Warum hat die Hauptbelastungszeugin offenbar wissentlich nicht korrekt abgezeichnete und für sie suspekte Pfandbons akzeptiert, statt Emmely direkt zur Rede stellen bzw. entsprechend ihren Pflichten als Arbeitnehmerin den Marktleiter hinzu zu ziehen? Es gibt nur zwei logische Erklärungen für die Situation. Entweder hat die Hauptbelastungszeugin wissentlich einen Betrug ihrer Kollegin Emmely gedeckt - dann wäre sie zumindest der Beihilfe zum Betrug überführt, was ebenfalls eine Kündigung durch Kaisers nach sich ziehen müsste. Dann wäre doch wohl zumindest die Glaubwürdigkeit einer solchen Hauptbelastungszeugin gründlichst zu hinterfragen, was das Gericht aber sorgsam vermeiden hat.
Oder die ganze Sache war ganz anders. Könnte es sein, dass der Slogan der Solidaritätskampagne "Kassiererin streikt - Kaisers kündigt" am Ende doch ins Schwarze trifft? Dann hätten wir es aber mit einer Intrige gegen Emmely zu tun, bei der sich einige Leute nicht nur die Hände schmutzig gemacht hätten, sondern gleich eine ganze Latte von schweren Straftaten begangen haben. Während mir noch all diese Gedanken durch den Kopf gehen, rattert die RA'in von Kaisers professionell und sachlich ihr Plädoyer runter. Dann kommt Emmely's RA. Die Zeug/Innen seien unglaubwürdig und der Sachverhalt alles andere als aufgeklärt. Das Handbuch von Kaisers zum Umgang mit Fundsachen entspricht dem Gesetz und es sei durchaus zu prüfen, ob hier nicht ein öffentliches Interesse an einer Anzeige bestände. Immerhin habe der Marktleiter quasi die Anweisung zur Fundunterschlagung gegeben. Jedenfalls dann, wenn man der Argumentation von Kaisers folge, wonach es sich hier um eine schweres Vermögensdelikt handle. Dann kommt der Hinweis auf die ungeheuerliche Verhandlungsführung, wo der Richter zugelassen hat, dass die RA'in von Kaisers per Blickkontakt und Suggestivfragen die Zeug/Innen beeinflusst, die Behinderung der Beweisaufnahme durch den Richter, der alle kritische Fragen abzuwürgen versucht und nur ein Beispiel dafür, dass die Hauptbelastungszeugin lügt. als Emmely die Pfandbons eingelöst haben soll, war nach ihrer Aussage noch mehr Kunden an der Kasse. Es sei aber offensichtlich unwahr, dass eine Kassiererin bei einer Schlange an der Kasse aufstehe und in dem Moment nach hinten in den Kassenraum geht, um dort nach den Pfandbons vom 12. Januar zu gucken. "Das kann so nicht stimmen." Die 1. Kassiererin, die neben Emmely gestanden haben soll und der Hauptbelastungszeugin die Anweisung gegeben hat,nach hinten zu gehen, hat einige Monate vorher die Anweisung gegeben, drei Karten mit 100 Digitpoints durch den Scanner zu ziehen. das sei ein vollendeter Betrug, den Kaisers aber nur mit einer Abmahnung geahndet habe. An dieser Stelle tobt die Kaisers RA'in, das seien unbewiesene Behauptungen, die verspätet in den Prozess eingeführt wurden und deswegen nicht mehr erörtert werden dürfen.
Nach kurzer Beratung verkündet der Richter das Urteil. Die Klage wird abgewiesen, die Verdachtskündigung sei zulässig. Es folgen einige kurze juristische Ausführungen zur Beweisaufnahme und der BAG-Rechtsprechung bezüglich Verdachtskündigungen. Und dann kommt der Hammer zum Schluss.Das Gericht habe sich ausführlich den Kopf zerbrochen, ob hier ausnahmsweise eine Abwägung stattfinden könne. Das sei aber laut BAG nur möglich, wenn der Arbeitnehmer in einem solchen Fall sei Fehlverhalten einräume und bereue und glaubhaft versichere, es nie wieder zu tun. Einen solchen Antrag habe der Rechtsvertreter der Klägerin aber nicht gestellt. Im Gegenteil hätte er immer wieder geschrieben, dass Emmely richtig gehandelt habe. Hätte der RA diesen Antrag gestellt, dann hätte die Kammer der Klage wohl recht gegeben. Also sei praktisch der RA schuld, dass Emmely verloren habe. "Absurd", rutscht es aus Emmely's RA raus.