"Deutschland ist kein Standort für UMTS R&D"
Alle Betriebsversammlungen fanden in Alcatel-Lucent Deutschand gleichzeitig statt. Der Vorstand saß in Stuttgart und verkündete per "Netmeeting" (Videokonferenz) die schlechten Nachrichten. Nach einer kurzen Rede des Betriebsratsvorsitzenden gab es in Nürnberg eine Kundgebung vor dem Haupteingang. Dort wurde allen Anwesenden vorgeschlagen, gleich nach Hause zu gehen, sprich eine verlängerte Mittagspause zu machen!
In einer Betriebsversammlung kündigte der Vorstand per Netmeeting der Belegschaft in Nürnberg 270 weitere Entlassungen an.
Für jeden Vorstandsbereich wurde nach einer kurzen Begründung die Entlassungszahlen für Deutschland bekanntgegeben. Entlassen wird fast überall, insgesamt gibt es einen Abbau von 658 Arbeitsplätzen und einen Aufbau von 50 Arbeitsplätzen.
In der Entwicklung werden entweder Projekte eingestellt, die Arbeit verlagert (UMTS) oder wie im Fall Access an die indische IT-Firma Wipro verkauft. Alle produktnahen Aktivitäten sollen in Niedriglohnländer verlagert werden, wo es "Shared Centers" geben werden.
Die Gesichter der KollegInnen im UMTS sind auseinandergefallen, als das für Nürnberg zuständige Vorstandsmitglied erklärte, Deutschland sei kein Standort mehr für UMTS R&D. Die Arbeit werde in Frankreich konsolidiert. Ein Raunen ging durch die Reihen. Diese Entscheidung kostet allein 100 Arbeitsplätze.
Insgesamt sind 270 Arbeitsplätze in Nürnberg betroffen. Um dies zu verdeutlichen, bat der Betriebsratsvorsitzende, Reynaldo Zavala, alle die auf der linken Seite saßen, aufzustehen. Die Anzahl der Stühle dort entsprachen der Anzahl der Entlassungen.
Ferner bat Reynaldo uns, die KollegInnen von Anymedia zu unterstützen. Obwohl es "nur" um 33 Menschen gehe, gehen deren Schicksale uns alle an. Es scheint so zu sein, daß Anymedia ein Präzedenzfall wird, da weitere "Auslagerungen" folgen könnten.
Reynaldo rief uns auf, Signale zu setzen. Die Arbeit geht nach Frankreich, weil die Kollegen dort laut geschriehen und demonstriert haben. Das müssen wir auch und der erste Schritt wäre sich jetzt vor dem Haupteingang zu sammeln.
Die Betriebsversammlung wurde unterbrochen und wir sammelten uns vor dem Haupteingang.
Dort gab es eine kurze Kundgebung. Die Betriebsversammlung soll erst dann fortgesetzt werden, wenn der komplette Vorstand anwesend ist, damit wir Auge im Auge mit ihm reden können. Der Vorschlag wurde uns unterbreitet, jetzt nach Hause zu gehen.
Heute wurde nicht mehr ernsthaft gearbeitet. Wer nicht gleich nach Hause ging, beteiligte sich an die unzähligen Diskussionen, die dann stattfanden.
Wozu braucht man einen Vorstand, der doch nur Vorgaben ausführt?
Mir ging es jedenfalls anders. So einen Vorstand brauche ich nicht, der nur gegen die Belegschaft handelt. Man kam sich nur vor wie in einem schlechten Film. Der Film hieß: "Exodus einer kompletten Entwicklungsmannschaft".
Die Fusion der transatlantischen Telekommunikationsriesen hatte schon einen Aderlass verlangt und die Belegschaft am Nordostpark um fast ein Viertel reduziert. Jetzt sollten fast noch einmal soviel Entlassungen dazukommen. Was bleibt dann eigentlich noch? Wie lange hat ein Rest selbst eine Überlebenschance?
Die Videoveranstaltung erregte die Gemüter. Viele fragen sich, ob das der Anfang von High-Tech Personalpolitik ist, ob die Kündigungen auch noch als Video verpackt werden, um daraus gleich einen Film für die Nachwelt zu machen: "Der Untergang von Alcatel-Lucent Standorten".
Wie vor einer Woche reagierten diesmal deutlich mehr auf den Aufruf zur Demonstration nach der Versammlung, denn bei so einer Kündigungungswelle geht sowieso alles durcheinander. Projekte gehen den Bach runter, in denen für die Zukunft entwickelt werden sollte und in denen diese Belegschaft ihre Ziele gesehen hatte.
Die Betriebsversammlung wurde unterbrochen, die gar keine war. Ob man sich überhaupt per Video zu Versammlungen rufen lassen soll?