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Unternehmensfreundliche Justiz – Ein Urteil von der plumpen Sorte

erstellt von oops zuletzt verändert: 24.08.2008 10:05
Am 21. Februar 2006 fand vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht der Prozess zwischen UPS Ditzingen und seinem Betriebsratsvorsitzenden Mahmut Gemili statt. Der Prozess war nicht der erste Versuch von UPS, diesen engagierten Betriebsrat loszuwerden, schon seit Jahren regnet es Kündigungs-, Amtsenthebungs-, Betriebsrats-Auflösungs- und sonstige Verfahren.

In einem früheren Verfahren hatten Managementangehörige behauptet, Gemili habe ihnen angeboten, gegen eine Abfindung von 150.000-170.000 Euro alle gewünschten Betriebsvereinbarungen zu unterschreiben. Nachdem dies abgelehnt worden sei, habe er angedroht, dem Unternehmen in Zukunft nur noch Schaden zufügen zu wollen. In der zweiten Instanz wurde das Urteil kassiert, vor allem weil inzwischen ein Mitschnitt von einem Telefonat mit dem Personalchef aufgetaucht war, aus dem hervorging, dass tatsächlich umgekehrt das Management vergeblich versucht hatte, Gemili mit einer hohen Abfindung zu bestechen.

Nach dieser Niederlage machte das Management einen neuen Versuch. Jetzt nahm es den Telefonatsmitschnitt, der ihm im vorigen Prozess das Spiel verdorben hatte, zum Beleg, dass Gemili systematisch Telefonate ohne Wissen der Gesprächsteilnehmer (und somit illegal) mitgeschnitten habe und kündigte ihm. Der Betriebsrat lehnte die Kündigung ab und erneut traf man sich vor dem Arbeitsgericht. Kollege Gemili schilderte vor Gericht plastisch, dass der Anrufbeantworter im Betriebsratsbüro jahrelang Fehlfunktionen aufwies, aber das Gerät durch Schläge auf die Seite oder Herausnehmen bzw. Umdrehen der Kassette wieder zum Funktionieren gebracht werden konnte. Eine dieser Fehlfunktionen war, dass sich der Anrufbeantworter manchmal bei Telefonaten einschaltete. Im Herbst 2003 war die Kassette aber so abgenutzt, dass er eine neue kaufen musste. Da es die Kassetten in dem betreffenden Geschäft nur im Dreierpack gab, kaufte er drei Stück, eine davon kam in den Anrufbeantworter, die anderen trug er eine Zeitlang in seinem Aktenkoffer spazieren. Das erkläre, warum aus dem Aktenkoffer Kassetten herausfielen, als er einmal versehentlich aufging (was neben dem Vorhandenseins des einen Mitschnitts der Haupt“beleg“ für das systematische Mitschneiden von Telefonaten sein sollte). 2005 war der Anrufbeantworter endgültig kaputt, ein neuer wurde angeschafft, der alte stand unbenutzt im Betriebsratsbüro. Nach einigen Monaten entdeckte Kollege Gemili zufällig, dass auf der Kassette ein nicht gelöschter Mitschnitt von dem Telefonat mit dem Personalchef war. Das Datum des Telefonats konnte er rekonstruieren, weil der Personalchef ihm gute Besserung wünschte und in seinem Terminplan stand, dass er im November 2003 eine Woche krank war.

Die UPS-Anwältin warf Kollegen Gemili vor, widersprüchliche Angaben zu machen, insbesondere betreffs des Zeitpunkts, wann der Anrufbeantworter kaputtgegangen sei. Kollege Gemili hatte ausführlich geschildert, dass der Anrufbeantworter erst Funktionsstörungen hatte und danach vollends kaputt ging. Dass er für den Beginn der Funktionsstörungen und die endgültige Unbrauchbarkeit des Geräts verschiedene Zeitangaben machte, ist daher kein Widerspruch, sondern logisch – schließlich handelte es sich um verschiedene Ereignisse zu verschiedenen Zeitpunkten. Das sollte eigentlich auch für Juristen nachvollziehbar sein. Der Richter wunderte sich noch darüber, warum Kollege Gemili für den Anrufbeantworter neue Kassetten gekauft habe, der bereits Funktionsstörungen aufwies. Da ihm erklärt worden war, dass dieser Anrufbeantworter trotz der Funktionsstörungen noch über ein Jahr benutzt wurde, ist diese Verwunderung etwas verwunderlich. Warum der Mitschnitt gerade dieses Gesprächs erhalten blieb, weiß niemand. Aber Kollege Gemili erklärte, dass Anrufe, nachdem sie abgehört wurden, gelöscht wurden und dass die Kassette wegen der Funktionsstörungen gelegentlich herausgenommen und umgedreht wurde. Insofern ist es erklärlich, dass eine Aufnahme, die versehentlich durch die Funktionsstörung des Geräts entstand, von der während der Nutzungsdauer des Anrufbeantworters niemand wusste, die deshalb damals niemand abhörte und folglich auch niemand nach dem Abhören löschte, erhalten blieb.

Die UPS-Anwältin hielt es nicht für nötig, die Frage zu beantworten, warum Kollege Gemili den Mitschnitt nicht schon in erster Instanz präsentiert hatte, wenn ihm dessen Existenz damals bekannt gewesen wäre. Weiterhin fällt es dem Verfasser dieses Berichts schwer sich vorzustellen, wie in einem Betriebsratsbüro, in dem doch nicht nur der Betriebsratsvorsitzende ein- und ausgeht, sondern auch z.B. andere (und in diesem Betrieb teilweise auch dem Management sehr wohlgesonnene) Betriebsratsmitglieder, dieser Betriebsratsvorsitzende jahrelang systematisch Gespräche mitschneiden kann, ohne dass das Management dafür solide Hinweise findet – dasselbe Management, das Gemili und seine Familie zeitweise durch Privatdetektive beschatten ließ. Das Arbeitsgericht wurde von solchen Fragen offenbar nicht geplagt. Drei vom Management benannte Zeugen wurden wieder nach Hause geschickt, von der Verteidigung benannte Zeugen waren erst gar nicht geladen worden, einer war trotzdem anwesend.

Das Gericht fand diese „Beweislage“ ausreichend, um die Kündigung zu bestätigen. Dass wir in Deutschland Klassenjustiz haben ist eine Sache, dass ein Gericht sich so wenig Mühe gibt, das zu verschleiern, ist trotzdem erstaunlich. Wenn diese Rechtsauffassung sich durchsetzt, dann ist der besondere Kündigungsschutz für Betriebsräte nur noch ein Fetzen Papier, dann können Arbeitgeber Betriebsräte mit an den Haaren herbeigezogenen Beschuldigungen kündigen und das dann vom Arbeitsgericht durchwinken lassen. Wenn wir nicht wollen, dass demnächst Betriebsräte gefeuert werden, weil sie angeblich auf dem Besen zum Blocksberg geritten sind oder den Dackel des Direktors verhext haben, müssen wir jetzt den Kollegen Gemili und die anderen kämpferischen Betriebsräte bei UPS unterstützen. Das einzig Positive an diesem Prozess waren die vielen ZuschauerInnen. Ver.di hatte den Termin in den offiziellen Terminplan des Streiks der kommunalen Beschäftigten aufgenommen. Er war auch auf Streikversammlungen angekündigt worden. Neben zahlreichen Streikenden nahmen noch eine Reihe weiterer KollegInnen an dem Prozess teil, so dass der Gerichtsraum überfüllt war.

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