Wieder Streik im Nahverkehr
Der sich bereits monatelang, immer wieder von Gerichten unterbrochene Streik bei der Bahn hat heute wie in Frankreich den öffentlichen Verkehr zum Erliegen gebracht, AFP vom 18.10.07.
Aller Voraussicht nach kann der Arbeitskampf noch lange weitergehen, weil die Forderungen der Tarifparteien immer noch weit auseinanderliegen. Inzwischen bekommen die Streikenden die Wut der Passagiere zu spühren.
Allmählich muß sich auch die Bahn fragen, warum ihr die Tarifeinheit wichtiger als eine Einigung auch mit der GdL ist, weil das Solidaritätsprinzip doch eher Thema der Gewerkschaften ist. Hätte es die Bahn leichter, auf die Tarifeinheit zu verzichten und die einzelnen Tarifparteienen gegeneinander auszuspielen? Ganz geschickt setzt die Bahn jetzt bereits die Konkurrenz der Gewerkschaften untereinander ein, um die kleinere GdL zu disziplinieren. Ob das allerdings gelingt, ist inzwischen mehr als fraglich.
Bei den Gewerkschaften deutet sich hingegen ein stärker werdender Wettbewerb an, in dem Minderheiten sich ihrer Schlüsselposition bewußt sind. Das kann auch an zu voreilig geschlossenen Kompromissen der Vergangenheit liegen, die diese Minderheiten nicht mittragen.
Was ist geschehen? Eigentlich nichts Besonderes: Eine kleine Gewerkschaft, die Gewerkschaft der Lokführer (GDL), Vertretung des Fahrpersonals bei der Bahn, stellt Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen und macht Anstalten, die auch durchzusetzen. Damit ruft sie alle ehrenwerten Instanzen der Nation auf den Plan.
Was dürfen Gewerkschaften fordern, wie ihre Forderungen vertreten und wie weit mit ihren Streikdrohungen gehen? Wo endet die Erlaubnis zum Arbeitskampf? Und
wie soll überhaupt eine ordentliche Arbeitervertretung organisiert sein? Sind Einheitsgewerkschaften nach Art der DGB-Gewerkschaften das Rechte oder können und
sollen konkurrierende Berufsgewerkschaften eine nützliche Rolle spielen? Grundsatzfragen dieses Kalibers bewegen diesen Sommer die deutsche Öffentlichkeit.
Mit Berufung auf höchste Rechtsgüter und gültige Sitten in der deutschen Arbeitswelt verbreiten sich Journalisten, Juristen und Politiker öffentlich darüber, wie eine Interessenvertretung der Lohnabhängigen generell auszusehen hat, die in die wirtschaftliche, soziale, rechtliche und politische Landschaft passt.
Die maßgebliche Welt sieht sich aufgerufen, die Maßstäbe zu diskutieren, an denen sich hierzulande die Anliegen der arbeitenden Menschheit zu orientieren haben, und damit in Erinnerung zu bringen, dass die Vertretung von Arbeiterinteressen
grundsätzlich eine Sache der Genehmigung ist, über die vom Standpunkt des großen Ganzen und keinesfalls vom parteilichen Standpunkt der Betroffenen aus entschieden wird.
Der Lohnkampf der GDL gerät zu einem Lehrstück:
über die Anspruchshaltung, mit der hierzulande dem Ansinnen von Arbeitnehmern, ihre Einkommenslage und die Leistungsanforderungen zu ihren Gunsten zu korrigieren, begegnet wird;
über die Mittel, mit denen dies Ansinnen bekämpft wird;
also darüber, wie unverträglich diese Anliegen der Beschäftigten mit den hierzulande gültigen Interessen sind.
Audiovortrag:
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