Nokia Siemens Networks: Betriebsratsstruktur im Strukturtarifvertrag nicht vereinbar mit BAG Rechtssprechung
22.04.2012 von Inken Wanzek / Christine Rosenboom (http://blog.nci-net.de)
Im Strukturtarifvertrag, den man auch BR-Rettungstarifvertrag nennen könnte, wurde zwischen den vier neu gegründeten Gesellschaften (NSN International GmbH, NSN Deutschland GmbH, NSN Operations GmbH und NSN Optical GmbH), der Nokia Siemens Networks GmbH & Co.KG und der IG Metall München vereinbart „eine unternehmensübergreifende, einheitliche Arbeitnehmervertretungsstruktur“ zu errichten.
Im Klartext heißt dies, der Betriebsrat ist für alle Mitarbeiter der vier Gesellschaften in München zuständig und die BR-Mitglieder „überleben“ solange mindestens eines der vier Unternehmen in München erhalten bleibt.
Dieses NSN/IGM-BR-Konstrukt ist jedoch im Sinne der BAG-Rechtssprechung nicht zulässig und dürfte ziemlich sicher einer richterlichen Prüfung nicht standhalten. Außerdem besteht für die Mitarbeiter der vier neuen Unternehmen ein erhebliches Rechtsrisiko, das zur Konsequenz haben kann, dass vereinbarte Sozialpläne und Beteiligungsrechte ins Leere gehen.
Die vier neuen Gesellschaften müssen daher entgegen dem Strukturtarifvertrag jeweils einen eigenen Betriebsrat wählen. Die Betriebsratswahlen müssen unverzüglich eingeleitet werden. Da weder die IG Metall noch der Betriebsrat NSN Mch M unter Berufung auf den Strukturtarifvertrag diese Betriebsratswahlen einleiten werden, müssen in jedem der vier neuen Unternehmen, jeweils drei Mitarbeiter die Bestellung eines Wahlvorstands für ihr Unternehmen beim Arbeitsgericht München einreichen (§ 21a BetrVG i.V.m. § 16 Abs. 2 BetrVG). Es ist zu untersuchen, ob eine einstweilige Verfügung möglich ist. Sämtliche Gerichtskosten, auch die für den Anwalt der Mitarbeiter, trägt die jeweilige NSN xyz GmbH, denn dies sind Kosten aus der Betriebsverfassung, die der Arbeitgeber nach § 40 BetrVG tragen muss.
Der Betriebsrat wirbt für sein Betriebekonstrukt, indem er sagt, eine künftige Sozialauswahl müsste sich dann auf alle vier Unternehmen erstrecken. Dem ist entgegenzuhalten, dass er beim aktuellen Personalabbau Namenslisten unterschrieben und damit selbst eine korrekte, betriebsweite Sozialauswahl verhindert hat. Wer einmal Namenslisten unterschreibt, wird dies vermutlich auch beim nächsten Mal tun. Darüber hinaus dürfte die Vergleichbarkeit von Mitarbeitern zwischen den vier Unternehmen nicht gegeben, oder schwer nachprüfbar sein.
“Aber auch durch genehmigten Tarifvertrag abgedeckte tarifliche Zuschnitte der Betriebsverfassung können“, so Prof. Dr. Ulrich Preis (in RdA 2000 Heft 05, Seite 264) , ” … wohl die Grenzen der Sozialauswahl nicht modifizieren. Zum einen ist das Kündigungsschutzgesetz nicht tarifdispositiv…” D.h. es besteht das Risiko, dass die Sozialauswahl nur über den Betrieb der jeweiligen GmbH erfolgt, wie im Kündigungsschutzgesetz gefordert, und nicht über Unternehmensgrenzen hinweg.
Analyse und Bewertung der geplanten Betriebsratsstruktur
Im Folgenden wollen wir die zwischen NSN und IG Metall vereinbarte Betriebsratsstruktur näher betrachten und beziehen uns bei der Analyse auf den Text (RdA 2000 Heft 05) „Legitimation und Grenzen des Betriebsbegriffes im Arbeitsrecht“ von Prof. Dr. Ulrich Preis, Leiter der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln, vormals Professor an der Universität Düsseldorf/Hagen sowie auf BAG-Urteile.
Durch die Ausgliederungen der Tätigkeiten der Nokia Siemens Networks GmbH & Co. KG, die bisher in der Münchner Martinstraße angesiedelt waren, entstehen vier neue Gesellschaften (NSN International GmbH, NSN Deutschland GmbH, NSN Operations GmbH und NSN Optical GmbH). Sie sind eigenständige, 100-prozentige Tochterunternehmen der Nokia Siemens Networks GmbH & Co. KG. Damit sind die vier neuen Gesellschaften nicht mehr Teil des Unternehmens Nokia Siemens Networks GmbH & Co. KG. Sie sind nur noch über die Konzernstruktur des NSN-Konzerns miteinander verbunden.
Die Tarifparteien berufen sich für die Gründung des neuen Betriebratskonstrukts auf § 3 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG. Dort heißt es: Durch Tarifvertrag können bestimmt werden „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen, soweit dies insbesondere aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient“
Es erscheint leicht, § 3 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG als Freibrief für eine beliebige Betriebsratsstruktur anzusehen, denn der Gesetzgeber hat den Begriff „Betrieb“ nicht explizit definiert. Daher ist dieser Begriff ständigen Wandlungen unterworfen und wird in der Rechtssprechung je nach dem entsprechenden Gesetzeskontext unterschiedlich interpretiert. Doch § 3 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG stellt keinen Freibrief für eine beliebige Betriebsratsstruktur dar.
Der Betriebsbegriff kann in der Betriebsverfassung folgende Ausprägungen annehmen:
„Abhängig von der Unternehmensstruktur und der Leitungsorganisation ist er eine variable Einheit: nach unten hin kann er schon auf der Ebene des Betriebsteils erfüllt sein. Nach oben hin kann er auch auf der Ebene des Unternehmens angesiedelt sein, nämlich entweder, wenn das Unternehmen nur einen Betrieb hat oder die Betriebsräte geschäftsfeldbezogen unternehmensweit organisiert sind. Der Betrieb kann freilich auch bis in die Konzernebene durchschlagen: das ist der Ausnahmefall des Konzernbetriebs in der Form des Gemeinschaftsbetriebs mehrerer Unternehmen.“ (Preis, RdA 2000 Heft 05, S. 268)
Das NSN/IGM-BR-Konstrukt ist kein Betriebsteil und kein Betrieb, wie beispielsweise Mch M, im klassischen Sinn und es handelt sich auch nicht um eine geschäftsfeldbezogene unternehmensweite Organisation, da es sich um vier eigenständige Unternehmen mit jeweils einem Betrieb in München oder Münchner Umland handelt. Es ist nur noch zu prüfen, ob es sich bei dem NSN/IGM-BR-Konstrukt, um einen Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen handeln könnte.
Der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschluß vom 9. Februar 2000 – 7 ABR 21/98) hat mehrfach über ein Betriebsratskonstrukt à la NSN/IG Metall/BR entschieden.
Es handelte sich bei dem Fall, der dem Siebten Senat vorlag, um zwei Unternehmen aus dem Zeitschriftenverlagsgewerbe, die miteinander konzernrechtlich verbunden waren und an zwei verschiedenen, räumlich nicht weit entfernten Orten Zeitschriften produzierten. Der Betriebsrat des einen Arbeitgebers beanspruchte seine Zuständigkeit auch für die Mitarbeiter des anderen Unternehmens.
Ein ähnlicher Fall liegt mit der Gründung der vier Tochtergesellschaften (NSN International GmbH, NSN Deutschland GmbH, NSN Operations GmbH und NSN Optical GmbH) vor. Auch diese sind konzernrechtlich miteinander verbunden, haben jeweils ihre eigene Leitung. Auch bei NSN beansprucht der Betriebsrat über den Strukturtarifvertrag die Vertretung der Arbeitnehmer aller vier Gesellschaften. Die beiden Fälle sind also vergleichbar.
Die Vorinstanzen haben das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs bei den Zeitungsverlagen bejaht. Das Landesarbeitsgericht war der Meinung, der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff habe sich in der Regel an der räumlich-arbeitstechnisch verbundenen Tätigkeit unter Berücksichtigung wirtschaftlich-sozialer Abhängigkeiten zu orientieren. Das Bundesarbeitsgericht hat den Beschluss des Landesarbeitsgerichts jedoch aufgehoben, also das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs verneint.
Der 7. Senat hat an seiner bisherigen Rechtsauffassung festgehalten, wonach ein Gemeinschaftsbetrieb mehrerer Unternehmen angenommen werden kann, wenn „die beteiligten zwei oder mehr Unternehmer die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer sowie ihre materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen Betriebszweck oder mehrere nebeneinander bestehende Betriebszwecke zusammengefasst, gezielt und geordnet einsetzen und dieser Einsatz von einem einheitlichen, vereinbarten Leitungsapparat gesteuert wird.“ Diese Definition des Gemeinschaftsbetriebs wurde in weiteren BAG-Urteilen beibehalten, z.B. in dem Urteil BAG 22.06.2005 – 7 ABR 57/04
Das BAG fordert also explizit, dass materielle oder immaterielle Betriebsmittel gezielt und geordnet unter einer einheitlichen Leitung mit einheitlichem Betriebszweck oder mehrerer bestehender Betriebszwecke zusammengefasst sind.
NSN hat jedoch gerade bewusst die im Betrieb Martinstraße vorhandene einheitliche Struktur mit den Ausgliederungen zerschlagen mit der Begründung, die bei allen vier Unternehmen gleich ist: „…Die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens soll durch Ausgliederung von einzelnen Geschäftsbereichen in kleinere Gesellschaften erhöht und durch eine stärkere Spezialisierung der Services für Kunden verbessert werden. … Die Ausgliederung von NSN Operations in eine eigenständige Gesellschaft ermöglicht eine fokussierte und effizientere Leistungserbringung. Zudem ergibt sich die Chance, eine stärker unternehmerisch geprägte Kultur in Operations zu entwickeln.“ (Unterrichtungsschreiben vom 12.04.2012 für den Übergang zur NSN Operations GmbH).
Sowohl die Ausgliederung selbst als auch die Begründung für diese Ausgliederungen (eine bessere Wettbewerbsfähigkeit und „eine fokussierte und effizientere Leistungserbringung“ sowie eine „stärker unternehmerisch geprägte Kultur zu entwickeln“) deuten klar daraufhin, dass NSN gerade zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, auf eine eigenständige Unternehmensleitung für jede der neu gegründeten GmbHs abzielt, und gerade die vorher einheitliche, nicht befriedigend funktionierende, Unternehmensleitung aufgegeben hat. Ansonsten würde die Aufspaltung als unternehmerische Entscheidung keinen Sinn machen.
Auch die gemeinsame Nutzung von materiellen und immateriellen Betriebsmitteln, die das BAG fordert, ist im Fall der vier neuen Unternehmen nicht gegeben, denn die Vermögensgegenstände, die das jeweilige Unternehmen braucht, um seine Geschäfte zu führen, gehen beim Betriebsübergang in das neu gegründete Unternehmen über. Eine gemeinsame Nutzung ist nicht vorgesehen:
„Mit diesem Vertrag und mit den im Zusammenhang hiermit noch abzuschließenden weiteren Verträgen werden die körperlichen Vermögensgegenstände sowie das geistige Eigentum, die/das dem Betriebsteil zugeordnet sind/ist und im Eigentum von NSN stehen/steht, auf die NSN Optical übertragen oder es werden der NSN Optical Nutzungsrechte daran eingeräumt. Damit wird die NSN Optical in die Lage versetzt, über diese körperlichen Vermögensgegenstände zu verfügen sowie das geistige Eigentum, das der Betriebsteil auch bislang für seinen Geschäftsbetrieb genutzt hat, weiterhin zu nutzen.“ (Unterrichtungsschreiben vom 12.04.2012 für den Übergang zur NSN Optical GmbH).
Abgesehen davon produzieren die NSN Gesellschaften im Gegensatz zu den Zeitschriftenverlagen, nicht gleiche, sondern unterschiedliche Produkte bzw. Dienstleistungen, was der Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs zusätzlich entgegensteht.
Weiter sagt Preis zum Gemeinschaftsbetrieb: „Leitmaxime dieser Kriterien [Anm. der Redaktion: des BAG] ist, eine möglichst repräsentationsnahe, effektive Interessenvertretung in der personellen und sozialen Mitbestimmung sicherzustellen.“ (Preis, RdA 2000 Heft 05, S. 279)
Dieses Leitprinzip ist zusätzlich mit dem NSN/IGM-Betriebsratskonstrukt durchbrochen. Diese repräsentationsnahe Interessenvertretung war vor der Umorganisation in Mch M vorhanden. Eine möglichst repräsentative, effektive Interessenvertretung ist nur dann gewährleistet, wenn jedes der der neuen Unternehmen einen eigenen Betriebsrat hat.
Folgen eines solchen widerrechtlichen Betriebsratskonstrukts
Das NSN/IGM-Betriebsratskonstrukt birgt erhebliche Rechtsrisiken für die Mitarbeiter der vier neuen Unternehmen, wie Prof. Dr. Ulrich Preis, Leiter der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln, vormals Professor an der Universität Düsseldorf/Hagen, feststellt:
„Die bereits heute anzutreffende Unternehmensorganisation steht unter erheblichen Rechtsrisiken mit bedauerlichen Konsequenzen für die Arbeitnehmer. So gibt es erste Urteile, die eine entsprechende Betriebsratsorganisation für nichtig erachten, mit der Konsequenz, dass jegliche Beteiligungsrechte und vereinbarte Sozialpläne ins Leere gehen. Man kann also bei der gegenwärtigen Rechtslage nur davor warnen, eine rechtsträgerübergreifende Betriebsverfassungsorganisation, auch auf der Basis eines – wohl kaum genehmigungsfähigen Tarifvertrages – vorzunehmen. Darauf zu vertrauen, durch eine extensive Handhabung des Begriffs „Gemeinschaftsbetrieb“ jede rechtsträgerübergreifende Betriebsverfassungsorganisation zu legitimieren, wäre sicher fahrlässig. … obwohl § 3 Abs. 1 BetrVG hierfür keine normative Grundlage bildet. Die individualrechtlichen Konsequenzen sind nicht ansatzweise diskutiert.“ (Preis, RdA 2000 Heft 05, S. 264)
Fazit:
Die vier neuen Gesellschaften (NSN International GmbH, NSN Deutschland GmbH, NSN Operations GmbH und NSN Optical GmbH) bilden keinen Gemeinschaftsbetrieb im Sinne der BAG-Rechtssprechung und des Betriebsverständnisses. Das zwischen NSN und IG Metall vereinbarte BR-Konstrukt dürfte ziemlich sicher einer richterlichen Prüfung nicht standhalten. Außerdem besteht für die Mitarbeiter der vier neuen Unternehmen ein erhebliches Rechtsrisiko, das zur Konsequenz haben kann, dass vereinbarte Sozialpläne und Beteiligungsrechte ins Leere gehen.
Prof. Dr. Ulrich Preis kommt zu dem Schluss: “Die verständige Praxis ist sich der gegenwärtigen Risiken durchaus bewusst, weshalb man wie der Teufel das Weihwasser jegliche gerichtliche Auseinandersetzung hierzu meidet.” (Preis, RdA 2000 Heft 05, S. 264)
Stattdessen wird faktisch hier auf EINEN einzigen Artikel dieses Herrn immer wieder Bezug genommen. Das bedeutet es ist allein die Interpretation des Verfassers und seine EInflechtung von Zitaten, die zu diesem Schluss kommt.
Was ist die Motivation? Für mich spricht hier ein frustrierter NCIler(?), der mitansehen musste wie der IGM-dominierte BR von NSN Mch einen schwierigen, unangenehmen Weg gegangen ist und nicht wie in der Vergangenheit der Illusion nachgehangen hat, auch diesmal alles verhindern zu können. Ich bin positiv überrascht, das der BR diese Stärke besass, sich für das Wohl der Mehrheit zu entscheiden.
Dass fast alle Mitarbeiter das Angebot der BeE angenommen haben, zeigt dass die Vereinbarung von der "überwiegenden Mehrheit" der Belegschaft postiiv bewertet wurde :-).
Ob rechtliche Details alle 100% hieb- und stichfest sind, ist natürlich offen. Aber wenn die Firma mit der Gewerkschaft eine Vereinbarung trifft, wird keiner der beiden diese Vereinbarung angreifen. Wer bleibt dann noch als Kläger?