Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
erstellt von jackpeter
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zuletzt verändert:
25.08.2008 16:03
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Hallo Diskussionsteilnehmer,
kaum bin ich 2 Tage weg, schon habe ich Diskussionsrückstand. Leider bleiben wir immer noch unter uns. Dieses Thema scheint weitere Kreise nicht zu interessieren.
Ich finde die Analyse des Ist-Zustands der IGM (insbesondere der Funktionäre) von TheoRie für zutreffend. Leider teile ich nicht den Optimismus von Heidi und Friederike über die Reformierbarkeit dieser Organisation. Die Funktionäre wollen es nicht (sie halten sich nicht mal an die eigenen Beschlüsse z.B. zum Thema Integration der Angestellten) und durch die Organisationsstruktur (Delegierten-Demokratie) werden alle Basisregungen abgeblockt. Hier liegt auch in meinen Augen der Kern des Konflikts zwischen IGM-Funktionären und NCI (und weiteren Basisbewegungen, wie ich früher zitiert habe).
Wie schon TheoRie bemerkte: „Eine große Gewerkschaft wird natürlich immer interessant bleiben, denn bei Themen wie Macht, Öffentlichkeit und Karrieremöglichkeiten sowie Vergünstigungen für ihre Mitgklieder hat sie gegenüber kleineren Interessenvertretungen eindeutig die besseren Karten...“ Sie bieten dadurch auch einen Schutz für den Einzelnen (nicht nur rechtlichen). Aber dazu müssen sie gar nicht so heterogen (was die Branchen und Berufsgruppen angeht) sein wie IGM und ver.di. Der DGB als Dachorganisation wäre hier voll ausreichend.
Zurück zu meine Berufsgruppe der Ingenieure. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es die „Arbeitsgemeinschaft der Ingenieure und Naturwissenschaftler“ (AIN) gegeben hat (als ziemlich autonome Organisation innerhalb des DAG). Und ich kann mich auch daran erinnern, dass der AIN jahrelang die Betriebsratsarbeit und den Betriebsratvorsitzenden in Mch H bestimmt haben. Die Ingenieure können sich also durchaus organisieren und in Teams arbeiten. Und sie könne sogar von ihrer persönlichen Situation abstrahieren, weil sie eben mehr Lösungs- als Machtorientiert sind. Was spricht also dagegen die AIN-Tradition aufleben zu lassen? Warum wählen so viele Ingenieure den AUB? Weil es meiner Meinung nach den (unanhängigen) AIN nicht mehr gibt. Er ist zwischen IGM und ver.die aufgeteilt worden und dann untergebuttert, und die beiden haben kein Interesse ihn aufleben zu lassen. Anderseits ist es eine gewaltige Anstrengung eine eigene Gewerkschaft neu zu gründen. Aber vielleicht finden die Ingenieure doch noch eine Lösung, wenn sie das Problem erkannt haben.
Schöne Grüße
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 7.Juni 2006 01:53Liebe Heidi,
warum ist denn aber bei den Großkonzernen nicht mehr viel von ihrer einstigen Behäbigkeit übrig geblieben? Weil sie zum Überleben den zunehmenden Ansprüchen ihrer Kunden aufgrund der wachsenden Konkurrenz in immer kürzerer Zeit gerecht werden mussten.
Es genügen bereits zwei magere Jahre, nicht mehr zwanzig Jahre, mit einer Rendite unterhalb der Vorgaben, und ein Unternehmensbereich wird zu (Hai-)Fischfutter gemacht.
Aufgrund einer geschickten Marktaufteilung genießen die großen Gewerkschaften nahezu den Monpolstatus und haben einen überraschenden Markteinbruch durch Kunden- beziehungsweise Mitgliederschwund nicht zu befürchten. Ein unzufriedener Kunde, der sich nicht mit Vertröstungen weitere Jahrzehnte zufrieden geben möchte, muss also auch hier aktiv werden, aber auf eine andere geeignete und sicherlich deutlich anspruchsvollere Art und Weise. Durch „Konsumverzicht“ bewirkt der Kunde kurzfristig nur eine Entlastung seiner Ausgabenseite, aber er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, damit nichts zur Problemlösung beigetragen zu haben.
Dass sich die Zeiten gravierend geändert haben, werden nicht nur die Leser dieses Forums bemerkt haben. Dass jetzt aber den Zeiten angepasste und respektierte Interessenvertretungen zusätzlich die aktive Mitarbeit aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfordern, dieser Umstand wird aus vielerlei Gründen weiterhin von der überwiegenden Mehrheit verdrängt.
Wer etwas Starthilfe benötigt, dem können die aktiven Forumsteilnehmer bestimmt weiterhelfen, wobei man ohnehin von Alleingängen unbedingt absehen sollte.
Sogar das behindernde Konkurrenzdenken kann mit entsprechendem Fingerspitzengefühl in wirklich kurzer Zeit auf ein gesundes Minimum reduziert werden.
Noch ein kurze Anmerkung zu den Lorbeeren, auf denen sich viele immer noch ausruhen.
Eine große Schwierigkeit besteht darin, dass sich die Funktionsträger oftmals nur auf den von den vorhergehenden Generationen mühsam erkämpften Verdiensten ausruhen, welche sie deshalb mehr oder weniger leidenschaftslos verwalten. Der Vergleich mit dem Werdegang von Familienunternehmen ist bestimmt zulässig.
Gruß
TheoRie
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 7.Juni 2006 04:57An die wachsende Teilnehmerrunde,
deren Mitglieder mehr als nur die Titelzeile gelesen haben. Ja, das scheinbare Desinteresse wird auch hier in einer oberflächlichen Betrachtungsweise des Forumthemas begründet sein. Die Bezeichnung Interessenverbände wäre vielleicht etwas weniger abschreckend gewesen. Außerdem - so kurz nach den Betriebsratswahlen und den damit vielfach verbundenen Enttäuschungen.
Bereits der Begriff Gewerkschaft ist für viele leider ein rotes Tuch, dass man schnell in der Schublade wieder verschwinden lässt. Wer’s glaubt besser machen zu können und dieses auch wirklich versuchen möchte, der sollte sich aber vor seinem Start ausreichend informiert haben.
Ich finde die Beiträge sehr interessant und habe für mich viel Neues an Erkenntnissen entdecken können. Eine derartige Gesprächsrunde wäre bei uns im Betrieb gegenwärtig nicht vorstellbar, dafür sind das gegenseitige Misstrauen und die Vorurteile einfach noch zu groß.
Der geistige Zustand vieler Funktionsträger ist häufig sogar viel schlechter, was aber vor der Belegschaft in der Regel sehr gut verborgen werden kann. Die Gründe für die Störungen sind in der Natur des Menschen sowie seinem Arbeitsumfeld begründet und sind von einer Zugehörigkeit zu Interessengemeinschaften oft nur in ganz geringem Maße beinflusst, womit aber auch die Behandlungsmöglichkeiten drastisch erschwert werden.
Funktionäre und Führungskräfte, mit diesem Vergleich kann man einen Großteil der Ursachen und Auswirkungen bereits abdecken, wobei wir bezüglich der zweiten Gruppe über ein deutlich größeres Erfahrungspotenzial verfügen dürften.
Dass eine sogenannte Basisdemokratie nicht zum Erfolg führt, das ist für uns nichts Neues.
Dass Information auch eine Holschuld ist, und der Vorgesetzte diese direkt und persönlich an der Basis abzurufen hat, damit er ein realistisches Bild vom gegenwärtigen Zustand seines Verantwortungsbereichs erhält, ist auch keine besondere Weisheit.
Kluge Betriebsratsgremien ersparen sich gerne diesen Stress, indem sie sich für den mündlichen Informationsaustausch auf die Organisation von Betriebsversammlungen beschränken, an denen sich unter dem Tagesordnungspunkt Verschiedenes jeder zu Wort melden kann.
Wenn der Dialog bereits zwischen den beiden untersten Ebenen nicht sinnvoll funktioniert, dann lohnt es nicht, sich mit den Problemen in und mit den höheren Regionen zu befassen.
Die Basis muss die gewissenhafte Erfüllung der Pflichten der von ihr gewählten und letztlich auch bezahlten Interessenvertretern einfordern, wenn sie einen weitergehenden Anspruch geltend machen möchte, als alle vier Jahre nur ein Kreuzchen machen zu dürfen.
Ja, ja die Ingenieure mit ihrer ständigen Bereitschaft anderer Leute Probleme lösen zu dürfen.
Bei Aufgabenstellungen, die hauptsächlich technischer Natur sind, da sind wir in unserem gut kontrollierbaren Element und können fast ausschließlich Erfolge aufweisen. Da dürfen wir uns dann auch Experten nennen, aber außerhalb sind wir oftmals (noch) zu unerfahren und in der Regel zu ungeduldig. Ums abzukürzen: Viele der uns nachgesagten Klischees sind im Großen und Ganzen schlicht und ergreifend zutreffend.
Wir sollten nicht immer versuchen, unsere Schwächen durch den erhöhten Einsatz unserer Stärken vor anderen verbergen zu wollen. Ein erfahrener Gegner findet auch bei uns schnell den schwächsten Punkt. Erfolgreiche Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team gehört doch sonst auch zu unserem Alltagsgeschäft. Etwas weniger Homogenität und Perfektion zugunsten von mehr Ausgewogenheit verleiht einem eine deutlich belastungsfähigere Basis. Über den AIN besitze ich leider keine persönlichen Erfahrungen, ich bitte dies zu berücksichtigen. Außerdem denke ich, dass mittlerweile die Aufgabenstellungen, welche als spezifisch für bestimmte Berufsgruppen angesehen werden können, von den übergreifenden Herausforderungen zunehmend nach hinten gedrängt werden.
Zwischenzeitlich habe ich viele Probleme erkannt und kann sie auch schon ein bisschen nach dem Schwierigkeitsgrad einsortieren. Bevor mich aber wieder der Tatendrang packt, muss ich unbedingt mehr Informationen als bisher über die möglichen Ursachen der Schwierigkeiten herausfinden, denn sonst sind vermeidbare Misserfolge sehr wahrscheinlich. Aus diesem Grund bin ich auch nahezu seit Beginn des öffentlichen Auftritts ein interessierter Leser der Seiten vom NCI.
Bevor ich mir über eine neue Interessenvertretung weitere Gedanken mache, würde ich lieber mit Friederike, Heidi und anderen Forumsteilnehmern über eine Reformierbarkeit der großen Gewerkschaften diskutieren.
Bezüglich des Beitrags hinsichtlich der Konkurrenz von NCI und IGM.
Als Externer kann ich bei diesem Thema natürlich nicht sonderlich beitragsfähig sein.
In unserem Betrieb gab es vor vier Jahren erstmalig eine Listenwahl (zwei Gruppen) und vor zwei Monaten konnten wir wieder eine Persönlichkeitswahl durchführen, was durch die offene Gesprächsbereitschaft der IGM stark vereinfacht wurde (großes Lob!).
Es bleibt zunächst abzuwarten, was für die Belegschaft wirklich besser ist. Vermutlich sind es die persönlichen Ziele der Funktionsträger und nicht irgendeine Zugehörigkeit die den wesentlichen Einfluss haben. Eigentlich sind Erfahrungen bezüglich Betriebsrat und Betriebsratsarbeit ein eigenes Thema wert.
Zumindest solange der NCI von den anderen wie ein Konkurrent behandelt wird, solange muss er wohl etwas richtig machen.
Gruß
TheoRie
"Außerdem denke ich, daß mittlerweile die Aufgabenstellungen, welche als spezifisch für bestimmte Berufsgruppen angesehen werden können, von den übergreifenden Herausforderungen zunehmend nach hinten gedrängt werden."
Das, denke ich, ist ziemlich wichtig. Man muß sich diesen Herausforderungen stellen, wenn man denn auch im Konkreten eine Veränderung haben will. Oder auf Klartext: man muß das Gesamte im Auge haben, wenn man etwas bewirken will. Das setzt auch voraus, daß man seine Ziele weiter steckt. Wir bewegen uns also im Bereich der Verbindung von Politik und Ökonomie - oder umgekehrt.
Von den Gewerkschaften eine politische Interessensvertretung zu erwarten oder zu fordern wäre falsch. Sie müssen stets überparteilich sein und handeln bzw. es endlich lernen. Das bedeutet nicht, daß sie nicht zu politischen Fragen Stellung beziehen sollen. Bei Aktionen gegen die Faschisten z.B. müssen sie ganz vorne dran sein und sind sie es auch. Genauso bei Angriffen auf unsere Lebenslage und Arbeitsbedingungen. Aber sie dürfen nicht parteipolitisch vorgehen, sondern müssen stets dem Charakter der Organisation Rechnung tragen: demokratisch und überparteilich.
Das entbindet uns Mitglieder und Kollegen absolut nicht von der Aufgabe uns politisch Klarheit zu verschaffen - im Gegenteil, das ist unser jeweils eigenes Bier und muß sich dann wieder in unserer Arbeit niederschlagen.
Soviel mal dazu
Gruß Friederike
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 8.Juni 2006 01:16Aber auch ich habe den leichter überschaubareren Bereich einer möglichst klar abgegrenzten Gruppe erst nach einer gewissen Eingewöhnungsphase mehr und mehr verlassen beziehungsweise erweitert.
Unser Anonymous User und Initiator dieses Forumsthemas hat mehrfach seine für mich nachvollziehbaren Bedenken gegenüber Einheitsgewerkschaften beziehungsweise „allgemein zugänglichen“ Interessenvertretungen angedeutet.
Die dabei wesentlichen Begriffe wie Ziele, Strategie und Taktik sind ebenfalls in unseren Beiträgen wiederholt angesprochen worden.
Für mich sind hierbei die Fragen „Was möchte ich überhaupt erreichen beziehungsweise was stört mich?“ und „Wie fange ich überhaupt erst einmal an, etwas auf die Beine zu stellen?“ von ganz entscheidender Bedeutung.
Meine Ausgangssituation ist gewesen, dass bei uns im Betrieb in der Regel die nicht organisierten Entwicklungsmitarbeiter von Personalanpassungen besonders betroffen zu sein schienen. Diese Gruppe bestand hauptsächlich aus Ingenieuren, welche minutengenau eine mindestens 120-prozentige Arbeitsauslastung nachweisen mussten, und die als besser verdienende Krawattenträger bei den arbeitenden Mitgliedern der Gewerkschaften nicht sonderlich geschätzt waren. Die Mitglieder des Betriebsrats kannte man höchstens vom Sehen in der Kantine und von den für uns inhaltlosen Betriebsversammlungen. Diese Standardkonstellation dürfte wohl jeder von uns kennen.
Wenn man jetzt noch die speziellen Eigenschaften der vorwiegend lösungsorientierten Ingenieure berücksichtigt, dann ist es nicht verwunderlich, das die Keimzelle des Widerstands eine Männerrunde von ausschließlich Ingenieuren war.
Da uns im Grunde aber die fehlende Interessenvertretung gestört hat, sind wir nie als abgegrenzte Gruppe aufgetreten, sondern standen den Vergessenen aller Bereiche offen, ungeachtet ihres Geschlechts, Gehalts, Ausbildung oder einer Gewerkschaftszugehörigkeit.
Unser Leitfaden war stets : Auf eine gesunde Mischung der Aktiven kommt es an.
Es war aber auch das Streben nach Klasse und keineswegs nach Masse. Dass der Anteil der Vergessenen in den Betrieben munter weiter wächst, kann ich allerdings immer noch nicht begreifen.
Um es etwas abzukürzen : Beispielsweise stellt sich zunehmend nicht allein die Frage nach Personalanpassungen in Teilbereichen, sondern die Standortfrage grundsätzlich. Anfänglich mitunter sinnvolle oder gar notwendige Beschränkungen sollten deshalb, so bald es möglich ist, aufgehoben werden; denn schließlich müssen wir aufeinander zugehen und wollen keine Mauern in den Köpfen aufbauen oder verstärken. Die Vorteile einer breiten Basis erkennt man aber auch an den Fehlern beziehungsweise Nachteilen der abgegrenzten Gruppierungen, zumindest bezogen auf die durchschnittlichen Industriebetriebe, in denen aber wiederum gewisse Berufsgruppen wie Landwirte oder Fluglotsen überhaupt nicht beschäftigt sind (siehe 1. Beitrag).
Hauptsache es beginnen weitere Angehörige der schweigenden Mehrheit überhaupt erst einmal mit dem Nachdenken und fangen zumindest dann an aufzustehen, wenn sie merken, dass sie mit ihrer eigenen Passivität an den Missständen maßgeblich beteiligt sind. Das bloße Meckern über Gewerkschaften und geldgierige Arbeitgeber bringt uns einfach nicht weiter.
Ich setze mir erreichbare Zwischenziele für überschaubare Zeitbereiche, und die befinden sich damit automatisch in dem von mir direkt beeinflussbaren privaten und beruflichen Umfeld.
Das ist keineswegs graue Theorie, sondern hat sich in der Praxis bewährt. Zugegeben, die Erfolgsbilanz ist noch deutlich verbesserungsfähig.
Gruß
TheoRie
[quote:TheoRie format="text/plain"]
Hauptsache es beginnen weitere Angehörige der schweigenden Mehrheit überhaupt erst einmal mit dem Nachdenken und fangen zumindest dann an aufzustehen, wenn sie merken, dass sie mit ihrer eigenen Passivität an den Missständen maßgeblich beteiligt sind. Das bloße Meckern über Gewerkschaften und geldgierige Arbeitgeber bringt uns einfach nicht weiter.
Ich setze mir erreichbare Zwischenziele für überschaubare Zeitbereiche, und die befinden sich damit automatisch in dem von mir direkt beeinflussbaren privaten und beruflichen Umfeld.
Das ist keineswegs graue Theorie, sondern hat sich in der Praxis bewährt. Zugegeben, die Erfolgsbilanz ist noch deutlich verbesserungsfähig.
[/quote]
Du hast meine volle Zustimmung. Meine Erfahrung ist, dass der größte Teil der schweigenden Mehrheit nicht nur schweigt, sondern auch nur im begrenzten Umfang bereit ist, selbst nachzudenken. Es ist bequem unmündig zu sein. Diese Haltung fördert zwangsläufig die Stellvertreterpolitik. Die Handelnden handeln zwangsläufig für andere mit.
Die Passivität der schweigenden Mehrheit zwingt die Handelnden, wenn sie überhaupt was erreichen wollen, Fakten zu schaffen, die die Nicht-Handelnden dann als Bevormundung empfinden. Statt aber nun selbst etwas zu tun, werden die Handelnden kritisiert, angegriffen, teilweise verleumndet mit dem Ziel, damit das Handeln endlich aufhört und man in Ruhe zur Unmündigkeit oder zu seiner Machtstellung, die man verteidigt hat, zurückkehren kann.
Wichtig ist mir dabei zu erkennen, welchen Einfluss Schweigen hat.
[quote:Anonymous User format="text/plain"]Wichtig ist mir dabei zu erkennen, welchen Einfluss Schweigen hat.[/quote]
Es heißt ja, Schweigen bedeutet Zustimmung. Aber Schweigen kann auch Gleichgültigkeit bedeuten, oder Resignation, je nachdem.
Ich denke, auch Schweigen auf Seiten der Basis sollte die Funktionäre nachdenklich stimmen, nicht nur lautstarke Proteste. Im Grunde ist das Schweigen sogar bedrohlicher, wenn man es genau nimmt. Wie soll man einen Dialog führen mit jemandem, der einfach nur schweigt? Da ist sogar das unflätigste Gebrüll noch angenehmer, finde ich.
Wenn von der Basis gar nichts mehr zu hören ist, dann läuft etwas ganz gewaltig schief in der Gewerkschaft!
Noch ein Wort zur geringen Beteiligung an dieser Diskussion: Wenn nur wenige sich aktiv beteiligen, bedeutet das nicht unbedingt, dass sich sonst keiner für das Thema interessiert. Ich hoffe sehr, wir haben hier ein interessiertes Publikum, das den Fortgang der Diskussion verfolgt.
In diesem Falle möchte ich Schweigen nicht mit Desinteresse gleichsetzen. Auch wer hier nichts schreibt, kann sich über dieses Thema Gedanken machen und dann vielleicht mit Kollegen oder Freunden drüber reden. Damit wäre schon viel gewonnen.
Gruß,
Heidi
Es gibt auch noch ein Schweigen, weil man das zu Sagende noch in Arbeit hat. Ich z.B. schweige gegenüber den Rostocker Verdi-Frauen, dem Rostocker Friedensbündnis und dem Rostocker Bündnis gegen Sozialkahlschlag, bei denen ich über mehrere Jahre hin aktiv mitgearbeitet habe, seit fast einem Jahr. Nicht, weil es mir gleichgültig wäre, oder aus Desinteresse oder Resignation, sondern weil ich noch immer nicht weiß, wie ich dort weitermachen soll. Bei Euch schweige ich nicht, denn ich erwarte mir hier die Lösung.
Gruß Friederike
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 9.Juni 2006 01:13Schweigen bedeutet Zustimmung – das war auch sofort mein erster Gedanke bezüglich Deiner (Anonymous) Frage nach dem Einfluss des Schweigens.
Diese Aussage gibt es regelmäßig (meistens vom Chef bzw. Vorsitzenden) dann zu hören, wenn nach einer mündlichen und positiv ausgegangenen Abstimmung jemand sich über das Ergebnis beschwert, der sich vorher seiner Stimme enthalten hat.
Noch während des Schreibens dieses Beitrags haben aber Heidi und Friederike nicht geschwiegen und ebenfalls mehrere Ursachen und Wirkungen aufgezeigt, denen ich uneingeschränkt zustimmen möchte und die einen manchmal an den Rand der Verzweiflung treiben können. Spätestens dann, wenn man wieder einmal alleine vorne stand und damit von den Schweigern zum vorübergehenden Stellvertreter gemacht wurde, um anschließend dann doch noch ihrer unveränderten Unzufriedenheit ausgesetzt zu sein.
Wir können uns immer wieder darüber aufregen, während die schweigenden Leser nur müde darüber lächeln können und sich vielleicht denken: Ja, das weiß doch alles jeder. Die Schreiberlinge erzählen uns damit doch überhaupt nichts Neues.
Und wenn ich nun behaupten würde, die stillen Leser seien alles Egoisten, die einzig und allein an Ihrem persönlichen Wohlergehen interesseriert sind, auch wenn es zu Lasten anderer ginge? Gemäß der gängigen Auslegung könnte ich bestimmt mit einer überwältigenden Zustimmung rechnen :
(Anzahl der Leser – Anzahl der Widersprüche)/Anzahl der Leser = xx % Zustimmung
Auch dieses harmlose Beispiel wird sie nur langweilen, weil sie glauben, es verstanden zu haben.
Die Mauer des Schweigens ist äußerst dick und solide und wird von unserem Wohlstand ständig noch breiter und höher gebaut. Damit es wieder besser wird, muss es uns allen wohl vorher noch viel, viel schlechter gehen.
Natürlich sind sich die Schweiger ihrer unrühmlichen Schwäche bewusst, und reagieren mitunter heftig und bisweilen mit starker Verzögerung, wenn man ihnen den Spiegel vorhält. Es war von mir damals wohl taktisch unklug, so etwas auch ausgerechnet auf einer Betriebsversammlung vor der anwesenden Geschäftsführung zu tun.
Schweigen bedeutet Zustimmung, aber zu was?
Seit wann gibt man denn seine Zustimmung zu etwas, das man gar nicht kennt? Nun, jeder Nichtwähler tut das zum Beispiel. Jeder, der nicht weiß, was seine Vertreter oder Funktionäre überhaupt tun. Jeder der nicht weiß, was der Betriebsrat beziehungsweise alle! seine Mitglieder tun. Auch die von einem selbst nicht gewählten Mitglieder müssen die Interessen aller! Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zumindest entsprechend dem Betriebsverfassungsgesetz vertreten. Wenn die Mitarbeiter nicht mit ihren direkten Vertretern kommunizieren, wer soll den unmittelbaren Interessenvertretern dann sagen, wo’s langgehen soll, beziehungsweise was unsere Bedürfnisse und Ängste sind? Etwa die Unternehmensleitung oder gar externe Berater?
Was ich möchte und was ich nicht möchte, das weiß doch wohl ich selbst am besten. Im fachlichen Bereich renne ich doch auch gleich zu den zuständigen Stellen, wenn ich etwas möchte und warte nicht erst auf andere oder einen glücklichen Zufall.
Ich bin selbst Betriebsratsmitglied gewesen, vielleicht kann ich mich auch deshalb über das andauernde Schweigen so gewaltig aufregen. Und wenn sich der Betriebsrat die zu seiner Existenzberechtigung notwendigen Informationen nicht selbst direkt von uns Mitarbeitern holt, dann werden wir ihm die zunächst selbst liefern.
Also wenn bereits innerhalb und zwischen den untersten beiden Ebenen nicht richtig kommuniziert werden kann, dann darf es nicht groß verwundern, wenn es zum Beispiel im Gesamtbetriebsrat auch nicht klappt.
Wenn wir unseren Interessenvertretern keine konkreten Arbeitsaufgaben mitteilen, dann dürfen wir uns ebenfalls nicht wundern, wenn diese damit beginnen, sich aus Langeweile um andere oder gar ihre eigenen Interessen zu kümmern.
So ist es leider immer wieder, deshalb auch die Wiederholung:
Die Passivität der schweigenden Mehrheit zwingt die Handelnden, wenn sie überhaupt was erreichen wollen, Fakten zu schaffen, die die Nicht-Handelnden dann als Bevormundung empfinden. Statt aber nun selbst etwas zu tun, werden die Handelnden kritisiert, angegriffen, teilweise verleumdet mit dem Ziel, damit das Handeln endlich aufhört und man in Ruhe zur Unmündigkeit oder zu seiner Machtstellung, die man verteidigt hat, zurückkehren kann.
Ich muss zugegeben, dass auch ich quasi meine passiven Bereiche habe, welche aber im Privaten liegen und wo ich zu meiner Stellvertreterin seit mehr als zwanzig Jahren vollstes Vertrauen habe.
Wie soll man einen Dialog führen mit jemandem, der einfach nur schweigt? Da ist sogar das unflätigste Gebrüll noch angenehmer, finde ich.
Stimmt, Heidi, wenn’s auch nicht unbedingt der eigene Vorgesetzte sein muss, der einen zusammenputzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nutzt bitte zumindest die Anonymität dieses Forums, um Euch gegenseitig mit Tipps, konstruktiver Kritik, Anregungen etc. zu helfen. Hier habt ihr den Vorteil, auf dem Laufenden zu bleiben und direkt dabei zu sein. Ganz pur und ohne Filter bzw. Vertreter dazwischen. Ich fände es unverzeihlich und egoistisch, wenn man ein insgesamt derartig großes Potenzial an Berufs- und Lebenserfahrung aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen und vielen Beschäftigungsverhältnissen sowie Standorten dem Wohl aller Beschäftigten vorenthalten würde.
Damit wäre zumindest ein Anfang gemacht und es wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Grüße an alle Leserinnen und Leser
TheoRie
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 9.Juni 2006 02:22Friederike hat eine ganz wichtige und wirklich anstrengende Form des Schweigens angesprochen:
Es gibt auch noch ein Schweigen, weil man das zu Sagende noch in Arbeit hat.
Ich möchte diese schwierige Phase etwas verallgemeinert beschreiben : Die für eine Aussage grundlegenden Gedanken sind zwar bereits vorhanden, aber die Feinarbeiten und auch die Vorbereitungen zum Wie und Wo des zu Sagenden sind noch nicht abgeschlossen.
Schlimm ist es besonders dann, wenn andere von einem einen Beitrag erwarten, und diese Phase als passives Verhalten deuten oder einem gar einen Rückzug unterstellen.
Was auch allzu häufig passiert, dass man mühsam Vorbereitetes durch inhaltliche Mängel oder durch Formfehler nicht richtig hinüberbringen kann. Durch gegenseitige Unterstützung von anderen kann die Umsetzung der Gedanken vielfach verbessert und beschleunigt werden.
Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass Friederikes Problem wesentlich komplexer ist, zumal es sich nicht auf das betriebliche Umfeld beschränkt.
Mehrjährige Mitarbeit auf gleich mehreren Baustellen, und jetzt ein längerer Moment der Stagnation? Suchst Du eine Lösung allgemein innerhalb des NCI oder ist es ein Problem, welches mit diesem speziellen Forumsthema zusammenhängt?
Ohne zusätzliche Hinweise zur engeren Eingrenzung Deiner Schwierigkeiten dürften zielgerichtete Lösungsansätze schwer zu finden sein.
Bei mir ist die Beschreibung, nicht aber das Problem selbst, ganz einfach: Jetzt stehe ich plötzlich allein da und muss versuchen, dass sich eine neue Gruppe bildet.
Eigentlich wollte ich ursprünglich eine längere Gedankenpause nach all den Enttäuschungen einlegen. Aber bereits nach kurzer Zeit fing schon wieder das selbständige Denken munter an.
Gruß
TheoRie
Hallo Teilnehmer,
da es inzwischen mehrere „Anonymus User“ gibt, werde ich mich INTR nennen. Es freut mich, dass es hier auch sehr konkrete persönliche Erfahrungen diskutiert werden, um daraus folgende Verallgemeinerungen auf den Prüfstand zu stellen.
TheoRie sagte:
„...Da uns im Grunde aber die fehlende Interessenvertretung gestört hat, sind wir nie als abgegrenzte Gruppe aufgetreten, sondern standen den Vergessenen aller Bereiche offen, ungeachtet ihres Geschlechts, Gehalts, Ausbildung oder einer Gewerkschaftszugehörigkeit.“
Hier stellt sich natürlich die Frage, ob eine Gruppe von „Ausgegrenzten und Vergessenen“ genügend gemeinsame (und konkrete) Ziele hat, um längere Zeit zusammenzubleiben. Der Wunsch nie mehr vergessen zu sein, wird hier wahrscheinlich nicht ausreichen.
Auch der hehre Wunsch ein Sprachrohr für andere (z.B. Vergessene) zu fungierten ist in meinen Augen problematisch. Der/die Stellvertreter oder Funktionär/e als reiner Sprecher, der in edler Anwandlung außer seiner auch andere Positionen vertritt (freiwillig oder als imperatives Mandat), ist glaube ich illusorisch und nicht praktikabel. In meinen Augen kann man nur die Interessen einer Gruppe vertreten, wenn sie mit den eigenen übereinstimmen. Das ergibt also homogene Interessensgruppen, z.B. einen (kleinen) Betrieb. Aber solche Betriebsgemeinschaften sind nicht schlagkräftig, weil die Betriebe gegeneinander ausgespielt werden (können). Homogene Interessensgruppen auf überbetriebliche Basis führen fast zwangsläufig zu Branchen- oder Berufsgruppen. Die Frage ist, brauchen sie (um schlagkräftig zu sein) eine klassische Organisationsstruktur wie eine Gewerkschaft oder Partei. Oder gibt es auch andere Strukturen? Selbsthilfegruppen (wie z.B. NCI) ohne Funktionäre haben eine gewisse Kontrollmacht, aber keine Gestaltungskraft (vom Streikrecht schon ganz abgesehen).
Schöne Grüße
INTR
"Selbsthilfegruppen (wie z.B. NCI) ohne Funktionäre haben eine gewissen Kontrollmacht, aber keine Gestaltungskraft (vom Streikrecht schon ganz abgesehen).
Da unterliegst Du, glaub ich, zwei Fehlern gleichzeitig:
1.NCI hat keine "Funktionäre", das ist richtig - aber bei NCI gibt es Leute, denen man vertrauen kann. Das ist entscheidend. Sie haben sich das Vertrauen erworben, nicht erschlichen oder mithilfe von Intrigen geschaffen.
2. Bei NCI findet man eine unglaubliche Gestaltungskraft. Sie gehen dauernd neue Wege, probieren neue Gedanken und neue Formen der Zusammenarbeit und des Austauschs.
Dazu kommt, daß die Kontrollmacht, die Du NCI zugestehst, inzwischen zur zentralen Frage geworden ist, in allen Bereichen.
Das Gegenstück: Lug und Trug und gewaltsames Aufdrücken irgendwelcher Maßnahmen ist inzwischen den meisten Menschen hier bekannt, verhaßt und als Perspektive absolut nicht tragbar.
Gruß Friederike
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 10.Juni 2006 00:59Dass sich in kurzer Zeit so viele interessante und höchst unterschiedliche Beiträge zu diesem Thema ergeben würden, damit hatte ich als Spätzugang überhaupt nicht gerechnet. Ursprünglich habe ich bezüglich des Themas eine ausschließlich aus langjährigen Funktionsträgern bestehende Diskussionsrunde vermutet, bei der ich höchstens als stiller Zuhörer geduldet würde, da ich nur bezüglich meiner eigenen begrenzten Arbeitsumgebung beitragsfähig wäre. Die eigentliche Fragestellung hatte mich außerdem zunächst wenig interessiert, aber nach dem Lesen Eurer ersten Beiträge bin ich dann schnell neugierig geworden.
Dass ich mich in meinem Berufsleben bisher stets auf einem kleinen und deutlich abgegrenzten Gebiet bewegt habe, hat mir zuletzt der Beitrag von INTR in komprimierter Form vor Augen geführt. Indirekt hat er die Sinnhaftigkeit meines Tuns in Frage gestellt, und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo ich selber am Zweifeln bin und am liebsten alles Hinschmeißen würde.
Mehrere von Euch denken vermutlich bereits über einen längeren Zeitraum voraus, was mir in meiner Situation und einer leider recht ungewissen nahen Zukunft als nicht unbedingt sinnvoll erscheint. Aus sehr unterschiedlichen Gründen habe ich auch keine Ambitionen hinsichtlich einer nach oben offenen Karriereplanung im Rahmen einer Interessenvertretung.
Als mich damals das „Vergessen sein“ endlich zum eigenen Handeln getrieben hat, da blieb mir nur ein sehr kurzer Zeitraum, um einen ersten Kreis zu gründen, bestehend aus ebenfalls bisher schweigenden Leidensgenossen, welche sich dann überhaupt trauten, ebenfalls aufzustehen.
Da wir in den darauf folgenden Jahren aber die uns selbst gesetzten Ziele auch nicht nur annähernd erreicht haben, wobei hierfür eine sehr umfangreiche Palette an Ursachen verantwortlich gewesen ist, bestand keine Notwendigkeit, den ursprünglichen Ansatz und die Zielgruppe neu zu überdenken. Anmerkung : Es handelte sich dabei ausschließlich um komkrete grundlegende und damit gemeinsame Ziele. Mit dem Auftreten individueller Ziele hätten wir uns sicherlich zunächst Möglichkeiten erarbeiten müssen, die ein Auseinandertreiben der Gruppe verhindern hätten sollen.
Somit trifft mich die Fragestellung nach den fürs langfristige Überleben einer Gruppe notwendigen Voraussetzungen auch völlig unvorbereitet.
Die mir bekannten Organisationsstrukturen mit Stellvertretern und Funktionären sind bestimmt eine wesentliche Voraussetzung für ein Mindestmaß an Beständigkeit und Zuverlässigkeit. Die Probleme beginnen meiner Meinung nach bereits an der Basis, und sind hauptsächlich darin begründet, dass wir weiterhin andere in unzulässig hohem Maße für uns denken lassen.
Vorwiegend mit der Angst vor beruflichen Konsequenzen wird das tatenlose Zusehen begründet. Es ist macht wohl wenig Sinn, mit dem alleinigen Hinweis auf die vermutete Bequemlichkeit, zu versuchen, Kollegen zum Umdenken zu bewegen.
Zum Handeln hat mich schließlich der Ärger über den Umstand bewogen, dass diese Angst von Vorgesetzten, von mir selbst gewählten Interessenvertretern und leider auch Kollegen zunehmend und teilweise in unverfroren offener Art und Weise zum rein persönlichen Vorteil ausgenutzt wurde.
Muss oder sollte bereits die unterste Interessen- oder Vertretergruppe möglichst homogen sein?
Ich kann meinen Betrieb, in dem ich arbeite, insgesamt als eine Art kleinere Gemeinde betrachten, deren Hauptproblem das Überleben als Ganzes ist. Deshalb halte ich an diesem Standort hinsichtlich der internen Aufgabenbereiche eine Fraktionsbildung für nicht sinnvoll.
Wenn jetzt versuchen würde, allein die von INTR dargestellten Gesichtspunkte möglichst optimal bei meiner weiteren Vorgehensweise zu berücksichtigen, dann würde ich mich wohl so entwickeln müssen, dass ich von den Leuten, von denen ich mich bislang vergessen oder gar benutzt fühlte, kaum noch zu unterscheiden wäre.
Dazu fällt mir jetzt aber nichts mehr ein. Vielen Dank jedenfalls für die Aufklärung bezüglich der für mich völlig unbefriedigenden Zukunftsperspektiven.
Mir kommt da nur noch der Spruch in den Sinn, den man sich als Entwickler immer wieder anhören muss: „Einen Ingenieur kann man nur demotivieren, motivieren muss er sich schon selber.“
Viele Grüße von einem grübelnden
TheoRie
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 10.Juni 2006 01:48Vielen Dank Friederike!
Mit Deiner Antwort zum Beitrag von INTR hast Du mich wieder auf andere (bessere) Gedanken gebracht.
Ich werde mich später im Forum wieder melden.
TheoRie
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 11.Juni 2006 00:15Selbsthilfegruppe – Interessengemeinschaft – Gewerkschaft
Ich bin der Ansicht, dass durch eine sinnvolle Verknüpfung der jeweils positiven Eigenschaften obiger Erscheinungsformen eine Interessenvertretung besser den Zielen der Basis gerecht werden kann und trotzdem dauerhaft funktionieren wird.
Das Prinzip der Selbsthilfegruppe bildet die wesentliche Grundlage für die erfolgreiche Ausführung der unabdingbaren Kontrollfunktion UND die sinnvolle Nutzung der enormen Gestaltungskraft.
Werden die Grundprinzipien vernachlässigt, dann beginnen langsam aber stetig die negativen Auswirkungen von Charaktereigenschaften wie Behäbigkeit, Desinteresse und Karrieredenken die Oberhand zu gewinnen und die Gruppierung zu beherrschen.
Unbestreitbar benötigen auch Selbsthilfegruppen bei Erreichen einer gewissen Größe bereits Funktionsträger zur Gewährleistung ihres Zusammenhalts: Ansprechpartner für verschiedene Aufgaben- und Themenbereiche, Organisatoren (z.B. für Veranstaltungen und Veröffentlichungen), Schriftführer, Kassenverwalter seien hier als Beispiele genannt. Diese Funktionsträger unterstehen aber einer kontinuierlichen Kontrolle durch die Basis, weil nur diese Basis die gewissenhafte Ausführung der Aufgaben bis auf Widerruf delegiert hat.
Die Mitglieder eine Selbsthilfegruppe benötigen lediglich ihren gesunden Menschverstand sowie eine ausreichende Bereitschaft zur Kommunikation und zur aktiven Mitarbeit.
Die Kreativität, Schnelligkeit und die Eigenschaft der „Selbstreinigung“ dieser Selbsthilfegruppen finde ich immer wieder erstaunlich. Wer seine egoistischen Interessen nicht ausreichend berücksichtigt findet, der verlässt glücklicherweise umgehend derartige Gemeinschaften und nahezu ausnahmslos auf eigenen Wunsch.
Die großen Schwierigkeiten beginnen spätestens dann, wenn die „offiziellen“ Vertreter mit zusätzlichen Entscheidungsbefugnissen (Betriebsratsmitglieder, Schwerbehindertenvertreter, Ausschussmitglieder, VKL, …) den von der Basis kontrollierten Bereich verlassen und plötzlich mehr oder weniger eigenverantwortlich handeln können bzw. müssen.
Eine vollständige Kontrolle ist dann nicht mehr möglich und wird bei gewissenhaften Vertretern auch nicht erforderlich sein, da verantwortungsbewusste Vertreter bei größeren und zunächst unlösbaren Problemen automatisch die Basis um deren Unterstützung bitten werden.
Die Basis lässt aber häufig freiwillig ihre Vertreter plötzlich allein und - wenn’s nicht so richtig klappt - auch oft genug im Regen stehen. Der damit verbundene Autoritätsverlust der Selbsthilfegruppe hat bisweilen fatale Konsequenzen, und führt oft zu einem völligen Rückzug oder gar aus Frustration über den ungenügenden Rückhalt zu einem Wechsel der Vertreter zu anderen Gruppierungen mit bisweilen völlig anderen Zielsetzungen.
Was sind die Hauptursachen für die im Grunde freiwillige und bisweilen unverantwortliche Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch die einzelnen Mitglieder der Basis?
Bequemlichkeit – obwohl wir sonst ja auch den Mund aufmachen und zupacken können?
Unwissenheit – weil wir der Meinung sind, die Vertreter würden jetzt von anderen ausreichend und in unserem! Interesse kontrolliert werden?
Angst - vor den gewachsenen Einflussmöglichkeiten unserer eigenen Vertreter?
Bei ausreichendem Vorhandensein obiger Gründe ist von UNS ein guter Nährboden für ein erfolgreiches weiteres Wachstum von Lug und Trug (siehe auch Friederikes Beitrag vom 9. Juni) geschaffen worden.
Bereits nach einem beschwerlichen aber erfolgreichen Start haben viele Selbsthilfegruppen mit der sträflichen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht die Kontrolle verloren und wundern sich dann noch schulterzuckend, wenn scheinbar völlig unerwartet alles aus dem Ruder läuft.
Wir regen uns über Lug und Trug auf, welcher aber bereits in unserem Einflussbereich zu wachsen beginnt, wenn WIR an der Basis nichts aktiv dagegen unternehmen.
„Selbsthilfegruppen (ohne Funktionäre) haben eine gewisse Kontrollmacht aber keine Gestaltungskraft.“
Das könnte wohl die Aussage von jemanden sein, dessen Ziel in der ungestörten Ausübung einer möglichst schwer kontrollierbaren Machtposition liegt und der sich (zu Recht) vor einer weiteren Zunahme des gesunden Menschenverstands fürchtet.
Will er damit andere vom verantwortungsbewussten Handeln abhalten oder sich nur selbst belügen?
Ohne das jetzt genauer auszuführen, die obige Behauptung kann bereits einer oberflächlichen Betrachtungsweise nicht Stand halten.
Eine Selbsthilfegruppe, die ständig ihre Aufgaben, Zielsetzungen hinsichtlich ihrer Erreichung und deren Sinnhaftigkeit überprüft, wird auch einen dauerhaften Bestand haben und die Möglichkeiten zu einer - auch für Nichtmitglieder sichtbaren - Gestaltung verbessern können.
Die immer größer werdende Basis des NCI und die wachsende Zahl externer interessierter Befürworter sind für mich ein eindeutiges Zeichen für einen zunehmenden und erfolgreichen Widerstand gegenüber für den Menschen schädliche gesellschaftliche Entwicklungen, welche sich durch die Passivität gegenüber einem ungesunden Egoismus überhaupt so ausweiten konnten.
Die überwiegende Mehrheit der Forumsteilnehmer wird bestätigen können, dass der Einflussbereich des NCI bereits nach kurzer Entstehungsgeschichte auch weit außerhalb der Hofmannstraße spürbar geworden ist.
Sonnige Grüße an alle Leserinnen und Leser
TheoRie
P.S.: Erneuter Versuch, denn die ursprüngliche Einstellung dieses Beitrags scheint zwischenzeitlich vom Server vergessen worden zu sein.
Hallo,
mit meinen (kritischen) Beiträgen wollte ich niemanden deprimieren oder gar vom Ausprobieren seiner Ideen abhalten. Es sind nur meine privaten Überlegungen, hervorgegangen aus der Frage warum sich mehrheitlich befürwortete gute und (ur)alte Ideen, wie z.B. Menschenwürde oder gerechter Lohn nur schwer (wenn überhaupt und dauerhaft) durchsetzen lassen.
In den letzten Beiträgen sind wieder so viele Aspekte aufgetaucht, dass ich erst mal meine Gedanken ordnen muss. Ein für mich wichtiger Aspekt ist die Fragen nach der Gestaltungsmacht. Hier muss man glaube ich in zwei Richtungen Denken: die Gestaltungsmacht innerhalb eine Gruppe (also nach innen) und die Gestaltungsmacht nach Außen (um die Gruppeninteressen durchzusetzen). In einer Gruppe mit einer formalen Struktur (Funktionäre), muss die Macht natürlich kontrolliert werden. Wie Friederike bemerkt hat, braucht sich die Macht nicht nur auf formale Strukturen stützen, sie kann auch aus dem Vertrauen der Gruppenmitglieder in bestimmte Führungspersönlichkeiten begründet sein. Vorher die Macht auch immer kommen mag, muss sie in meinen Augen basisdemokratisch kontrollieret werden. Dazu braucht man aber eine aktive Basis, wie TheoRie richtig bemerkt hat. Auch in meinen Augen gibt es hier überall Defizite (auf Betriebsebene, Gewerkschaftsebene, Gesellschaftsebene). Angenommen, wir hätte eine aktive Basis, wie sollte die basisdemokratische Kontrolle aussehen? Meiner Meinung nach ist es ein Prozess in drei Schritten: vollständige Information aller Mitglieder, offene Diskussion unter allen Mitgliedern (diese zwei Schritte können auch iterative ablaufen) und anschließenden verbindliche Abstimmung (verbindlich insbesondere für die Funktionäre). So könnte garantiert werden, dass die Gestaltungsmacht von der Basis kommt oder von ihr bestätigt wird. Alle drei Schritte können (insbesondere von Funktionären) manipuliert werden. Ein gutes Beispiel für die Manipulation bei Abstimmungen, ist z.B. die Satzung der IGM. Um einen Streik auszurufen braucht man in der Urabstimmung 75% Zustimmung (sofern ist alles noch in Ordnung). Aber um einen Streik zu beenden, reichen nur 25%. In meinen Augen erlaubt das den Funktionären die Basis unter Kontrolle zu halten (und nicht umgekehrt). So viel (fürs erste) zu der Gestaltungsmacht nach innen. Die oberen drei Schritte scheinen ein wirkliches Potenzial für eine wirksames Funktionärskontrolle darzustellen, weil als die IGM/NCI Mitglieder die Einführung dieser Schritte innerhalb der VK- und Fraktionsarbeit gefordert haben, wurden sie ruck-zuck kaltgestellt und zum Austritt aus der IGM provoziert.
Und jetzt zu der äußeren Gestaltungsmacht und meinem Lieblingsthema den Einheitsgewerkschaften. Dazu ein Beispiel, um meinen Gedankengang zu erläutern. Nehmen wir einen Betrieb an, der einer Kapitalgesellschaft gehört (ein einzelner Unternehmer würde die Überlegungen um seine psychologischen Aspekte verkomplizieren). Die Kapitalgesellschaft will natürlich den maximalen Profit herausschlagen. Dazu will sie den Ausstoß (was immer das sein mag) und die Qualität hoch halten und die gesamten Lohnkosten niedrig. Die Lohnkosten sind die Summe aus dem Einzellohn mal die Zahl der Arbeitsplätze. Das wissen natürlich auch die Arbeitnehmer des Betriebes, aber es gibt gleich große Fraktionen unter ihnen. Die eine Hälfte sagt: ich will einen guten Lohn für meine gute Arbeit und wollen Streiken. Die andere Hälfte sagt: mir ist der Arbeitsplatz wichtiger, ich werde (zähneknirschend) auf einen Teil meines Lohnes verzichten. Was macht in diesem Fall eine Einheitsgewerkschaft (welche beide Gruppen vertritt) idealerweise (also ohne Manipulationen)? Sie organisiert eine Diskussion der beiden Gruppen und versucht einen Kompromiss herbeizuführen, um mit einer Einheitsforderung an die Kapitalgesellschaft heranzutreten. Vielleicht werden im Zuge der Diskussion sogar betriebswirtschaftliche Überlegungen angestellt (wie viel Lohn können wir uns leisten, wie viele müssen gehen etc.). Über soviel Co-management kann sich die Kapitalgesellschaft nur freuen! Und viele Funktionäre gefallen sich auch noch in dieser „staatstragenden“ Rolle! Aber abgesehen davon wird meiner Meinung nach dieses Co-management durch den Zwang zu Kompromissen innerhalb einer heterogenen (Einheits)Gewerkschaft bedingt.
Nehmen wir jetzt an die oben genannten Mitarbeitergruppen haben jeweils ihre eigenen Gewerkschaften und beide treten mit ihren Maximalforderungen an die Kapitalgesellschaft heran. Die Kapitalgesellschaft ist natürlich auf beide Gruppen angewiesen und jetzt muss sie sich (und nicht die Gewerkschaften) den Kopf zerbrechen mit beiden einen Kompromiss zu finden. Wenn die beiden Mitarbeitergruppen auch noch aus unterschiedlichen Funktionsgruppen/Berufen bestehen, hat sie nicht mal die Chance sie gegeneinander auszuspielen (weil sie, wie schon gesagt, beide braucht). Zugegeben, die Wirklichkeit ist viel komplizierter, aber vielleicht konnte ich ansatzweise meine Bedenken gegenüber den Einheitsgewerkschaften verdeutlichen.
Schöne Grüße
INTR
Lieber INTR,
zu Deinem Beispiel: eine Einheitsgewerkschaft hat die Aufgabe für anständige Löhne und die Arbeitsplätze zu kämpfen. Sie hat die Interessen der Kolleginnen und Kollegen rundrum zu vertreten.
Das Ausspielen von Geld gegen Arbeitsplatz und umgekehrt ist ein Spielchen, das durch und durch auf Cheflogik basiert:"Nur wenn ich im Konkurrenzkampf gewinne, kann ich den Betrieb aufrecht erhalten".
Es gibt aber noch eine andere Logik: "Man kann mit den Kollegen nicht mehr alles machen, wenn sie ihre eigene Rechnung aufmachen.
Dazu müssen sie ihr eigenes Leben und ihre eigene Existenz in die Waagschale werfen.
Mach doch mal für Dich selber Deine eigene Rechnung auf. Was hast Du alles beigesteuert - und was hast du dafür bekommen??
Und wer hat abgesahnt??
Warum soll diese Logik bestehen bleiben?
Gruß Friederike
Lieber INTR,
das ist ein interessantes Beispiel. Aber was ist, wenn der Arbeitgeber einfach sagt: "Statt mich mit euch rumzuärgern, verlagere ich den ganzen Betrieb nach Wladiwostock oder nach Ulan Bator oder sonstwohin!" Diese Drohung ist es doch, die im Moment die Verhandlungen so enorm schwierig macht. Denn gerade die großen Konzerne sind keineswegs auf den Standort Deutschland angewiesen, sie können ihn jederzeit verlassen. Oder sie tun zumindest so, als ob sie es könnten. Inwieweit die Drohungen realistisch sind, ist für Laien kaum zu beurteilen.
Da spielt es keine Rolle mehr, ob eine Einheitsgewerkschaft alle Arbeitnehmer vertritt oder ob einzelene Gewerkschaften einzelne Gruppen von Arbeitnehmern vertreten. Da muss auch eine klares Signal von der Regierung her kommen: Wer im großen Stil Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, muss mit Sanktionen (z.B. Rückzahlung von Subventionen) rechnen. Um aber Druck auf die Politiker auszuüben, ist eine starke Einheitsgewerkschaft besser geeignet als kleine Einzelgewerkschaften.
Gruß,
Heidi
Ja Heidi,
trotzdem ist die Situation bei Tieto Enator irgendwie auch charakteristisch: es wird eine bestimmte Technik entwickelt, die dann im gesellschaftlichen Leben durchaus ihren Platz findet. Sie braucht Wartung und Pflege wirft aber nicht mehr den maximalen Gewinn für die Initiatoren ab, also schieben sie die "lästigen aber gesellschaftlich duchaus notwendigen und damit auch kostenpflichtigen Aufgaben" irgendwie ab. Der Witz ist, daß Kolleginnen und Kollegen, die mit dieser Technik vertraut sind, nicht einfach überall auf der Welt zu finden sind, dazu sind die Produktivkräfte heute zu hoch entwickelt - wiewohl sie durchaus überall hin exportierbar sind, dazu sind sie ebenfalls hoch genug entwickelt. Es ist also wirklich ein Wettlauf um die Frage, wer ist in der Lage, sie sinnvoll im Interesse der Menschen einzusetzen und den entsprechenden Druck dazu zu entwickeln oder wer ist in der Lage die Menschen gegeneinander auszuspielen, so daß sie von dieser Technik Null haben - aber ein paar Reiche mehr sich die Hände reiben.
Gruß Friederike
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 12.Juni 2006 02:31Liebe Forumsteilnehmer,
der Beitrag von INTR (11.06.2006 21:17 Uhr) hat mich erneut ins Grübeln gebracht. Es erschien mir zunächst vieles als ganz schlüssig in seinem Beitrag, trotzdem hatte ich irgendwie ein merkwürdiges Gefühl im Bauch.
Also begab ich mich auf „Fehlersuche“, wobei es oft sinnvoll ist, dass man ganz unten beginnt.
Unten (basisdemokratische Kontrolle) schien für mich noch alles in Ordnung zu sein, dieses wurde auch von INTR bestätigt. Aber bereits auf der höheren Ebene sollte die individuelle Verfolgung von Zielen erfolgversprechender sein? Warum – und stimmt das wirklich?
Ich bin da anderer Meinung, denn der „Fehler“ liegt für mich darin, dass man für Geschlossenheit eine von außen deutlich erkennbare Einheitlichkeit voraussetzt.
Typische Erkennungsmerkmale sind : Gewerkschaftzugehörigkeit, Berufsgruppe, Branche, Standort, …
Der NCI macht von diesen Erkennungsmerkmalen keinen Gebrauch und es funktioniert trotzdem ausgezeichnet, beziehungsweise es fühlt sich keiner benachteiligt. Warum?
Der NCI tritt nach außen geschlossen auf, und da trotzdem niemand ausgeschlossen wird, gibt es von außen auch keinen richtigen Angriffspunkt, mit dem man den NCI gegen andere Gruppierungen ausspielen könnte.
Es wäre wohl zu umfangreich Dein vergleichendes Beispiel von Einheitsgewerkschaft und getrennten Mitarbeitergruppen genauer zu behandeln, deshalb wähle ich einen kürzeren Weg.
Wann sind Betriebsräte besonders schwach und wie kann eine Unternehmensleitung diesen Zustand unterstützen?
Ein Betriebsrat, der nah auf die Augenhöhe des Arbeitgebers kommen möchte, muss geschlossen auftreten und es sollten möglichst alle Arbeitnehmer des Betriebs entsprechend vertreten sein. Nach einer Listenwahl darf die Herkunft der Betriebsratsmitglieder bei der Ausübung der Betriebsratstätigkeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Das wird zwar den übergeordneten Verbänden überhaupt nicht gefallen, aber wir möchten ja auch von der Basis nach oben kontrollieren und nicht etwa umgekehrt.
Nehmen wir eine mehrköpfige Familie als weiteres Beispiel. Wie gehen denn die Kinder oft taktisch vor, wenn sie von Ihren Eltern etwas haben möchten? Sie wissen ganz genau, wann sie gemeinsam erfolgreicher sind.
Gehen wir noch eine weitere Stufe runter. Wir haben doch auch die unterschiedlichsten Wünsche und Ziele. Wir müssen dann bereits innerlich einen für uns selbst akzeptablen Kompromiss gefunden haben, bevor wir unsere Wünsche an andere herantragen. Manche schaffen es bereits nicht einmal diesen inneren Prozess richtig zu bewältigen. Diese erscheinen den anderen gegenüber dann oftmals als Individualisten mit unzureichender Teamfähigkeit.
Und noch etwas gilt es zu bedenken: Eine gemischte Gruppe reagiert wesentlich flexibler und schneller auf neue Gegebenheiten und blockiert sich nicht dadurch, dass sie versuchen muss ein Optimum hinsichtlich irgendwelcher übergestülpter und fest zementierter Ziele herauszuholen.
Ein Arbeiter braucht mehr Geld, ein Ingenieur mehr (Vertrauens-)Arbeitszeit und Unabhängigkeit?, ...
Zugegeben, dass ist meine persönliche Sichtweise von der untersten Ebene aus betrachtet. Vielleicht kommt es überhaupt nicht oder erst in einigen Jahren zu dem dafür auf breiter Front erforderlichen Umdenkungsprozess in unseren Köpfen.
Ich selbst werde noch viel hinsichtlich der Thematik Interessenvertretung lernen müssen, aber ich kann sofort damit beginnen meine bisherigen Verhaltensweisen zu ändern.
Gruß
TheoRie
Hallo INTR,
ich denke ver.di und die IGM sind schon ein guter Anfang, wenn sie wirklich geschlossen auftreten. Noch einen zusätzlichen Dachverband brauchen wir meiner Meinung nach nicht unbedingt.
Aber auch Gruppen wie NCI können mitwirken, indem sie Informationen sammeln und weitergeben. Das geschieht ja zur Zeit auf der NCI-Homepage. Auch eine Kontaktaufnahme mit einzelnen Politikern ist möglich. Das können nicht nur Gewerkschaftsfunktionäre, sondern auch Sprecher von Selbsthilfegruppen recht gut.
Ich möchte noch einmal betonen, wie wichtig eine umfassende Zusammenarbeit ohne störendes Konkurrenzdenken ist. NCI kann nie eine Gewerkschaft ersetzen, aber sehr wohl dazu beitragen, dass gemeinsame Ziele erreicht werden.
Gruß,
Heidi
Lieber TheoRie,
Du machst Dir wirklich sehr tiefgehende Gedanken und ich denke, daß Du voll auf der richtigen Spur bist.
Was mich diesmal besonders beeindruckt hat, war die Aussage: "Ich selbst werde noch viel hinsichtlich der Thematik Interessenvertretung lernen müssen, aber ich kann sofort damit beginnen meine bisherigen Verhaltensweisen zu ändern."
Das hat mich deshalb beeindruckt, weil ich fast 30 Jahre lang erlebt habe, wie Funktionäre stets in der Lage waren, ihre Darstellung der Dinge, nach Kritik, den Kritikern anzupassen. Daß sie aber niemals auf die Idee kamen ihr Verhalten in Frage zu stellen und zu ändern. Was bei Dir als Selbstverständlichkeit sofort auftaucht. Es ist auch das Selbstverständliche, wenn man es ehrlich meint, wenn Wort und Tat stets eine Einheit bilden sollen.
Bin gespannt, was von Dir noch so kommt!
Gruß Friederike
Re: Ist die Zeit der großen Einheitsgewerkschaften in Deutschland vorbei?
Abgeschickt von Theorie am 13.Juni 2006 21:36Liebe Forumsteilnehmer,
auf Eure weiteren Forumsbeiträge würde ich gern sofort antworten, aber bis Donnerstag bin ich auf einer Dienstreise und ohne eigenen Netzzugang. Im Internet-Cafe ist leider an ein konzentriertes Schreiben nicht zu denken. Nach der Rückkehr werde ich mich aber umgehend wieder bei Euch melden
Speziell zur letzten Nachricht von Friederike: Mein Verhalten begann sich vor vier Jahren zu ändern. Hauptursache für mein „Aufstehen“ war die jahrelange Benachteilung von Mitarbeitergruppen aufgrund betrieblicher Abläufe sowie von Vorgesetzten und Betriebsrat nicht gewissenhaft ausgeübte Interessenvertretung. In den folgenden Jahren habe ich vorwiegend Erfahrungen im organisatorischen Bereich gemacht. Im menschlichen Bereich, der zunächst eine untergeordnete Rolle gespielt hat, war vieles oberflächlich und für tiefergehende Gespräche gab es keine Gesprächspartner (Vertrauensmissbrauch unter Kollegen kann zudem beruflich schmerzhafte Konsequenzen haben.). Das von mir nur ungenügende beachtete normale menschliche Verhalten hat vor kurzem im Zusammenhang mit dem Themenbereich Funktionsträger/Strukturen zu mehreren Enttäuschungen bei mir geführt. Also habe gerade in diesem Bereich noch erheblichen Nachholbedarf. Man kann nun nicht erwarten, dass andere ihre Moral überdenken und ihr Verhalten sogar ändern, wenn man nicht selbst versuchen würde, ein besserer Mitmensch zu werden.
Die eigene Familie mit vergleichbaren Enttäuschungen im schulischen und privaten Bereich steigert die Motivation noch zusätzlich.
Wie gesagt, konzentrieren kann ich mich hier nicht richtig.
Noch kurz zum „Streikbeispiel“ von INTR (11.06.):
Ein gutes Beispiel für die Manipulation bei Abstimmungen, ist z.B. die Satzung der IGM. Um einen Streik auszurufen braucht man in der Urabstimmung 75% Zustimmung (sofern ist alles noch in Ordnung). Aber um einen Streik zu beenden, reichen nur 25%. In meinen Augen erlaubt das den Funktionären die Basis unter Kontrolle zu halten (und nicht umgekehrt).
Ich muss zugeben, dass ich die Satzung nicht im Originaltext nachgelesen habe, dennoch etwas Mathematisches dazu:
Bei einer Urabstimmung reichen bereits 25% Zustimmung damit es erst gar keinen Streik gibt.
Später genügen wiederum bereits 25% Zustimmung damit ein Streik beendet wird.
Wieso siehst Du INTR einen Hinweis auf eine verstärkte Kontrolle aufgrund dieser Satzung?
Viele Grüße
TheoRie
Hallo TheoRie,
Du hast geschrieben: „...Es wäre wohl zu umfangreich Dein vergleichendes Beispiel von Einheitsgewerkschaft und getrennten Mitarbeitergruppen genauer zu behandeln,...“ Ich habe mein Beispiel an die aktuelle Entwicklung bei ver.di und Marburger Bund (MB) angelehnt. Diese Entwicklung finde ich wirklich interessant (wie ich schon früher gesagt habe). Die von Dir als Beispiel angegebener Betriebsrat hat natürlich eine andere Rolle zu spielen als eine Gewerkschaft (z.B. verhandelt die Gewerkschaft die Tarifverträge und der BR überwacht die Umsetzung im Betrieb). Das Familienbeispiel bewegt sich auf noch einer anderen Ebene. Ich bin mir sicher, dass jede dieser Ebenen ihre eigenen (erfolgreichen) Kooperations- und Durchsetzungsstrategien hat, aber ich glaube auch, dass sie nicht austauschbar sind.
Weiter schreibst Du: “... Typische Erkennungsmerkmale sind : Gewerkschaftszugehörigkeit, Berufsgruppe, Branche, Standort, …
Der NCI macht von diesen Erkennungsmerkmalen keinen Gebrauch und es funktioniert trotzdem ausgezeichnet, beziehungsweise es fühlt sich keiner benachteiligt. Warum?
Der NCI tritt nach außen geschlossen auf, und da trotzdem niemand ausgeschlossen wird, gibt es von außen auch keinen richtigen Angriffspunkt, mit dem man den NCI gegen andere Gruppierungen ausspielen könnte.“ Das stimmt und ist gut so. Die Erklärung warum es funktioniert liegt in meinen Augen daran, dass NCI in erster Linie eine Selbsthilfegruppe ist. NCI hat zum Ziel durch Informationen und Beratung jedem Einzelnen seine optimale und individuelle Entscheidung zu finden. Man sucht hier keine Einheitslösung , drängt auch zu keiner und lässt sich auch die Verantwortung für die persönliche Entscheidung nicht zuschieben. Für wen die beE das „Beste“ (sprich das kleinere Übel) war, hat das genommen, ein anderer die Abfindung, ein dritter ist vor das Arbeitsgericht gegangen. Und es gab keine Konkurrenz untereinander, obwohl man unterschiedliche Wege gegangen ist. Als Selbsthilfegruppe hat NCI auf eine äußere Bedrohung sehr erfolgreich reagiert. Aber NCI hat nie (soweit ich es weis) vorgehabt wie eine Gewerkschaft zu agieren (z.B. Tarifziele zu definieren). Und weiter schreibst Du: „... Eine gemischte Gruppe reagiert wesentlich flexibler und schneller auf neue Gegebenheiten und blockiert sich nicht dadurch, dass sie versuchen muss ein Optimum hinsichtlich irgendwelcher übergestülpter und fest zementierter Ziele herauszuholen.“ Das Trifft sehr gut auf eine Selbsthilfegruppe wie NCI (wo individuelle Lösungen selbstverständlich sind) oder auf ein Kontrollorgan wie Betriebsrat (der im wesentlichen auch nur reagiert). Aber eben nicht auf eine Gewerkschaft, welche agieren muss, um feste Ziele zu erreichen. Dabei ist schon die Definition von gemeinsamen Zielen (z.B. die Höhe eines Tarifanschlusses) in einer heterogenen Gruppe (mit vielen individuellen Zielen) per se wesentlich schwerer als in einer homogenen Gruppe.
„..Vielleicht kommt es überhaupt nicht oder erst in einigen Jahren zu dem dafür auf breiter Front erforderlichen Umdenkungsprozess in unseren Köpfen.“ Diese Hoffnung habe ich persönlich nicht. Die Christen warten schon seit 2000 Jahren auf den „besseren“ Menschen. Ich hoffe darauf, dass man mit den „real existierenden“ Menschen auch viel Gutes erreichen kann, wenn man die Dynamik von Gruppen besser versteht. Der Mensch kann nicht fliegen und trotzdem fliegt, nicht weil er sich (körperlich) verändert hätte, sondern weil er die entsprechende Technik entwickelt hat. Ich glaube nicht, dass wir ein „besseres“ Bewusstsein brauchen, sondern mehr soziologische und wirtschaftliche Kenntnisse, um eine bessere Gesellschaft zu bekommen.
Schöne Grüße
INTR
Ja INTR,
man muß lernen, die Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, dann kann man auch fliegen. Und das verändert - zugegeben, erst über einen sehr langen Zeitraum, das Gehirn. Das mit dem Zeitraum bezieht sich auf den Kampf des Rostocker Friedensbündnis, das seit mehreren Jahren versucht hat, zu verhindern, daß der Rostocker Flughafen (Laage) nach einem Heinkel-Ingenieur namens Pabst von Ohain benannt wird. Heinkel war ein Industrieller im Auftrag von Hitler.
Sie haben Konzentrationslager-Häftlinge in ihrer Produktion beschäftigt.
Nein, wir brauchen kein "besseres Bewußtsein" - wir brauchen nur ein Bewußtsein.
Gruß Friederike
Hallo Heidi, hallo Friederike
Heidi schrieb: „..ich denke ver.di und die IGM sind schon ein guter Anfang, wenn sie wirklich geschlossen auftreten. Noch einen zusätzlichen Dachverband brauchen wir meiner Meinung nach nicht unbedingt.“ Für mich sind ver.di und IGM eher ein schlechtes Ende. Aus zwei schon oben genannten Gründen: Machtmissbrauch der Funktionäre und das jahrzehntelange Co-Management (auf betrieblicher und politischer Ebene). Die beiden Gewerkschaften sind stark im Parlament vertreten und haben sogar Minister gestellt. Dabei haben sie die Deregulierung und Privatisierung, welche die Globalisierung antreibt, schlicht verschlafen. Einen Dachverband haben wir schon, das ist der DGB. Er könnte den politischen Druck ausüben aber nicht durch Mitmachen wie jetzt, sondern von der Straße her, wie in Frankreich oder Italien. Die Einzelgewerkschaften sollten sich wieder auf ihre Kernkompetenzen besinnen: die Durchsetzung der vielfältigen wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder.
Zum NCI habe ich in meiner Antwort an TheoRie Stellung bezogen.
Mich würde auch Heidis und Friederikes Meinung zu der von mir vorgeschlagener basisdemokratischer Kontrolle interessieren („..Meiner Meinung nach ist es ein Prozess in drei Schritten: vollständige Information aller Mitglieder, offene Diskussion unter allen Mitgliedern (diese zwei Schritte können auch iterative ablaufen) und anschließenden verbindliche Abstimmung (verbindlich insbesondere für die Funktionäre)..“.
Schöne Grüße
INTR
Mensch INTR,
Deine Überlegung zur Kontrolle von unten ist völlig richtig. Wenn du Programm und Statut der MLPD kennen würdest würdest du genau das dort finden. Das Problem besteht darin, daß ich genau das dann auch eingefordert habe. Und es fand eben nichts davon statt.
D.h. das Problem ist absolut nicht theoretisch - es ist eine reine Kräftefrage.
Gruß Friederike
Auf Basis von Ploneboard