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Betriebsbesetzungen - Eine Studie aktueller Beispiele

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 22.02.2009 11:45
Besprechung einer in der Schweiz Ende Januar 2009 herausgegebenen Broschüre zu einem wichtigen Thema.

Die kleine Broschüre "Betriebsbesetzungen als wirksame Waffe im gewerkschaftlichen Kampf - Eine Studie aktueller Beispiele"  hält ihr Versprechen ein. Auf 63 Seiten werden in einem  wohltuend sachlich-analytischem Stil fünf Fälle im Jahr 2008 untersucht, bei denen um den Kampf gegen Massenentlassungen und Werksschließungen ging. Wie im Titel angekündigt, wird ein besonderes Augenmerk auf die Aktionsform der Betriebsbesetzung gelegt und anhand der konkreten Erfahrungen der Frage nachgegangen, welche Voraussetzungen und Bedingungen zur Entwicklung erfolgreicher Betriebsbesetzungen notwendig sind.

Das Spektrum der untersuchten Kämpfe ist erfreulich breit. Die Auswahl der Bespiele aus drei Ländern (Schweiz, Italien, Spanien) ist bewusst auf unterschiedliche Situationen angelegt. Neben großen Erfolgen werden auch vollständige Niederlagen geschildert, was der angestrebten Analyse bei aller positiven Parteilichkeit des engagierten Autors zu Gute kommt.

In der Einleitung werden "Massenentlassungen und deren soziales Konfliktfeld"  beleuchtet. Präzise gelangt der Autor zu dem Schluss, dass sozialpartnerschaftliche Gewerkschaften mit ihren herkömlichen Strategien eines Sozialplanes in solchen Fällen nur scheitern können. "Im folgenden sollen (...) einige weitere typische Beispiele untersucht werden, aus denen Elemente einer gewerkschaftlichen Strategie abgeleitet werden können, die es künftig erlauben könnte, Massenentlassungen und Betriebsschließungen wirksam zu verhindern oder wenigstens einen entschlossenen Kampf dagegen zu führen."

Der erfolgreiche Kampf der SBB-Werkstätten Officina in Bellizona eröffnet als "Vorbild"  die Untersuchung. Die 4-wöchige Betriebsbesetzung hat nicht nur die gesamte  Region Tessin in Aufruhr versetzt, sondern auch zu einer Neubelebung der ArbeiterInnen- und einer Gewerkschaftsbewegung von unten in der Schweiz geführt.

Direkt darauf folgt das negative Gegenbeispiel "Borregaard-Attisholz bei Solothurn: kampflos in die Niederlage".  Gerade weil die Unterschiede in der ArbeiterInnenbewegung und der Gewerkschaftslandschaft zwischen der Schweiz und Deutschland doch recht groß sind, sticht die Parallelität zwischen dieser Erfahrung und der kampflosen Abwicklung des Nokia Handywerkes in Bochum durch die Sozialpartner Nokia und IGM  im Frühjahr 2008 ins Auge.

Weiter geht es mit inzwischen neun monatigen Kampf der letzten 49 ArbeiterInnen bei der INNSE in Mailand, die es als kleine Belegschaft trotz anfangs minimaler Solidarität im Mailänder Industriegebiet bis heute (Stand 14.2.2009) geschafft haben, den Abtransport der Maschinen und den geplanten Abriss des Werkes zu verhindern. Neben einem Streik mit Betriebsbesetzung haben die INNSE-ArbeiterInnen u.a. 2 Monate lang die Produktion selbstverwaltet fortgeführt, bis sie durch die Polizei aus dem Werk geräumt wurden. Im Unterschied z.B. zu der Strike-Bike-Kampagne in Deutschland, wo die betriebliche Realität und die öffentliche Darstellung durch UnterstützerInnen doch sehr weit auseinandergingen, wird hier kein "Kult" der Selbstverwaltung betrieben. Vielmehr wird die Problematik der selbstverwalteten Produktion als Perspektive einer erfolgreichen Betriebsbesetzung offen in ihrer Widersprüchlichkeit angesprochen. "Ein besetzter und selbstverwalteter Betrieb befindet sich in einem ` rechtsfreien Raum', der nie lange andauern wird. Entweder wird das Experiment durch die staatliche Unterdrückung beendet oder der selbstverwaltete Betrieb muss sich eine neue Rechtsform geben und wieder in die bürgerliche Gesellschaft einordnen. Bei INNSE wäre dies die Übernahme durch den bisherigen Hauptkunden, die Industriegruppe Ormis aus Brescia."  

Einen anderen Aspekt beleuchtet das italienische Bespiel "IVECO in Suzzara: das Strohfeuer der Revolte".  Hier kommt es zu einem spontanen Streik mit Besetzung der Werkstore sowie teils militanten Straßen- und Eisenbahnblockaden. Aber genauso schnell wie die Rebellion ohne von außen erkennbare Strukturen auflodert, bricht sie nach wenigen Tagen auch wieder zusammen.

Last but not least wird mit dem spanischen Beispiel von "Holcim Torredonjimeno: Massenmobilisierung oder Betriebsbesetzung?"  ein Fall ausgewählt, bei dem es trotz großes Solidarität und heftiger Proteste nicht gelingt, die Spaltung zwischen Festangestellten und ZeitarbeiterInnen in einem gemeinsamen Kampf zu überwinden. Die aus dieser Spaltung hervorgehenden unterschiedlichen gewerkschaftlichen Strategien und Aktionsformen bleiben nebeneinander stehen, was letztlich zu Niederlage des Kampfes beiträgt.

In den "Schlussfolgerungen" werden Unterschiede wie Gemeinsamkeiten der fünf Beispiele betrachtet, um dann einige Thesen für zukünftige Kämpfe zu entwickeln. So wird die Notwendigkeit von "kämpferischen Kernen" in den Betrieben ebenso betont, wie festgestellt wird, dass man den Rahmen der vorgegebenen Legalität überschreiten muss, wenn man Druck aufbauen und Erfolg haben will. Entschieden wird sich gegen eine schematische Gegenüberstellung von Aktionsformen (Streik gegen Betriebsbesetzung) gewandt und zugleich u.a. betont, dass der Zeitfaktor bei der Wahl der Mittel recht entscheidend ist.

Ebenfalls zur Qualität der Broschüre trägt ein umfangreiches Quellenverzeichnis mit zahlreichen weiterführenden Links bei, dass es den LeserInnen ermöglicht, bei Bedarf tiefer in die einzelnen Beispiele einzusteigen. 

Unser Gesamteindruck: Unbedingt lesenswert. Dank der analytischen Herangehensweise an die Beispiele gerade auch dann, wenn man selbst zu anderen Einschätzungen und Schlussfolgerungen wie der Autor gelangt.

Die Broschüre kann für 3 Franken (bzw. 2 Euro) plus Versandkosten bezogen werden bei indiana.thomann@bluewin.ch

 

 

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