Sie sind hier: Startseite Projekte Offshoring and Solidarity Von der Globalisierung zu einer globalen, sozialen, solidarischen Gewerkschaftsbewegung

Von der Globalisierung zu einer globalen, sozialen, solidarischen Gewerkschaftsbewegung

erstellt von dave — zuletzt verändert: 28.06.2011 13:44
Thesen von Peter Waterman und Dave Hollis

Peter Waterman (London, 1936) war sein ganzes Leben lang in der und für die internationale Arbeiterbewegung tätig. Als Lehrer/Forscher an einem Institut für Studien der Dritten Welt in Den Haag (1972-98) konzentrierte er sich auf Arbeiter und Gewerkschaften in Afrika. Seit 1985 befasst er sich mit internationalen Arbeiter- und Sozialbewegungen, internationaler Kommunikation und Kultur, in jüngster Zeit in Zusammenhang mit dem Weltsozialforum Er hat zahlreiche Bücher und Artikel verfasst und herausgegeben, die in verschiedenen Sprachen, einschließlich deutsch, veröffentlicht wurden.

Dave Hollis (London, 1955) ist seit seinem ersten Arbeitstag ein aktiver Gewerkschafter. Sein Interesse an internationaler Arbeit innerhalb der Arbeiterbewegung war eine logische Konsequenz der Arbeit für eine internationalen Konzern, der Netzwerke ausstattet. Er hat in den letzten 10 Jahren verschiedene Texte veröffentlicht, wobei die meisten Computerfragen, Offshoring und die von ihm gegründeten Websites betreffen; die bekanntesten darunter sind LabourNet Germany und Netzwerk IT.

Einleitung

In den letzten Jahren wurden die Arbeiter in Westeuropa und Nordamerika – in der Produktion und im Büro, Männer und Frauen – zunehmend mit ‘Offshoring’ und ‘Outsourcing’ konfrontiert. Ersteres beschreibt die Verlagerung der Produktion ins Ausland oder nach Übersee. Zweiteres definiert die Beschaffung von Input oder Dienstleistungen von außerhalb/vom Ausland. Diese Prozesse haben vielfältige Auswirkungen. Die offensichtlichsten sind 1) das Abwandern von Arbeitsplätzen in Länder wie China, Indien oder die früheren kommunistischen Länder Osteuropas und 2) der daraus resultierende Druck der Arbeitgeber oder des Staates, ‘konkurrenzfähiger' zu werden, um dieses Schicksal zu vermeiden.

(Und jetzt hören wir, dass Call-Center-Arbeitsplätze möglicherweise von Indien in das noch kostengünstigere Pakistan verlegt werden. Und dass Fabriken möglicherweise von den chinesischen Küstenregionen ins billigere Inland verlegt werden).

‘Konkurrenzfähiger’ zu sein impliziert üblicherweise ‘das Verhandeln von Zugeständnissen’, wobei sich Gewerkschaften früher gesicherte Beschäftigungen, Löhne, Bedingungen und Rechte für Versprechungen der Arbeitgeber, eine reduzierte Zahl von Mitarbeitern zu behalten oder in der Gegend zu bleiben, abhandeln ließen. Natürlich gibt es keine Garantie, dass die Arbeitgeber ihre Versprechen halten oder nicht später erneut für weitere Zugeständnisse zurückkommen.

Wir leben eindeutig in einer globalisierten und vernetzten Welt eines unkontrollierten Firmenwachstums, der Konkurrenz, der Bewegung und des Wandels. Die Reichen profitieren davon auf Kosten der Arbeiterschaft und der Armen weltweit. Outsourcing und Offshoring sind nur zwei Aspekte der derzeitigen Angriffe. Vor zwanzig Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass Unternehmen ihre Geschäfte in einem tatsächlich weltweiten Rahmen koordinieren könnten. Informatisierung, z.B. Computervernetzung, ermöglicht diese Globalisierung. Es wurden nicht nur Stahlproduktion oder die Handelsschifffahrt weitgehend nach China, Korea oder Brasilien verlagert, Call Center können auch in die anglophone Karibik oder Südafrika abwandern, was sie auch tun. Und die Softwareentwicklung und -herstellung kann nach Indien oder China abwandern, was sie ebenfalls auch tun.

Es findet eine weltweite Spirale abwärts statt. Die heutigen Gewinner eines Offshoring-Geschäfts können morgen die Verlierer sein. Bei Lohnunterschieden für die gleiche Stelle im Bereich von 1:3 bis 1:10 gibt es für reichere Arbeiter keine Möglichkeit zu gewinnen, indem sie mit ärmeren Arbeitern konkurrieren - oder sie als Feinde betrachten. Besonders, wenn die Regierung – auf nationalem bis internationalem Niveau – ihre frühere Macht an die Unternehmen verliert oder sogar den gnadenlosen globalen Konkurrenzkampf noch verschärft.

Es wird immer offensichtlicher, dass die traditionellen Mittel der Arbeiter, sich zu wehren und zu behaupten - die nationale Industriegewerkschaft, der Betriebsrat, die lokalen, landesweiten und internationalen Institutionen, das Ritual der Tarifverhandlung und die Ideologie der ‘Sozialpartnerschaft’ - durch Globalisierung in Frage gestellt, untergraben oder umgangen werden.

Wenn Offshoring nur ein Aspekt der Globalisierung und Informatisierung ist, müssen wir den letzteren ganz offensichtlich auf allgemeinerer Ebene verstehen. Weder Globalisierung noch Informatisierung sind schlecht. Es ist zwar richtig, dass wir uns vielleicht nicht dagegen wehren oder zu Utopien vor der Globalisierung zurückkehren können, aber wir können uns natürlich auf diesem neuen Gebiet behaupten und für eine ‘Globalisierung von unten’ kämpfen sowie ‘internationale Kommunikation von unten' entwickeln.

Was in dieser Abhandlung dargestellt wird, sollte mehr als eine Reihe zu diskutierender Vorschläge und nicht als richtige Antworten auf aktuelle Probleme gesehen werden. Es ist offensichtlich, dass die aktuelle dramatische Wandlung des Kapitalismus erfordert eine gleichwertige, dieser entgegengesetzten Wandlung unseres Verständnisses der Arbeitswelt, unserer Möglichkeiten der Verteidigung oder Gegenbehauptung und unserer Strategien zur Entwicklung derselben erfordert. Aber es ist den Lesern dieses Textes freigestellt, darüber nachzudenken, wie dies mit ihrer Arbeitserfahrung, ihren aktuellen Organisationsmitteln, ihrer Sicht der Welt oder Weltanschauung, ihren Hoffnungen und Sehnsüchten für die Zukunft zusammenhängt.

Die neue Welt der Arbeit

Das traditionelle Modell der Arbeit sieht etwa so aus: ein männlicher Lohnempfänger und Ernährer der Familie, sein Leben lang angestellt, möglicherweise mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit, beschäftigt mit dem Abbau von Rohstoffen in großem Stil, Produktion, Vertrieb oder Dienstleistungen, entweder im privaten oder im öffentlichen Bereich. Für die Gewerkschaftsbewegung war der ‘typische Arbeiter’ lange Zeit der national zugeordnete - russische, deutsche, indische - Bergarbeiter, Autowerker, Hafenarbeiter, Landwirtschafts- oder Plantagenarbeiter, Verkäufer, Bahnarbeiter oder Büroangestellte. Was Frauen typischerweise machten oder machen, Haushaltsführung, Essenszubereitung oder Einkaufen, wurde oder wird nicht als ‘Arbeit’ betrachtet.

Auf Grund dramatischer Produktivitätssteigerungen, der Art und Weise, was wie produziert wird, des Wechsels von der Produktion zu Dienstleistungen, von lokalen zu globalen Märkten, von der Produktion für Massenmärkte zu ‘Nischen'märkten fand eine dramatische Reduzierung dieser Art der Arbeit und der Arbeitsplätze statt. Somit fand auch ein dramatischer Rückgang des Typs von Arbeitern statt, die die Gewerkschaften traditionell vertreten.

Darüber hinaus leben Arbeiter immer weniger in ‘Arbeitervierteln’, werden immer weniger durch oder mit Arbeit identifiziert. Dagegen unterscheidet man sie zunehmend auf Grund von Beschäftigung, Arbeitgeber, Sicherheit, Vertragsart, Wohnsitz, nicht arbeitsbezogenen Interessen und Identitäten. Die ‘Proletarisierung’ schreitet weltweit rasch voran, jedoch ohne ein `Proletariat´ wie im 19. oder 20. Jahrhunderts hervorzubringen. Das Erkennen des Anstiegs verschiedener Arten prekärer Arbeit hat tatsächlich einige dazu veranlasst, vom neuen `Prekariat’ zu sprechen.

All dies bedeutet jedoch - noch - nicht, dass die Arbeiter die alte `Ideologie der Arbeit´ aufgeben. Für Arbeiter ist es „normal“ zu denken, dass wir umso reicher und glücklicher sind, je mehr wir arbeiten. Wir sind so sehr an die Arbeitsmoral gewöhnt, dass wir gerne denken ‘ich habe eine Stelle, deshalb existiere ich'. Deshalb neigen wir immer noch dazu, auf die Arbeitslosen, die ‚ALGII-Empfängerin’, die Hausfrau und insbesondere den Hausmann herabzublicken. Viele Menschen stimmen der Auffassung von Margaret Thatcher zu ‘There is no alternative’ (TINA) ‚Es gibt keine Alternative’. Privatisierung, Globalisierung, Kapitalismus, Individualisierung und gnadenlose Konkurrenz, sei es zwischen einzelnen Arbeitern oder Arbeitern verschiedener Volkszugehörigkeiten oder Nationalitäten, scheint unvermeidlich.

Heute müssen wir als Arbeit eine Bandbreite des Folgenden anerkennen: nicht nur die traditionelle Art der Lohnarbeit und Lohnarbeiter - vermehrt weiblich! - sondern auch eine so ‘atypische’ Arbeit wie die der Subunternehmer in Ausbeuterbetrieben oder der ‘selbständigen’ Heimarbeiter, sowie der im Haushalt Tätigen, da Frauen hier unbezahlte Arbeit verrichten, um den Lohnarbeiter am Leben zu halten. ‘Atypische’ Arbeit war schon immer typisch für Länder wie Indien oder Peru. Aber sie steigt in der industrialisierten kapitalistischen Welt im Vergleich zu ‚typischer Arbeit’ an.

Gewerkschaften werden mit den Alternativen der

  1. Verteidigung der rückläufigen Zahl bzw. dem Anteil der traditionellen Lohnempfänger oder der
  2. Annahme und Berücksichtigung des Problems Arbeit - plus Arbeitsüberlastung und Arbeitslosigkeit - insgesamt konfrontiert.

Wir müssen in den Kampf um sozial sinnvolle, umweltfreundliche Arbeit, die von den Herstellern und Verbrauchern für selbstbestimmte Zwecke kontrolliert wird, eingebunden sein. Und wir müssen uns daran erinnern, dass eine der ursprünglichen Forderungen der Arbeiterbewegung nicht in mehr Arbeit bestand, sondern darin, der Lohnsklaverei insgesamt ein Ende zu bereiten.

Das Problem besteht darin, dass wir durch die Forderung einer fairen Verteilung der verfügbaren Arbeit und der Zusicherung, dass alle weniger arbeiten, vermehrt mit einer globalisierten und informatisierten kapitalistischen Wirtschaft konfrontiert werden.

Globalisierung und Informatisierung: ihre und unsere, von oben und von unten

‘Globalisierung’ bedeutet tatsächlich einfach die vermehrte Ausweitung sozialer Beziehungen - wirtschaftlich, politisch, kommunikativ, kulturell - und die steigende Intensität der Auswirkungen, die diese auf ehemals separate, einzelne oder isolierte Gemeinschaften haben. Globalisierung bedeutet eine mindestens genauso dramatische Umgestaltung unserer Welt wie durch die nationale Industrialisierung vor ein bis zwei Jahrhunderten.

Aber Globalisierung ist nicht neutral und auch nicht notwendigerweise gut oder schlecht.

Die Globalisierung der kapitalistischen Wirtschaft, die Globalisierung von oben, wirkt sich auf alle Aspekte des Lebens jedes Menschen in jedem Teil der Welt aus. Für Beschäftigte bedeutet dies, der wachsenden Macht einer kleinen Zahl globaler Unternehmen und damit rücksichtsloser globaler Konkurrenz gegenüberzustehen. Arbeiter müssen sich nun auf einem globalen Arbeitsmarkt verkaufen.

Traditionelle Formen der Aktion durch Gewerkschaften, Betriebsräte, Tarifverhandlung und politische Parteien scheinen in dieser Situation außerstande zu sein, sich effektiv zu verteidigen oder gar Siege zu erringen.

Globalisierung ist gleichzeitig Auswirkung und Ursache der ‘Informatisierung’. Informatisierung bezieht sich auf computerisierte Kommunikation, Produkte, Dienstleistungen. Informatisierung beinhaltet das Internet, das World Wide Web, Cyberspace, computerisierte Prozesse wie das Versorgungskettenmanagement, weltweite Finanzbewegungen, CAD, Call-Center, computerisierte Produkte wie Mobiltelefone, Digitalkameras, DVD’s, Video-Spiele und computerisierte Spielzeuge.

Informatisierung erlaubt es Firmen, sich von einem bestimmten Standort oder Land oder sogar der Erde zu befreien. Sie können im Cyberspace operieren, der sogenannten ‘virtuellen Realität’. Deshalb können Unternehmen ihre Form, ihre Arbeitskräfte, ihre Standorte ändern und dabei ihre Kontrolle erhöhen und unvorstellbare Gewinne anhäufen.

Alle Bestrebungen der Arbeiterschaft, der Globalisierung zu begegnen, sie zu beeinflussen oder zu kontrollieren – um Globalisierung von unten zu schaffen - müssen demokratische, von der Arbeiterschaft kontrollierte Informatisierungspraktiken entwickeln und im Cyberspace operieren.

Auf Grund der Tatsache, dass Informatisierung auf dem Feedback-Prinzip basiert, auf dem fortwährenden Austausch von Ideen und Informationen (Kommunikation vieler mit vielen), wird ein unbegrenztes Potential an Gleichheit, Solidarität, Demokratisierung und Emanzipation impliziert. Aber dieses Potential muss freigesetzt werden.

Globalisierung und Informatisierung erfordern und ermöglichen eine neue Art des Gewerkschaftswesens.

Die Arbeiterbewegung wieder in Bewegung bringen

Die Gewerkschaften waren einmal ein Teil oder sogar die Anführer nationaler und internationaler sozialer Bewegungen für Demokratie, Gleichheit und Solidarität. Aber sie sind zunehmend zu ‚Autoclubs für Arbeiter’ geworden und verteidigen dabei möglicherweise die Interessen bestimmter Lohnarbeiterkategorien, während sie die Interessen der arbeitenden Bevölkerung und der Gesellschaft insgesamt aus den Augen verlieren. Sie verlieren die Mitgliederbasis, ihre Mitglieder, und sogar das Engagement derer, die sie noch haben.

Die Arbeiterbewegung muss weiter gehen als nur ‚wirtschaftlich’ oder ‚politisch’ oder ‚politisch-wirtschaftlich’ zu sein und sich in Richtung eines neuen sozialen 'Gewerkschaftswesens’ bewegen. Das muss gleichzeitig wirtschaftlich, politisch, sozial und kulturell passieren. Die Interessen aller Lohnarbeiter müssen anerkannt werden und dabei für alle Arbeiterkategorien, für die Nicht- und Unterbeschäftigten und für alle anderen demokratischen sozialen Bewegungen offen sein. Globalisierung und Informatisierung erfordern und erleichtern gleichzeitig das Überschreiten der Firmen-, Gewerbe-, Klassen-, Bürokratie- und Landesgrenzen der Gewerkschaftsbewegung. Das Prinzip und die Praxis der Vernetzung kann es der Gewerkschaft erlauben, nach innen demokratisch, sozial offen und global in der Reichweite zu werden.

Eine für die Zeit der Globalisierung neu erfundene Gewerkschaftsbewegung muss u.a. Folgendes thematisieren:

  • alle Arbeitsformen, alle Arbeiterkatagorien und den Arbeiter als Mensch;
  • welche Arbeiten und Produkte sind unter welchen Bedingungen sozial notwendig und sinnvoll;
  • Bildung, Kultur und Kommunikation, um eine Kultur der Arbeit, der Demokratie und des Volkes zu unterstützen; Demokratie am Arbeitsplatz und horizontale Beziehungen sowohl zwischen Arbeitern als auch zwischen den Arbeitern und anderen demokratischen sozialen Kräften;
  • alle anderen sozialen Fragen und Bewegungen, wie Frieden, Anti-Rassismus und die Umwelt, die die Humanisierung der Welt, in der die Arbeiter leben, betreffen.

Eine derartige neue Gewerkschaftsbewegung müsste deshalb auch eine globale solidarische Gewerkschaftsbewegung sein. Ein neuer Internationalismus: eine globale solidarische Gewerkschaftsbewegung

Während früher internationale Arbeitssolidarität fest im Arbeiterbewusstsein verankert war und von den Arbeitern selbst ausgeübt wurde, bedeutet sie zunehmend die ‘internationalen Beziehungen’ der Gewerkschaften, stellvertretend ausgeübt von Gewerkschaftsfunktionären. Die internationalen Gewerkschaftsverbände behandeln oft Fragen, über die Arbeiter nicht unterrichtet oder welche für sie nicht relevant oder wirkungslos sind, was das Vorantreiben oder gar die Verteidigung der Löhne und Bedingungen der Arbeiter betrifft. Ein neuer Arbeiterinternationalismus muss sich auf eine globalisierte und informatisierte Welt beziehen. Es muss eine neue globale Arbeitssolidarität sein. Unter anderem impliziert dies:

  • von Gewerkschaftsmitgliedern an Stelle ihrer hauptamtlichen Funktionäre beherrscht zu werden;
  • von der Arbeiterklasse selbst ausgeübt zu werden; zusammen mit anderen globalen Solidaritätsbewegungen ausgeübt zu werden;
  • eine mehrdimensionale Solidarität, die nicht nur von Nord nach Süd, sondern von Süd nach Nord, von Ost nach West und umgekehrt funktioniert und dadurch über die traditionelle Einbahnstraße von „reich“ nach „arm“ hinausgeht;
  • die Verwendung von Computern und die Vernetzung zur Umgehung bürokratischer Prozesse, politischer Ausrichtungen und Pyramidenstrukturen durch eine Arbeiter-Arbeiter-Kommunikation ohne Zwischenschaltung.

Eine neue Art globaler solidarischer Gewerkschaftsbewegung muss durch diese neue Art der Politik auch über die Grenzen alter Arbeiterparteien und Gewerkschaftspolitik hinausgehen.

Eine neue Politik: eine lokale Zivilgesellschaft, die sich global ausrichtet

Wir haben das Ende des Kalten Krieges erlebt, den Niedergang bzw. Kollaps der alten kommunistischen, sozialdemokratischen oder radikal-nationalistischen Projekte oder Regime (wie zu verschiedenen Zeiten in Ägypten und Peru). Jedoch unterwirft sich die Gewerkschaftspolitik im Allgemeinen immer noch den ‘nationalen Interessen’, den nationalen oder internationalen politischen Parteien, den nationalen oder zwischenstaatlichen Grundsätzen der ‘sozialen Partnerschaft’, in der die Gewerkschaften Juniorpartner sind. Arbeiter- und sozialdemokratische Parteien führen zunehmend eine neoliberale Politik ein und nehmen entweder die Gewerkschaften an die Kandare oder ignorieren sie. Die alte Politik bedeutet von politischen Parteien, von Staaten oder zwischenstaatlichen Institutionen – sogar von freundlichen multinationalen Unternehmen - abhängig zu sein.

Eine neue Politik würde eine Stärkung der Arbeiter und ihrer tatsächlichen Sozialpartner in der ‘Zivilgesellschaft’ bedeuten. Zivilgesellschaft bezieht sich hier auf jene Bereiche und Aspekte des Soziallebens, die von Unternehmen und Staaten unabhängig sind und/oder auf jene Tätigkeiten, die darauf abzielen, ‘den demokratischen Bereich’ in und gegen Kapital und Staat auszuweiten.

Das eigentliche Konzept der Zivilgesellschaft wurde (neu) erfunden neben der (Neu)- Erfindung demokratischer sozialer Bewegungen in Osteuropa und Lateinamerika. Es wurde in Westeuropa aufgegriffen und dann durch die sogenannte 'global solidarity and justice movement’ (GJ&SM;) [globale Solidaritäts- und Gerechtigkeitsbewegung] globalisiert. Das fand seinen Niederschlag in der Zapatista-Bewegung in Mexiko (1994), den großen bewegungsübergreifenden Mobilisierungen gegen die internationalen Finanzinstitute, wie die Weltbank, Welthandelsorganisation, in Orten wie Seattle 1989, Genua 2001 und den weltweiten Anti-Kriegs-Demonstrationen gegen den Irakkrieg im Februar 2003.

Die traditionellen nationalen und internationalen Gewerkschaften beteiligen sich zunehmend am bekanntesten internationalen Ausdruck dieser neuen Bewegung, den Welt-, Europa-, Landes- und Lokalsozialforen (2001 bis 2005 und in der Zukunft). Aber während Gewerkschaftsverbände diese neue Politik eine gewisse Anerkennung zukommen lassen, investierten sie gleichzeitig in die alte Politik des Weltwirtschaftsforums, des Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation und der Weltbank.

Eine verstärkte Verschiebung der Gewerkschaftsenergien von der alten zur neuen Politik würde die Gewerkschaften neu beleben und sicherstellen, dass Arbeiterfragen innerhalb der GJ&SM; vollständig vertreten wären.

Die neuen Bewegungen sind eher `global´ als `international´, d.h., dass die Welt als eine Gesellschaft gesehen wird und nicht als Ansammlung konkurrierender Nationalstaaten oder Blöcke, ihrer Parteien, Gewerkschaften usw. Das trägt dazu bei, auch den Gegensatz zwischen lokal und global, der traditionelle Gewerkschaften immer noch einschränkt, zu überwinden.

Lokal und global bedingen sich gegenseitig

Firmen oder Unternehmen waren in der Vergangenheit gebunden an oder abhängig von Plätzen wie Bergwerken und Häfen, bestimmten Städten, Regionen oder Nationalstaaten. Für die Arbeiterschaft war es deshalb möglich, auf diesen Gebieten zu kämpfen, sich durch Proteste, Reformen oder Revolution entweder zu verteidigen oder zu behaupten. Mit steigender Globalisierung/Informatisierung des Kapitals zeigt die Verteidigung einer bestimmten Lokalität ebenso wie die Verteidigung bestimmter Fähigkeiten oder Arbeitsarten immer weniger Wirkung.

Eine Antwort der Arbeiterschaft auf die Globalisierung ist der Versuch, die Lokalität, den Nationalstaat oder sogar Regionen wie die europäische Union zu verteidigen. In den USA organisierten Arbeiter in der Automobilindustrie ziemlich wirkungslose Toyota-Zerstöraktionen. Arbeiter in der Stahlindustrie versuchten, den Import von Stahl der chinesischen Niedriglohnarbeiter in die USA zu verhindern. Globalisierung wird hier nicht als neues Gebiet gesehen, auf welchem gekämpft werden kann und muss, sondern als böses Imperium, im Gegensatz zu dem guten, oder jedenfalls geläufigen, lokalen.

Eine andere Antwort auf einige der neuen sozialen Bewegungen ist zu sagen ‘denk global, handle lokal’. Das bedeutete die Anerkennung der Notwendigkeit von Solidarität, aber dennoch die Berücksichtigung des lokalen, nationalen oder regionalen Gebiets als entweder einzigem oder bevorzugtem Kampfgebiet. Die Arbeiterbewegung erkennt jedoch zunehmend, dass Arbeiter mehrfache sozial-geographische Identitäten, Interessen und Gemeinschaften haben, da sie - gleichzeitig - Nürnberger, Bayern, Deutsche, Europäer und Weltbürger sind. Lokale Proteste, wie jener gegen die Privatisierung von Wasser in der isolierten Provinzstadt Cochabamba im isolierten Bolivien, inspirieren globale Ereignisse, wie jene gegen die Weltbank in Washington. Umgekehrt versorgen Ereignisse auf globalem Niveau oder Prozesse im Cyberspace buchstäblich die lokalen Initiativen mit Informationen.

Wenn die Arbeiterbewegung im Zeitalter der Globalisierung effektiv sein soll, muss der Slogan lauten ‘denk lokal/global, handle lokal/global’. Und natürlich, handle im Cyberspace! Was wir mit unseren Kollegen überall noch ausarbeiten müssen, ist, welche Art der Lokalität, Stadt, Nation, Region und Welt wir haben wollen.

Schlussfolgerung

Diese Abhandlung beschäftigt sich mit der sich ändernden Art der Arbeit, mit Globalisierung und Informatisierung (von oben und unten), mit der Notwendigkeit und Möglichkeit eines neuen Modells der Gewerkschaftsbewegung und der Politik (von lokal zu global), mit der daraus folgenden Erkenntnis, dass lokal und global interdependent sind.

Während all das utopisch scheinen mag, und zwar im negativen Sinn, sollten wir uns daran erinnern, was Oscar Wilde sagte: ‘Eine Weltkarte, in der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keinen Blick’. Man kann die Arbeiterbewegung im allgemeinen oder Gewerkschaften im besonderen beobachten, wie sie anfangen, sich in Richtung einer Art globaler sozialer solidarischer Gewerkschaftsbewegung zu entwickeln. Wenn man ein Modell deutlich macht, kann dies dazu beitragen, es umzusetzen. Die Alternative besteht darin, auf dem alten Weg weiterzugehen und der Dystopie, dem Gegenteil von Utopia, gegenüberzustehen. Das heißt nicht, dass die obigen Vorschläge eine fertig ausgearbeitete und vollständige Ideologie oder Strategie wären, die die Arbeiter dann verinnerlichen, glauben und der sie folgen müssen. Die Abhandlung soll im Gegenteil nur zum Nachdenken und Handeln anregen. Wie die Spanier sagen: die Straße entsteht während des Gehens.

Nachfolgend einige Gedanken, wie man auf die oben skizzierten Ideen sinnvoll antworten könnte:

  1. Diskutieren Sie jetzt ihre Vor- und Nachteile. Argumentieren Sie dagegen, wenn Sie möchten, zu Gunsten eines bestehenden Gewerkschaftsmodells, oder stellen Sie diese mit der einen oder anderen Alternative in Frage;
  2. Lesen Sie Hintergrundmaterial und suchen Sie weiteres Material in gedruckter Form oder im Internet;
  3. Diskutieren Sie die Krise der Gewerkschaftsbewegung und mögliche Alternativen dazu innerhalb Ihres Betriebsrats, innerhalb Ihrer Gewerkschaft und natürlich mit Ihren Arbeitskollegen;
  4. Finden Sie heraus, wo Ihre Firma Filialen hat, außer Haus vergibt, Tochtergesellschaften besitzt, welche Art von Organisationen der Arbeiter sie hat und wie diese funktionieren;
  5. Regen Sie Kontakte zu Arbeitskollegen weltweit an, indem Sie bestehende Möglichkeiten dafür nutzen, aber notfalls auch Alternativen schaffen;
  6. Denken Sie über die Bedeutung der Solidarität im Rahmen der Globalisierung von oben nach unten, organisieren Sie allgemeine multi-direktionale Solidaritätsaktionen und bewerten Sie diese, wenn sie stattfinden;
  7. Finden Sie mögliche Verbündete für Ihren Kampf, identifizieren Sie sich mit Kämpfen, die derzeit oder potentiell mit Ihrem eigenen vereinbar sind, von der kommunalen Gemeinschaft zur globalen Ebene;
  8. Ermutigen Sie Ihre Arbeitskollegen, Gewerkschafts- und Betriebsratsmitglieder, sowohl autonom (d.h., selbstbestimmt ) als auch kollektiv (durch Dialog mit anderen) zu handeln;
  9. Erkennen Sie die Macht der Informatisierung, besonders der demokratisch beherrschten Medien wie das Internet und billige Multimedien, und nutzen Sie diese;
  10. Machen Sie „Arbeit'“ zum Diskussionsthema, überlegen Sie, wie Produktion, Produktionsprozess und Verbrauch sozial nützlich gestaltet werden könnten;
  11. Politik ist zu wichtig, um sie Politikern zu überlassen, entwickeln Sie alternative Formen, die Sie benutzen und beherrschen können;
  12. Denken Sie daran, eine andere Arbeitswelt ist nicht nur möglich, sondern notwendig …und dringend!

Englische Bibliographie

Arquilla, John and Ronfeldt, David, 2001. ‘Networks and Netwars: The future of terror, crime, and militancy’, Rand, USA. http://www.rand.org/publications/MR/MR1382/

Bellal, Selma et. al. (eds). 2003. Sydicats et société civil: des liens à (re) découvrir. Bruxelles : Éditions Labor.

Barbrook, Richard. 1999. 'Frequently Asked Questions: Digital Workers and Artisans: Get Organised':, http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/nettime-l-9902/msg00072.html

Bibbey, Andrew 2003. The Global Mobility Revolution, Union Network International. http://www.andrewbibby.com/pdf/Global Mobility.pdf

Brecher, Jeremy and Costello, Tim 2004. ‘OUTSOURCE THIS!, American Workers, the Jobs Deficit, and the Fair Globalization Solution’, The North American Alliance for Fair Employment. http://www.fairjobs.org/docs/OutsourceThis!.pdf

Brecher, Jeremy, Costello, Tim and Smith, Brendan 2000. ‘Globalization from below: the power of solidarity’, South End Press

Escobar, Arturo. 2003. `Other Worlds Are (already) Possible: Cyber-Internationalism and Post-Capitalist Cultures´. http://www.zmag.org/escobarcyner.htm

Gorz, André. 1999. `A New Task for the Trade Unions: The Liberation of Time from Work´, in Ronaldo Munck and Peter Waterman (eds), Labour Worldwide in the Era of Globalisation: Alterantive Union Models in the New World Order, Houndmills: Macmillan. Pp. 41-63.

Grubacic, Andrej and David Graeber. 2004. `Anarchism, or the Revolutionary Movement of the 21st Century´. http://www.zmag.org/content/print_article.cfm?itemID=4796§ionID;=41

Hollis, Dave.2004. Offshoring – A Global Approach http://www.labournet.info/offshoring/Offshoring2/view

Hyman, Richard 1999. Imagined Solidarities: Can Trade Unions Resist Globalization? http://www.antenna.nl/~waterman/hyman2.html

Hyman, Richard. 2004. `Agitation, Organisation, Diplomacy, Bureaucracy: Trends and Dilemmas in International Trade Unionism´, Labor History, 45(3).

Huws, Ursula. 2003. The Making of a Cybertariat: Virtual Work in a Real World. London: Merlin.

Massey, Doreen. 2000. `The Geography of Power´, Red Pepper (UK), No. 73, pp. 18-21.

Patkar, Medhar and Sanjay Sangvai. 2004. `Meeting Point for Trade Unions and Environmentalists´, Labour File, (Special Issue: Labour, Environment and Community), Vol. 2, No. 6, pp 20-26.

Waterman, Peter and Jill Timms. 2004. ‘Trade Union Internationalism and A Global Civil Society in the Making’, in Kaldor, Mary, Helmut Anheier and Marlies Glasius (eds), Global Civil Society 2004/5. London: Sage. Pp. 178-202. http://www.choike.org/documentos/waterman_unions.pdf

Waterman, Peter. 2004. ‘The World Social Forum and the Global Justice and Solidarity Movement: A Backgrounder’, in Jai Sen, Anita Anand, Arturo Escobar and Peter Waterman (eds). 2004. The World Social Forum: Challenging Empires. New Delhi: Viveka.

Deutsche Bibliographie

Bibbey, Andrew 2003. Strategie in einem zunehmend globalen Arbeitsmarkt. Die globale Mobilitäts-Revolution. Union Network International. http://www.andrewbibby.com/pdf/Global%20German.pdf German.pdf

Brenner, Johanna. 2004. `Transnationaler Feminismus and Kampf um globale Gerechtigkeit´, in Sen et. al. 2004.

Escobar, Arturo. 2004. `Andere Welten sind (schon) möglich: Selbstorganisiering, Komplexität und postkapatalisctische Kulturen´, in Sen et. al. 2004.

Graeber, David. 2004. `Das Zwielicht des Avantgardismus´, in Sen et. al. 2004.

Hardt, Michael und Negri, Antonio 2004. `Multitude’, Campus Verlag,

Heine, Hannes. 2005. `Gewerkschaft neuen Typs´, Junge Welt. 03.02.05. http://www.jungewelt.de/2005/02-03/003.php.

Hollis, Dave 2004. Anmerkungen zum Offshoring, http://www.labournet.info/offshoring/OffshoringDE/wikipage_view/

Holloway, John, 2004. `Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen’, Westfälisches Dampfboot

Hyman, Richard. 2002. `Grenzen der Solidarität´, Eurozine, http://www.eurozine.com/article/2002-11-28-hyman-de.html

Lenz, Ilse. 2003. `Veränderungen der Geschlechterverhältnisse in der Globalisierung der Wirtschaft´ (Changes in Gender Relations under Economic Globalisation), 39th session of the International Conference of Labour and Social History, Linz, Austria, September 11-14, 2003: `Labour and New Social Movements in a Globalising World System´.

Sen, Jai, Arturo Escobar, Anita Anand and Peter Waterman (eds). 2004. Ein andere Welt: Das Weltsozialforum. Berlin: Dietz Verlag/Rosa-Luxemburg-Stiftung. 504 pp.

Unfried, Berthold and Marcel van der Linden (eds., assisted by Christine Schindler). 2004. Arbeit, Arbeiterbewegung und neue soziale Bewegungen im globalisierten Weltsystem (Labour and New Social Movements in a Globalising World System). (ITH Conference Proceedings, Vol. 38) Akademische Verlagsanstalt Leipzig.

Waterman, Peter. 2002. ‘Emanzipation des ArbeiterInnen-Internationalismus’, Kurswechsel, (Gewerkschaftliche Erneuerung und Globalisierung), Heft 2.

Waterman, Peter. 2004. ‘Die Bewegung für globale Gerechtigkeit und Solidarität und das Weltsozialforum’, in Sen et. al. 2004.

(0) Kommentare