SIS Austria - Schneller Im Sozialabbau?
Ab 1. Juli 2010 soll der Siemens Geschäftsbereich "Siemens IT Solutions and Services" (SIS) weltweit als rechtlich selbständige Einheit innerhalb des Konzerns weiter geführt werden, angeblich um diese "Schneller – Innovativer – Stärker" (SIS) zu machen. Viele SIS KollegInnen in Österreich fürchten jedoch, dass die SIS durch die Ausgliederung nur schneller im Sozialabbau von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen wird. NetLeiwand zeigt rechtliche und politische Möglichkeiten auf, um einen dadurch drohenden sozialen Kahlschlag in Österreich zu verhindern.
Welche sozialen Errungenschaften der weltweit rund 35.000 SIS-KollegInnen durch den Betriebsübergang bedroht sind, lässt sich aus folgenden Äußerungen von Siemens ableiten:
Bedrohte soziale Errungenschaften der ArbeitnehmerInnen
… wir werden auch Arbeitsplätze verlieren, die auf Dauer nicht wirtschaftlich gestaltet werden können. (Brief an alle Mitarbeiter von Siemens IT Solutions and Services, 3.12.2009)
… Die Gehaltsstruktur bei SIS ist diametral zu dem, was heute gefragt wird. (Finanzvorstand Joe Kaeser laut FTD, 3.12.2009)
… Ein Börsengang wäre eine Option. (Finanzvorstand Joe Kaeser laut FinanzNachrichten, 3.12.2009). (Weiter-)Verkauf a la BENQ eine andere.
Welche rechtlichen Möglichkeiten haben nun die rund 2.600 SIS-KollegInnen in Österreich bei einem Betriebsübergang, um ihre sozialen Errungenschaften zu erhalten?
Recht auf Erhalt individualvertraglicher Arbeitsbedingungen
Gemäß § 3 Abs 1 AVRAG tritt der neue Betriebsinhaber (Erwerber) als Arbeitgeber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse des alten Betriebsinhabers (Veräußerers) ein.
Diese sogenannte „Eintrittsautomatik“ bewirkt eine volle Übernahme der individuell in Einzel-Dienstvertrag oder Dienstzettel vereinbarten Rechte und Pflichten durch den Erwerber. Darunter fallen auch alle bisherigen Neben- und Änderungszusagen etwa zum Gehalt oder zur Arbeitszeit, zu Betriebsübungen und freien Betriebsvereinbarungen(BV).
Laut
OGH-Rechtsprechung kann der/die ArbeitnehmerIn aber auf den durch die
Eintrittsautomatik … gewährleisteten Schutz verzichten und … Ansprüche aus der
ungerechtfertigten Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend machen.
Gemäß § 3 Abs 4 AVRAG kann der/die ArbeitnehmerIn auch in bestimmten Fällen dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen … Widerspricht der Arbeitnehmer, so bleibt sein Arbeitsverhältnis zum Veräußerer unverändert aufrecht.
Das geht aber in Österreich nur in den Fällen, wo der Erwerber verbesserte Kündigungszusagen im Kollektivvertrag(KV), die über das Gesetz hinausgehen, oder betriebliche Pensionszusagen, die auf dem Dienstvertrag beruhen, vom Veräußerer nicht übernimmt. Da es bei der Siemens AG Österreich aber solche Zusagen nicht gibt, können die KollegInnen bei SIS aus § 3 Abs 4 AVRAG (leider) auch kein Widerspruchsrecht ableiten.
Nichtsdestotrotz ermöglicht die EU-Betriebsübergangsrichtlinie laut EuGH-Rechtsprechung einem Arbeitnehmer, der im Zeitpunkt des Übergangs … beim Veräusserer beschäftigt ist, … (auch aus anderen Gründen z.B. wegen geringerer Umsatzerwartungen, gemachten negativen Erfahrungen oder bedenklicher Bonität beim Erwerber) dem Übergang seines Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber zu widersprechen. Die Richtlinie verpflichtet die (EU-)Mitgliedstaaten jedoch nicht, die Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses mit dem Veräusserer für (diesen) Fall vorzusehen, ….
Sogenannte „Umgehungsgeschäfte“ zur Umgehung der Eintrittsautomatik sind verboten:
So sind etwa Kündigungen, die ihren tragenden Grund im Betriebsübergang haben, … nichtig gemäß § 879 ABGB. Liegen die Kündigung oder deren Beendigungswirkung in zeitlicher Nähe zum Betriebsübergang, trifft den Veräußerer beziehungsweise den Erwerber die Behauptungslast und die Beweislast, dass die Kündigung nicht allein auf Grund des Übergangs erfolgte sondern z.B. aus wirtschaftlichen, organisatorischen oder verhaltensbedingten Gründen. (Rechtssatz 28.08.1997)
Oder es sind vorsorgliche Rationalisierungskündigungen, um dem Erwerber neue Strukturierungen oder Einsparungen zu ermöglichen, … unzulässig. In diesen Fällen kann erst der Erwerber unter Beachtung der arbeitsverfassungsrechtlichen Schutzbestimmungen kündigen. (OGH-Urteil 05.06.2002)
Außerdem ist beispielsweise die Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Veräußerer verbunden mit der Vereinbarung der Weiterbeschäftigung beim Erwerber zu ungünstigeren Bedingungen … als unzulässige Umgehung des § 3 Abs 1 AVRAG zu werten. (Rechtssatz 24.09.2003)
Allerdings kann bei Vereinbarungen nicht von einem unzulässigen Umgehungsgeschäft gesprochen werden, wenn die Vereinbarungen nach ihrem gesamten wirtschaftlichen und rechtlichen Gehalt für (den/die ArbeitnehmerIn) ebenso günstig wie die im Falle des (Erhalts individualvertraglicher Arbeitsbedingungen) gegebene Situation (sind). (OGH-Urteil 24.09.2003)
Recht auf Erhalt kollektivvertraglicher Arbeitsbedingungen
Gemäß § 4 Abs 1 AVRAG hat der Erwerber nach Betriebsübergang … die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur … Anwendung eines anderen Kollektivvertrages in dem gleichen Maße aufrechtzuerhalten, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren. Die (kollektivrechtlichen) Arbeitsbedingungen dürfen zum Nachteil des Arbeitnehmers durch Einzelarbeitsvertrag innerhalb eines Jahres nach Betriebsübergang weder aufgehoben noch beschränkt werden.
Das
heißt, dass nur jene Regelungen im KV des Veräußerers, die im neuen KV des
Erwerbers keine Anwendung oder Entsprechung finden, noch mindestens ein Jahr nach
dem Betriebsübergang weiter gelten. Ist-Gehaltserhöhungen, automatische
Vorrückungen oder Gehaltseinstufungen gehören jedoch leider nicht zu den
weitergeltenden KV-Regelungen, weil sie nach dem Betriebsübergang immer den
Regeln des neuen KV folgen.
Gemäß § 4 Abs 2 AVRAG darf durch den Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge des Betriebsüberganges … das dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche Entgelt nicht geschmälert werden.
Diese Vorschrift ist nur für ArbeitnehmerInnen relevant, die beim Veräußerer nicht einzelvertraglich höher entlohnt (überzahlt) werden. Mit anderen Worten das Gehalt von KV-MindestgehaltsempfängerInnen darf erst ein Jahr nach dem Betriebsübergang durch Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung durch den Erwerber gekürzt werden.
Recht auf Erhalt betrieblich vereinbarter Arbeitsbedingungen
Gemäß § 3 Abs 3 AVRAG bleiben bei Betriebsübergang nach Abs. 1 die Arbeitsbedingungen aufrecht, es sei denn, aus den Bestimmungen über … die Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen (§§ 31 und 32 des Arbeitsverfassungsgesetzes, …) ergibt sich anderes.
Gemäß §31 Abs 4 und 5 ArbVG wird aber die Geltung von Betriebsvereinbarungen … durch den Übergang des Betriebes (z.B. SIS) auf einen anderen Betriebsinhaber nicht berührt. … Die Geltung von Betriebsvereinbarungen bleibt (außerdem) für Betriebsteile (z.B. von SIS) unberührt, die rechtlich verselbständigt werden.
Das heißt Verpflichtungen aus (echten) Betriebsvereinbarungen gehen nach dem, was wir heute über die geplante SIS-Ausgliederung wissen, auf den Erwerber bzw. neuen Betriebsinhaber über. Eine spätere Kündigung durch den Erwerber führt gemäß §32 Abs 3 ArbVG erst ein Jahr nach dem Betriebsübergang zur Änderung der betreffenden Arbeitsbedingungen.
Pflicht zur Mitteilung über Änderung der Arbeitsbedingungen
Gemäß § 3 Abs 3 AVRAG hat der Erwerber … dem Arbeitnehmer jede auf Grund des Betriebsüberganges erfolgte Änderung der Arbeitsbedingungen unverzüglich mitzuteilen.
Das heißt es besteht unverzügliche Anzeigepflicht des Erwerbers in Bezug auf alle Änderungen bei KV und echten Betriebsvereinbarungen inbesondere bei betrieblichen Pensionszusagen.
Recht auf Feststellung einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
Gemäß § 3 Abs 6 AVRAG kann der Arbeitnehmer … innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Änderungen seiner Arbeitsbedingungen im Sinne des Abs. 5 (betreffend KV oder BV) auf Feststellung der wesentlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen klagen. Ebenso kann ein Feststellungsverfahren nach § 54 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes ... innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Änderungen der Arbeitsbedingungen eingeleitet werden.
Das heißt die gerichtliche Entscheidung, ob eine wesentliche Verschlechterung der kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen vorliegt, kann entweder durch individuelle Klage eines/r ArbeitnehmerIn nach § 228 ZPO oder durch das besondere Feststellungsverfahren gemäß § 54 ASGG mithilfe des Betriebsrats oder der Gewerkschaft initiiert werden.
Genauso können Betroffene aber auch im Falle der Verschlechterung individualrechtlicher Arbeitsbedingungen oder von Kündigungen, die ihren tragenden Grund im Betriebsübergang haben, deren Nichtigkeit bei Gericht feststellen lassen.
Recht auf begüngstigte Kündigung bei Verschlechterungen
Werden durch den nach Betriebsübergang anzuwendenden Kollektivvertrag oder die nach Betriebsübergang anzuwendenden Betriebsvereinbarungen Arbeitsbedingungen wesentlich verschlechtert, so kann der Arbeitnehmer innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, ab dem er die Verschlechterung erkannte oder erkennen musste, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen oder der kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine lösen. Dem Arbeitnehmer stehen die zum Zeitpunkt einer solchen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührenden Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung zu. (§ 3 Abs 5 AVRAG)
Zu einer Verschlechterung kollektivvertraglicher Arbeitsbedingungen kommt es dann, wenn etwa das Gehalt von bisherigen KV-MindestgehaltsempfängerInnen innerhalb eines Jahres nach dem Betriebsübergang durch Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung auf das schlechtere KV-Gehalt des Erwerbers gekürzt wird.
Die Verschlechterung der kollektivrechtlichen Stellung des/r übergegangenen ArbeitnehmerIn muss allerdings wesentlich sein, um eine begünstigte Kündigung zu rechtfertigen. Laut OLG Wien (10 Ra 297/96m) ist eine wesentliche Verschlechterung z.B. dann gegeben, wenn eine Dienst- und Besoldungsordnung gegenüber dem vormals gültigen KV hinsichtlich Einreihung und Vorrückung für den AN ungünstigere Regelungen vorsieht.
In der Lehre wird die Meinung vertreten, dass mehr als 10%ige Verschlechterungen etwa beim KV-Mindestgehalt oder bei der Normalarbeitszeit als wesentliche Verschlechterungen gelten. Der Wechsel von der 38,5 zur 40-Stunden-Woche dürfte somit diese Schwelle nicht überschreiten.
Zu einer wesentlichen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kann es aber auch durch Wegfall bisheriger Betriebsvereinbarungen kommen, etwa wenn deren Geltung durch einen KV-Wechsel beim Erwerber endet (Rechtssatz vom 21.12.2000).
Laut
Rechtsprechung
des EuGH kann darüber hinaus eine begünstigte Kündigung auch dann vorliegen, wenn der vom Erwerber angebotene Arbeitsvertrag eine
wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers zur
Folge hat.
Welche politischen Möglichkeiten haben nun die 2.600 SIS-KollegInnen in Österreich bei einem Betriebsübergang, um ihre bedrohten sozialen Errungenschaften zu erhalten?
Abschluss einer
Überleitungsbetriebsvereinbarung
Der
Betriebsrat kann eine Betriebsvereinbarung zur Überleitung der
Arbeitsbedingungen mit dem Veräußerer und Erwerber aushandeln. Eine solche Betriebsvereinbarung könnte z.B.
festlegen …
- dass der Erwerber in einem bestimmten Zeitraum keine Verschlechterung der Arbeitsverträge durchführen wird,
- dass in einem gewissen Zeitraum nach dem Betriebsübergang vom Erwerber keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden,
- dass im Fall von betriebsbedingten Kündigungen in einem festgelegten Zeitraum ab dem Übergang freiwillige Abfertigungen in bestimmter Höhe gezahlt werden, für die auch der Veräußerer haftet,
- dass der Erwerber zur Weiteranwendung des bisherigen KV’s in den Fachverband des Veräußerers eintritt,
- dass allen KollegInnen, die dem Betriebsübergang widersprechen, eine freiwillige Abfertigung in einer ganz bestimmten Höhe mit der Möglichkeit des Eintritts in eine Arbeitsstiftung angeboten wird,
- dass übergehende ArbeitnehmerInnen in den ersten drei Jahren beim Veräußerer wie interne BewerberInnen behandelt werden,
- dass für zukünftig beim Erwerber entfallende Nutzungsmöglichkeiten sozialer Einrichtungen eine Ausgleichszahlung erfolgt.
Betriebsversammlung aller SIS KollegInnen in Österreich
Die Erfüllung dieser Forderungen zur Verhinderung eines sozialen Kahlschlags bei der Ausgliederung der SIS in Österreich muss aber auch von der Belegschaft durch eindeutige Willensbekundungen eingefordert werden. Darum sollten aus unserer Sicht alle in der SIS Österreich beschäftigten KollegInnen an der geplanten Betriebsversammlung am 24.02.2010 im Austria Center Vienna teilnehmen und sich unbedingt anmelden!