H220904

erstellt von manoman zuletzt verändert: 18.08.2008 10:11

Vorwort:
Das nachfolgende ergangene Urteil des Landesarbeitsgerichtes Niedersachsens ist am 22.09.2004 verkündet worden. Es ist eine Ergänzung zu den Gerichtsberichten.
Es wurde die vollständige Wiedergabeform gewählt, weil Ausschnitte oder Zitate einen sinnentstellende neuen Text oder aus dem Zusammenhang gerissenen Vortrag ergeben können. Kommentierung wurden auch deshalb unterlassen, um keine Meinungsbildung vorzuprägen.
Zum Schutz beteiligter und/oder betroffener KollegInnen sind wenige Angaben durch Ersatzzeichen ersetzt worden. Die Umsetzung aus der Papierform wurde mit Sorgfalt durchgeführt, doch Fehler sind nicht vollständig auszuschließen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen
15 Sa 744/04
5 Ca 749/03 (Braunschweig)

URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

Rene Bxxxxxx, Xxxxxxxxxx, 38xxx Salzgitter

_- Kläger und Berufungskläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Fricke pp., Goseriede 12, 30159 Hannover

gegen

Firma NEOMAN Bus GmbH, vert.d.d. Geschäftsführer, Wolfgang Fahrnberger, Ernö Bartha, Bengt Hamsten, Robert J. van Leeowen, Martin Scharrer, Heinrich-Büssing-Str. 1, 38239 Salzgitter

_- Beklagte und Berufungsbeklagte –

Prozessbevollmächtigte:
Geschäftsführer Casper, Geschäftsführerin Schulte-Schrepping, Assessor Langelotz, u. Assessorin Fasterding, Verband der Metallindustriellen Nds, Landesverband Braunschweig, Wilhelmitorwall 32, 38118 Braunschweig

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 22.09.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Löber und die ehrenamtlichen Richter Dressler und de Buhr

für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Braunschweig vom 05.02.2004 – 5 Ca 749/03 – abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.10.2003 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Montageschlosser weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

Eine Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der am xx.xx.19xx geborene Kläger, xxxx, xxx Kind, war seit dem xx.xx.199x im Werk Salzgitter der MAN Nutzfahrzeuge AG als Montageschlosser im Busbau beschäftigt, den die Beklagte im Jahre 2001 übernommen hat und in dem im Herbst 2003 ein erheblicher Personalabbau anstand, wobei in Absprache mit dem Betriebsrat dem größten Teil der betroffenen Arbeitnehmer ein Angebot zum Eintritt in eine Transfergesellschaft gemacht wurde.

Dem Kläger, der zum Ersatzmitglied des Betriebsrats gewählt war und der am 02. und 23.10.2003 an Betriebsratssitzungen teilgenommen hat, wurde mit Schreiben vom 26.09.2003 mitgeteilt, dass er auf der Liste für die Transfergesellschaft stehe. Er trat in der Folge mit einem Teil der Mitglieder des Betriebsrates offen gegen das vom Betriebsrat mit dem Arbeitgeber vereinbarte Auswahlverfahren auf.

Ab dem 20.10.2003 wurde der Kläger in einer neuen Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Aufgabe es war, Glasscheiben einzubauen. Zu dieser Arbeitsgruppe gehörte auch der Montagearbeiter Lxxxxxx, mit dem der Kläger näher bekannt war, sowohl aus ihrer Funktion als IG Metall-Vertrauensmänner als auch vom gemeinsamen „Schrauben“ an ihren Personenkraftwagen desselben Fabrikats. Am 22.10.2003 beschwerte sich Lxxxxxx bei dem Kostenstellenleiter Bxxxxx über das Arbeitsverhalten des Klägers. Am 23.10.2003 sprach Bxxxxx den Kläger auf die Beschwerde an, was diesen erregte, weil er sie für unberechtigt hielt. Zurück in der Arbeitsgruppe fragte er den Gruppenleiter, ob die Beschwerde von ihm stamme, was dieser verneinte, wie auch ein weiterer Arbeitskollege. Für den Kläger kam deshalb nur Lxxxxxx als Beschwerdeführer in Frage, zu dem er sich sodann begab und ihm gegenüber entweder erklärte, so seine Darstellung: „ Lxxxxxx, wenn ich dich draußen mal erwischen sollte, ziehe ich dir mit einem Radkreuz einen rüber,“ oder, so die Darstellung der Beklagten: „Wir sprechen uns noch“, und kurz darauf: „Ich sage es dir unter Zeugen, wenn wir uns draußen treffen, dann hole ich mein Radkreuz aus dem Wagen und mache dich platt.“

Am nächsten Tag meldete Lxxxxxx diesen Vorfall dem Kostenstellenleiter Bxxxxx, der die Personalabteilung in Kenntnis setzte, die den Kläger zu sich bat und ihn erfolglos zu dem Vorfall befragte, da der Kläger zu keiner Stellungsnahme bereit war. Daraufhin stellte die Beklagte den Kläger frei und kündigte nach Unterrichtung und Zustimmung des Betriebsrates mit Schreiben vom 30.10.2003 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos.

Mit seiner am 12.11.2003 eingereichten Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt. Dabei hat er eingeräumt, sich gegenüber seinem Kollegen und Freund Lxxxxxx nicht angemessen verhalten zu haben. Er hat sein Verhalten auf die Erregung in der gegebenen Situation zurückgeführt und darauf verwiesen, dass in der Produktion eines Industriebetriebs ein rauerer Ton als in anderen Bereichen herrsche.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.10.2003 nicht beendet worden ist,
  2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Montageschlosser weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Aus ihrer Sicht ist durch die Äußerung des Klägers eine erhebliche Störung des Betriebsfriedens und der betrieblichen Ordnung eingetreten, so dass ihr die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger unzumutbar sei, da dieser auch keine Reue gezeigt habe.

Mit Urteil vom 05.02.2004 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen.

Der Kläger greift das Urteil aus den in seiner Berufungsschrift wiedergegebenen Gründen an. Auf die Berufungsschrift wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen urteils nach seinen Klageanträgen zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf ihre Berufungserwiderung wird gleichfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet, denn die Klage ist begründet.

Die fristlose Kündigung vom 30.10.2003 ist mangels wichtigen Grundes unwirksam. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung scheidet bereits gemäß § 15 Abs. 1 KSchG aus.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB erfordert ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung das Vorliegen von Tatsachen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Verhalten des Klägers als wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung an sich geeignet ist. Das Berufungsgericht hält jedoch entgegen dem Arbeitsgericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und bei Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für zumutbar, da eine Abmahnung ausreichend und geeignet erscheint, die Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses zukünftig zu vermeiden. Dabei hat es sich von folgender Überlegung leiten lassen:

Die verbale Bedrohung des Arbeitnehmers Lxxxxxx war eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers, die zu einer schwerwiegenden Störung in der betrieblichen Zusammenarbeit geführt hat, gleich ob sich der Vorfall so abgespielt hat, wie ihn der Kläger schildert oder wie ihn die Beklagte schildert. Es müssen dabei jedoch die Umstände berücksichtigt werden, die zu dem verhalten des Klägers beigetragen haben, auch wenn diese nicht geeignet sind, sein Verhalten zu entschuldigen.

Der Kläger fürchtete um den Bestand seines Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen, nachdem er auf die Liste derjenigen Arbeitnehmer gesetzt worden war, die zur Transfergesellschaft wechseln sollten. Ihm drohte der Verlust seines Arbeitsplatzes aus betriebsbedingten Gründen. Wenn dem Arbeitgeber nunmehr Leistungsmängel, ob berechtigt oder unberechtigt, zugetragen wurden, konnte er das als weitere Bedrohung seines Arbeitsverhältnisses verstehen, was seine Erregung nach dem Gespräch mit dem Vorgesetzten erklärbar macht. Hinzu kommt, dass er feststellen musste, dass sein Freund der Beschwerdeführer gewesen war. Es ist nachvollziehbar, dass er das als Vertrauensbuch auffasste und in seiner Erregung rüde reagierte und zwar in einer Weise, die die Grenzen des raueren Umgangstons, der in der Produktion eines Industriebetrieb4es anzutreffen ist, weit überstieg.

Auch wenn der Kläger sich bei seiner Anhörung am nächsten Tag weder zu seiner verbalen Entgleisung bekannt noch sich für sie entschuldigt hat, ist die situative Einmaligkeit seines Fehlverhaltens während des seit über 1x Jahren bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht außer Acht lassen, das – soweit ersichtlich – im Verhältnis zu seinen Kollegen ansonsten beanstandungsfrei gewesen ist. Aus diesem Grund erscheint das Mittel der Abmahnung als geeignet und ausreichend, zukünftiges vergleichbares Fehlverhalten des Klägers zu unterbinden. Auch wird eine solche den Interessen der Beklagten gerecht, Störungen des Betriebsfriedens zu unterbinden und ihren Schutzpflichten ihrer Belegschaft gegenüber nachzukommen. Eine nicht mehr ausräumbare Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, die eine Abmahnung entbehrlich und ungeeignet machte, ist für das Berufungsgericht nicht erkennbar.

Die Weiterbeschäftigungspflicht ergibt sich aus der Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Gegenteilige Interessen der Beklagten sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §97 Abs. 1 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen (§72 Abs. 2 ArbGG), sind nicht ersichtlich. Mangels Zulassung findet gegen dieses Urteil keine Revision statt. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Löber Dressler de Buhr

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