BS190304

erstellt von manoman zuletzt verändert: 18.08.2008 10:11

Vorwort:
Das nachfolgende ergangene Urteil des Arbeitsgerichtes Braunschweig steht sinngemäß für alle am 19.03.2004 vergleichbaren Termine. Es ist eine Ergänzung zu den Gerichtsberichten.

Es wurde die vollständige Wiedergabeform gewählt, weil Ausschnitte oder Zitate einen sinnentstellende neuen Text oder aus dem Zusammenhang gerissenen Vortrag ergeben können. Kommentierung wurden auch deshalb unterlassen, um keine Meinungsbildung vorzuprägen.

Zum Schutz beteiligter und/oder betroffener KollegInnen sind wenige Angaben durch xxxxx ersetzt worden. Die Umsetzung aus der Papierform wurde mit Sorgfalt durchgeführt, doch Fehler sind nicht vollständig auszuschließen.


URTEIL Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit

Xxxxxxxxxx, 38xxx Xxxxxxxxxx

  • Kläger –

Prozessbevollmächtigte/r:
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx

gegen

Firma NEOMAN Bus GmbH, vert.d.d. GF Wolfgang Fahrnberger, Wolfgang Andrich, Ernö Bartha, Bengt Hamsten und Martin Scharrer, Heinrich-Büssing-Str. 1, 38239 Salzgitter

  • Beklagte –

Prozessbevollmächtigte/r:
GF Casper, Assin Schulte-Schrepping, Ass. Langelotz, Assin Fasterding und Ass. Kieper, Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V., Landesverband Braunschweig, Güldenstraße 19/21, 38100 Braunschweig

Wegen Feststellung

hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 19.03.2004

durch die Richterin am Arbeitsgericht Heidelk
als Vorsitzende
und die ehrenamtlichen Richter A. Gartner und E. Muschinski
als Beisitzer

für Recht erkannt:

1) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche ordentliche Kündigung vom 28.11.2003 – zugegangen am 28.11.2003 - nicht aufgelöst wird.

2) Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche schriftliche Kündigung vom 28.01.2004 – zugegangen am 29.01.2004 – aufgelöst wird.

3) Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Xxxxxx über den Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.

4) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5) Der Streitwert wird auf xxxx EUR festgesetzt.

TATBESTAND:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen vom 28.11.2003 und 28.1.2004

Der Kläger ist am xxxxxx geboren und xxxxx. Seit xxxxx ist er als Xxxxxxx bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt beläuft sich auf x.xxx,xx €.

Die Neoman Bus Gruppe setzt sich aus der Beklagten und weiteren Gesellschaften mit Produktionsstandorten in Salzgitter, Stuttgart, Pilsting, Plauen, Posen, Starachowice und Ankara zusammen. Die gesamte Neoman Bus Gruppe verzeichnete im Geschäftsjahr 2001 ein Negativergebnis von minus 77 Mio € und im Folgejahr von minus 85,5 Mio €. Infolgedessen entwickelte die Unternehmensleitung ein Sanierungskonzept mit dem Ziel, die Verluste im Geschäftsjahr 2003 auf 50 Mio € und im Jahr 2004 auf 20 Mio € zu verringern, um sodann im Geschäftsjahr 2005 einen Gewinn von 10 Mio € zu erzielen. Dieses Sanierungskonzept erstellte die Geschäftsleitung der Beklagte unter Mitwirkung der Herren Fahnberger, Bartha, Hamsten, Andrich und Scharrer. Der Vorstand der Mutergesellschaft, der MAN Nutzfahrzeuge AG, verabschiedete das Konzept in der Beiratssitzung vom 25.11.2002. Inhalt dieses Konzepts ist, Stadt- und Reisebusse ab 1.1.2004 nicht mehr vom Rohbau bis zur Auslieferung in Salzgitter zu fertigen, sondern die Herstellung nunmehr in einem sogenannten Fertigungsverbund des Rohbauzentrums Starachowice, dem Montagewerk Posen sowie dem Montagewerk und Kompetenzzentrum Salzgitter durchgeführt. Dabei wird Salzgitter das Zentrum zur Montage von Bodengruppen und Fahrgestellen, die zur Komplettierung an den Aufbauhersteller verkauft werden. Darüber hinaus wird in Salzgitter ein Produktionstechnologiezentrum errichtet, das die Funktionen Planung, Sonderrohbauten sowie Prototypenfertigung umfasst. Neue Produktionstechnologien sollen hier entwickelt und in den Produktionsverbund transferiert werden.

Bei der Beklagten sind regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt. Am 7.11.2003 waren 1.081 Mitarbeiter im gewerblichen Bereich angestellt.

Die Beklagte ging von einem Personalüberhang von 431 Arbeitnehmern im produktiven Bereich aus. Zur Vermeidung von hundert betriebsbedingten Kündigungen verständigten sich die Betriebspartner auf eine Absenkung der tariflichen Arbeitszeit auf bis zu 29 Stunden pro Woche ohne Lohnausgleich entsprechend des Beschäftigungssicherungstarifvertrages der Metallindustrie im Busbereich. Weitere fünfzig Mitarbeiter setzte die Beklagte im Lager ein, nachdem sie den Werksvertrag mit der Firma XXX Xxxxxx in Herfurt, die in der Vergangenheit mit dem Aufgabenbereich CKD und der Kleinteilregalanlage beauftragt war, zum 31.12.2003 gekündigt hatte. Mit fünf Mitarbeitern erzielte sie ein einvernehmliche Beendung ihres Arbeitsverhältnisses. Letztlich sprach sie 276 betriebsbedingte Kündigungen aus.

Ungefähr achthundert Mitarbeiter bezog die Beklagte in die Sozialauswahl ein. Sie vereinbarte mit dem Betriebsrat am 21.11.2003 eine Auswahlrichtlinie, die für die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, unterhaltspflichtige Kinder, den Familienstand und eine Schwerbehinderung unterschiedliche Punkte verteilt. Die Addition der Punkte ergibt die soziale Schutzwürdigkeit, d.h. hohe Punktzahl = hohe Schutzwürdigkeit bzw. geringere Punktzahl = geringere Schutzwürdigkeit. In die soziale Auswahl sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse wie u.a. Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistung die Weiterbeschäftigung eines oder mehrere bestimmte Arbeitnehmer bedingen und damit der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen. Unter dem 5.1.2004 gestalteten der Betriebsrat und die Beklagte eine weitere Auswahlrichtlinie, die diejenige aus dem November 2003 ersetzte. Sie modifiziert die ursprüngliche Auswahlrichtlinie ausschließlich unter dem Gesichtspunkt nach welchen Kriterien welche Mitarbeiter nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen sind. Allen Mitarbeitern, die hiernach über weniger als 67 Punkte verfügen, sprach die Beklagte die Kündigungen aus.

Die Beklagte reichte am 27.11.2003 eine Massenentlassungsanzeige beim Arbeitsamt ein. Das Arbeitsamt reagierte mit Schreiben vom 3.12.2003 und legte die Sperrfrist für den Zeitraum vom 28.11.2003 bis 27.12.2003 fest.

Mit Schreiben vom 28.11.2003 erklärte die Beklagte auch die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 3x.x.2004, sie sprach unter dem 28.1.2004 eine weitere Kündigung zum 3x.x.2004 aus. Die Kündigungsgründe beider Kündigungen sind fast identisch. Der Kläger verfügte über xx Punkte.

Mit Schreiben vom 25.11.2003 informierte die Beklagte den Betriebsrat hinsichtlich der ersten Kündigung des Klägers. Dieser erteilte unter dem 27.11.2003 seine Zustimmung. Am 21.1.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der zweiten Kündigung des Klägers an, der Betriebsrat erteilte schriftlich am 28.1.2004 erneut seine Zustimmung. Im Zuge der Umstrukturierungsmaßnahmen hatten die Beklagte und der Betriebsrat sowohl einen Interessenausgleich als auch einen Sozialplan ausgehandelt.

Seit Januar 2004 verlängerte die Beklagte die bisherige wöchentliche Durchschnittsarbeitszeit von 35 Stunden auf 37 bzw. 40 Stunden je Woche. Mehrarbeit an Samstagen sowie Schichtprämien wurden angeboten. Zur Abwicklung eines Auftrages war beabsichtigt 150 Neoplan Mitarbeiter aus Stuttgart hinzuzuziehen. Die Arbeitszeitkonten der produktiven Mitarbeiter wiesen am 29.2.2004 einen Negativstand von 214.853 Stunden auf.

Der Kläger rügt die getroffene soziale Auswahl und fordert die Beklagte auf, Auskunft über die Gründe zu geben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Er trägt vor, die Beklagte habe Arbeitnehmern, die mit dem Kläger vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig seien, keine Kündigung ausgesprochen. Er bestreitet außerdem die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates.

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte bilde mit der MAN Nutzfahrzeuge AG einen Gemeinschaftsbetrieb und behauptet, es gebe einen permanenten Personalaustausch zwischen dem LKW- und dem Busbereich.

Er meint weiter, aufgrund einer Zusage anlässlich einer Betriebsversammlung im Zusammenhang mit der Kürzung der Arbeitszeit sei ein Kündigungsausschluß bis 31.12.2003 vereinbart. Dies resultiere aus der Eckpunktevereinbarung vom 30.11.2001, die die Rechtsvorgängerin der Beklagten zusammen mit dem Betriebsrat traf.

Der Kläger macht letztlich einen Wiedereinstellungsanspruch geltend. Er behauptet, die Beklagte habe sich bereits mit dem Jahresabschluß 2003 konsolidiert, der Busbereich habe ein operativ positives Ergebnis mit einem Gewinn vor Steuern von 5 Mio. € erbracht.

Der Kläger beantragt,
1.festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche ordentliche Kündigung vom 28.11.2003 – zugegangen am 28.11.2003 – nicht aufgelöst wird;
2.festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Partien auch nicht durch die ordentliche schriftliche Kündigung vom 28.1.2004 aufgelöst wird;
3.die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Xxxxxx über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen;
4.hilfsweise, die Beklagte zur Annahme des Angebots des Klägers auf Abschluß eines Arbeitsvertrages zu den Bedingungen zu verurteilen, die bis zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers bei der Beklagten bestanden.

Die Beklagte beantragt,
Klagabweisung.

Sie behauptet, ab 1.1.2004 benötige sie im Werk Salzgitter 650 Mitarbeiter, nämlich 255 im Busbau, weitere 269 Mitarbeiter in der Chassis- und Bodengruppenfertigung, 34 Mitarbeiter in dem Produktionstechnologiezentrum und 102 in der Vor-/Teilefertigung einschließlich CKD.

Hinsichtlich der Busse konkretisiert sie weiter: In Salzgitter werde fortan lediglich der Fertigbau, die Montage und die Komplettierung der Busse durchgeführt. Die Erstellung des Rohbaus erfolgte für einige Bustypen in Polen, die fahrfertigen Reisebusse werden in der Türkei fertigmontiert und komplettiert. Die Bustypen A01 und A04 erfolgen komplett in Salzgitter, die folgenden Produktgeneration werden ausschließlich in Ankara gefertigt. Bedingt durch die Verlagern des Busrohbaus nach Polen reduziere sich der Fertigungsbedarf bei der Beklagten von 817.701 Fertigungsstunden im Jahr 2003 auf geplante 351.811 Fertigungsstunden im Jahr 2004. Zur Ermittlung dieser Zahlen führt die Beklagte für jeden hergestellten Bustyp im einzelnen aus, von der Produktion wie viele Busse sie in den einzelnen Stationen des Gerippes, des Rohbaus und der Fertigstellung unter Zugrundelegung wie viele Fertigungsstunden für das Jahr 2003 und das Jahr 2004 ausgeht. Die nunmehr benötigten 351.811 Fertigungsstunden bedeuten einen Bedarf von 245 Mitarbeitern berechnet auf ein Jahresvolumen von 1.436 Arbeitsstunden je Mitarbeiter. Die Anwesenheitsstunden je Jahr berechnen sich wiederum aus 365 Jahrestagen abzüglich 104 Wochenendtagen, durchschnittlich fünf sonstigen Feiertagen, weiteren 30 Urlaubstagen und vierzehn Krankheitstagen, abzüglich sechs Brückentagen und einem weiteren sonstigen Fehltag. Die Ermittlung der jeweiligen Fertigungsstunden erfolge nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen im Rahmen der REFA Methode. Mit dem Betriebsrat sei eine Personalreserve von zehn Mitarbeitern vereinbart, so daß 255 Arbeitnehmer in diesem Bereich einzuplanen seien. Die Beklagte behauptet, durch die Verlagerung lohnintensiver Fertigungsinhalte ins Ausland werde bis 2005 ein Ergebnisbeitrag von 41 Mio. € erreicht.

Die Beklagte trägt weiter vor, die Stückzahlen der Chassis seien für das Jahr 2004 gegenüber dem Jahr 2003 rückläufig, von 1.235 Chassis im Jahr 2003 auf 1.180 Chassis im Folgejahr. Dieser Rücklauf ergebe sich aus der veralteten Technik, da die Chassis in ihrer Grundkonstruktion nicht auf der Niederflurtechnik beruhen, die immer mehr Stadtbustypen bestimme. Da pro Chassis 163 Fertigungsstunden benötigt werden, berechne sich insgesamt ein Bedarf von 192.340 Fertigungsstunden. Demgegenüber sei für die Bodengruppen eine Erweiterung von 341 im Jahr 2003 auf 565 Bodengruppen im Jahr 2004 geplant. Unter Zugrundelegung von 399 Fertigungsstunden je Bodengruppe ermittele sich ein Bedarf von 225.435 Fertigungsstunden. Insgesamt plane die Beklagte für den Bereich Chassis und Bodengruppen im Jahr 2004 417.775 Fertigungsstunden ein, dies bedeute einen Bedarf von 291 Mitarbeitern. Aufgrund der Vorgabe des Vorstandes sei ein Produktivitätssteigerung von 7 % einzuplanen, daraus resultiere ein Bedarf von 270 Mitarbeitern.

Soweit die Beklagte für ihre Personalbedarfsberechnung 2004 Stückzahlen zu Grunde gelegt habe, beruhe dies auf umfangreichen Markeinschätzungen und Marktanalysen, sowohl für das In- als auch das Ausland. Zunächst werden die technischen Kapazitäten der polnischen Werke ausgelastet, damit ergebe sich für das Werk Salzgitter eine gesonderte Rolle innerhalb des Produktionsverbundes: Nur solche über die technischen Kapazitäten der ausländischen Werke hinausgehenden Stückzahlen werden künftig in Salzgitter gefertigt. Die Absatzplanung laut Marktanalyse insgesamt abzüglich der Fertigungskapazitäten der polnischen Werke ergebe die Fertigungsplanwerte für Salzgitter. Die angegebenen Stückzahlen können noch nicht vollständig mit konkreten Aufträgen hinterlegt werden, da der Vorlauf für die Einplanung konkreter Kundenfahrzeuge durchschnittlich sieben Planperioden, d.h. 49 Tage betrage.

Für die Vor-/Teilfertigung benötige sie 102 Mitarbeiter. In dem Produktionstechnologiezentrum werden 34 Arbeitnehmer beschäftigt. Letzteres entspreche der Anzahl der Mitarbeiter, wie sie derzeit im Prototyp Werkstatt beschäftigt seien. Gegenüber den Anfang November 2003 angestellten 1.081 Mitarbeitern im gewerblichen Bereich ergebe sich infolgedessen der Personalüberhang von 431 Mitarbeitern.

Die seit Januar 2004 angeordnete Erhöhung der Wochenarbeitszeit und die Anordnung von Mehrarbeitsstunden lasse keine Überschreitung der geplanten Fertigungsstückzahlen für das Jahr 2004 erwarten. Vielmehr weise die Auslastungskurve der im Werk Salzgitter produzierten Produktbaugruppen regelmäßig im ersten und dritten Quartal einen hohen Kapazitätsbedarf aus. Es gebe außerdem komplexe Aufträge, nämlich den Gasbusauftrag und Stadtbusse mit fertigungsintensiven Ausstattungswünschen. Hinzu komme ein erheblicher Bandauflagenrückstand infolge zahlreicher Informationsveranstaltungen aufgrund der Kündigungsmaßnahmen. Letztlich resultiere das erhöhte Arbeitsaufkommen aus der Neustrukturierung der Mitarbeiter und der hiermit verbundenen Einweisung auf andere Arbeitsplätze.

Die Beklagte hat auf den Schriftsatz der Klägerseite vom x.3.2004 Schriftsatznachlaß beantragt.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Es ist festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis weder durch die fristgerechte Kündigung vom 28.11.2003 zum 3x.x.2004 noch durch die fristgerecht Kündigung vom 28.1.2004 zum 3x.x.2004 beendet worden ist.

1)
Dem Antrag der Beklagten auf Schriftsatznachlaß ist nicht stattzugeben. Sofern sich eine Partei in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären kann, weil es ihr nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist, kann auf ihren Antrag das Gericht gem. §§ 46 II 1 ArbGG, 283 ZPO, eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

Voraussetzung ist, dass der Beklagten neues Vorbringen tatsächlicher Art nicht mehr rechtzeitig im Sinn des § 132 ZPO (Greger, in Zöller, ZPO, 24 Aufl. § 283 Rz. 2b) mitgeteilt wurde und die Beklagte deswegen nicht in der Lage ist, sich im Termin auf die Behauptung zu erklären. Der Beklagten ist bereits im Termin zur Güteverhandlung am 5.1.2004 aufgegeben worden, die Gründe für die Kündigung vom 28.11.2003 darzulegen, und zwar bis 30.1.2004. Die Kündigungsgründe für die Kündigung vom 28.1.2004 entsprechen denjenigen der ersten Kündigung. Die folgende Urteilsbegründung stützt sich nicht auf Einlassung des Klägers in dessen Schriftsatz vom x.3.2004, sondern beruht bereits darauf, dass die Beklagte ihrer ersten Darlegungslast nicht vollständig nachgekommen ist.

2)
Die Kündigungen der Beklagten vom 28.11.2003 und 28.1.2004 sind unwirksam, da sie nicht sozial gerechtfertigt sind. Nach § 1 II KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist, wobei der Arbeitgeber nach § 1 II 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen.

a)
Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidung, z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einstellung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (Auftragsmangel) ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen „dringend“ sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes unvermeidbar machen. Diese weitere Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Kündigung die notwendige Folge der betrieblichen Erfordernisse ist. Ein Auftragsrückgang kann dann eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn dadurch der Arbeitsanfall so zurückgeht, dass für einen oder mehrere Arbeitnehmer das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfällt (BAG, 15.6.1989, 2 AZR 606/88).

Bei einem Streit über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung hat das Gericht voll nachzuprüfen, ob die vom Arbeitgeber behaupteten Gründe für die Kündigung tatsächlich vorliegen und ob sie sich im betrieblichen Bereich dahin auswirken, dass für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers kein Bedürfnis mehr besteht (BAG, 15.6.1989, 2 AZR 606/88). Behauptet der Arbeitgeber, bereits außerbetriebliche Gründe allein hätten ein Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung entfallen lassen, bindet sich der Arbeitgeber sich also selbst an diese von ihm so gesehenen Sachzwänge, hat das Gericht zum einen nachzuprüfen, ob es sich um einen dauerhaften Auftragsrückgang handelt und zum anderen, ob zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruches feststand, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei eine Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer nicht mehr gegeben (BAG, 15.6.1989, 2 AZR 606/88).

aa)
Die Beklagte stütz die Begründung der Kündigungen vorliegend nicht auf eine gestaltende Entscheidung, sondern auf einen dauerhaften Auftragsrückgang. Zwar hat sie eine gestaltende Unternehmensentscheidung getroffen. Denn sie hat durch die Betriebsleitung, am 25.11.2003 abgesegnet in der Beiratssitzung des Muttergesellschaft, die Entscheidung getroffen, Teile ihrer Produktion nach Polen und in die Türkei auszulagern. Doch sie begründen die Kündigungen ausschließlich mit einem immensen Auftragsrückgang. Dieser resultiert nach Darstellung der Beklagten zum einen auch aus der unternehmerischen Entscheidung der Auslagerung von Fertigungsprozessen ins Ausland zum anderen aber aus einem insgesamt zu verzeichnenden Rückgang an Aufträgen. Sie hat ihren Betrieb selbst nicht umorganisiert, vielmehr will sie die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer unmittelbar der Arbeitsmenge anpassen, die sich aus dem verringerten Auftragsvolumen ergibt. Dies macht die Beklagte auch deutlich, indem sie für 2004 sie für die Herstellung einzelner Busse in den Stationen des Gerippes des Rohbaus und der Fahrfertigstellung benötigten Fertigungsstunden dezidiert auflistet und daraus auf die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer schließt.

Der Arbeitgeber hat zum einen darzulegen, dass es sich um einen dauerhaften Auftragsrückgang handelt und zum anderen, in welchem Ausmaß er sich auf die Arbeitsmenge bestimmter Arbeitnehmer auswirkt (BAG, 15.6.1989, 2 AZR 606/88). Wenn sich der Umfang der Tätigkeit einer Gruppe oder einer bestimmten Anzahl von Arbeitnehmern proportional zum Absatz der gefertigten Erzeugnisse verhält, genügt der Arbeitgeber seiner Vortragslast, wenn er die Richtigkeit des Berechnungsmodus unter Darstellung der relevanten Bezugsgroße so darstellt, dass aus der Verringerung des Auftragsbestandes auf die Veränderung der Beschäftigungsmöglichkeiten geschlossen werden kann (BAG, 15.6.1989, 2 AZR 606/88; LAG Frankfurt am Main, 16.3.2000, 14 Sa 1790/98). Die Auswirkung des Auftragrückganges im betrieblichen Bereich müssen nachvollziehbar dazu führen, dass für den gekündigten Arbeitnehmer kein Bedürfnis mehr besteht (LAG Chemnitz, 25.6.1996, 7 Sa 211089/95).

bb)
Es ist nicht nachvollziehbar, dass in dem Betrieb der Beklagten keine Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer mehr besteht.

Zum einen ist bereits nicht ersichtlich, dass überhaupt und in welchem Umfang ein dauerhafter Auftragsrückgang vorliegt. Die Beklagte behauptet zwar unter Zugrundelegung von Markteinschätzungen und –analysen habe sie die insgesamt zu erwartenden Auftragseingängen des gesamten Jahres 2004 ermittelt, sodann die Kapazitäten der polnischen Werke voll ausgelastet, um aus der Differenz die Anzahl der in Salzgitter zu fertigenden Busse zu ermitteln. Die einzelnen angegebenen Stückzahlen, die sie plant herzustellen, sind jedoch nicht nachvollziehbar. Denn die insgesamt für den Fertigungsbund zu erwartenden Aufträge des Jahres 2004 sind ebenso unbekannt wie die Anzahl der auf die polnischen Werke zu verlagernden Produktionen. Ein Vergleich der Auftragszahlen des gesamten Fertigungsverbundes mit den Vorjahren, der zumindest ein Indiz dafür geben könnte, dass es sich um realistische Prognosen handelt, fehlt. Auch wenn die Beklagte sich auf Marktanalysen stützt, ist nur unter Vorlage des Ergebnisses – nämlich der einzelnen Stückzahlen, die im Werk Salzgitter gefertigt werden soll – ohne jegliche Hintergrundinformationen – wie / unter Beachtung welcher Faktoren / unter zugrundelegung welcher Erfahrungswerte und welcher Auftragsbestände der Vergangenheit dieses Ergebnis ermittelt wurde – weder dessen tatsächlicher Eintritt noch dessen Dauerhaftigkeit überprüfbar. Zwar behauptet die Beklagte, die angegebenen Stückzahlen können noch nicht vollständig mit konkreten Aufträgen hinterlegt werden, da der Vorlauf für die Einplanung konkreter Kundenfahrzeuge durchschnittlich sieben Planperioden, d.h. 49 Tage betrage. Aber dennoch muß nach Auffassung des Gerichts der tatsächliche dauerhafte Rückgang zumindest anhand vergangener Zahlenwerte und der Anzahl der Busse, die nunmehr in den polnischen Werken produziert werden, darstellbar sein. Zudem läßt die derzeitige Verlängerung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 37 bzw. 40 Wochenstunden nicht zwingend den Schluß zu, daß der behauptete Auftragsrückgang tatsächlich eintritt.

Zum anderen bestehen selbst unter Zugrundelegung der beklagtenseits vorgetragenen für 2004 geplanten Busse Zweifel an dem Wegfall des Arbeitplatzes des Klägers. Sofern die Beklagte in der Bodengruppen- und Chassisfertigung von einer Mitarbeiterzahl von zunächst 291 ausgeht, ist beispielsweise nicht nachvollziehbar, wie die Produktivitätssteigerung von 7% umgesetzt werden soll. Diese jedoch führt nach Darstellung der Beklagten lediglich noch zu einem Bedarf von 270 Mitarbeitern in diesem Bereich. Weiterhin bleibt völlig offen, wie die Beklagte die 102 in der Vor-/Teilefertigung einschließlich CKD Bereich benötigten Arbeitnehmer ermittelt. Letztlich behauptet die Beklagte einen Einsatz von 50 Mitarbeitern im Lager nach Kündigung des Auftrages mit der Firma XXX Xxxxxx in Herfurt. Diese Firma habe vormals ebenfalls 50 Personen im Lager eingesetzt. An anderer Stelle stellt sie den Aufgabenbereich der Firma XXX Xxxxxx allerdings im Bereich der CKD und Kleinteilregalanlage dar. Waren nun von den fünfzig Mitarbeitern der Fremdfirma einige auch bei der CKD beschäftigt, werden dennoch nunmehr fünfzig Arbeitnehmer im Lager benötigt?

cc)
Letztlich ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose der Wegfalls des Arbeitsplatzes der Ablauf der Kündigungsfrist (BAG, 11.3.1998, 2 AZR 315/97). Wie sich die Auftragslage im einzelnen mit Ablauf der Kündigungsfrist am 3x.x. bzw. 3x.x.2004 darstellt, lässt die Beklagte allerdings offen. Dies dürfte insbesondere unter dem Gesichtspunkt von Bedeutung sein, daß die Beklagte selbst von saisonalen Schwankungen im Produktionsbereich ausgeht.

b)
Auch fehlt es an der Dringlichkeit für die ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigungen.

Weitere Voraussetzung einer sozial gerechtfertigten Kündigung ist deren Verhältnismäßigkeit. Die betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein, d.h., der Arbeitgeber darf nur betriebsbedingt kündigen, wenn dies im Interesse des Betriebs wirklich notwendig ist. Ein betriebliches Erfordernis ist nicht dringend, wenn statt der betriebsbedingten Kündigung eines oder mehrere Arbeitnehmer Überstunden abgebaut werden können, die andere Arbeitnehmer im Betrieb leisten, sofern darin ein ständiger Personalbedarf zum Ausdruck kommt. Dies ist nicht der Fall, wenn Mehrarbeit erforderlich ist, um eine termingebundene Arbeit abzuschließen (Kiel/Koch, Die betriebsbedingte Kündigung, Rz. 192 m.w.N.).

Vorliegend fehlt es an der Verhältnismäßigkeit, denn seit Januar 2004 wurde die bisherige wöchentliche Durchschnittsarbeitszeit von 35 Stunden auf 37 bzw. 40 Stunden je Woche verlängert. Mehrarbeit am Samstagen sowie Schichtprämien wurde angeboten. Statt vieler betriebsbedingter Kündigungen wäre es der Beklagten zumutbar gewesen, die bisherige durchschnittliche Wochenarbeitszeit beizubehalten.

Zwar behauptet die Beklagte, die angeordnete Erhöhung der Wochenarbeitszeit und die Anordnung von Mehrarbeitsstunden lasse keine Überschreitung der geplanten Fertigungsstückzahlen für das Jahr 2004 erwarten. Vielmehr weise die Auslastungskurve der im Werk Salzgitter produzierten Produktgruppen regelmäßig im ersten und dritten Quartal einen hohen Kapazitätsbedarf aus. Es gebe komplexe Aufträge. Hinzu komme ein Bandauflagenrückstand infolge zahlreicher Informationsveranstaltungen. Letztlich weisen die Arbeitszeitkonten der produktiven Mitarbeiter am 29.2.2004 einen Negativstand von 214.853 Stunden auf.

Aber für die Abwicklung besonderer Aufträge, vermutlich des Gasbusauftrages und der Stadtbusse mit fertigungsintensiven Ausstattungswünschen ist bereits beabsichtigt, 150 Neoplan Mitarbeiter aus Stuttgart hinzuzuziehen. Soweit darüber hinaus mit saisonalen Schwankungen argumentiert wird, lässt dies der Schluß zu, daß die anfallenden Tätigkeiten im ersten und dritten Quartal stets nur durch Mehrarbeit zu bewältigen sind. Das Gericht geht davon aus, daß hinsichtlich der Abwicklung der Arbeitszeitkonten in einzelnen geregelt ist, in welchem Zeitraum Freizeitausgleich zu nehmen und wann Negativstände auszugleichen sind. Es erscheint nicht verhältnismäßig, zum Abbau von Negativstunden betriebbedingte Kündigungen auszusprechen.

c)
Die Kündigung ist darüber hinaus gem. § 1 III 1 KSchG sozial ungerechtfertigt. Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, so ist die Kündigung auch sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die soziale Auswahl erstreckt sich auf die Arbeitnehmer des Betriebes (BAG, 17.2.2000, 2 AZR 147/98).

aa)
Sie erstreckt sich innerhalb des Betriebes auf die Arbeitnehmer, die miteinander vergleichbar sind. Grundsätzlich sind Arbeitnehmer vergleichbar, die austauschbar sind. Ob dies der Fall ist, richtet sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, d.h. nach der ausgeübten Tätigkeit. Dabei reicht es aus, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner bisherigen Aufgaben im Betrieb und seiner beruflichen Qualifikation dazu im Stande ist, die andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit eines Kollegen zu verrichten. Die Vergleichbarkeit im Sinn des § 1 III KSchG setzt weiter voraus, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer einseitig im Wege des Direktionsrechts auf einen anderen Arbeitsplatz versetzen kann, die Beschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz also ohne Vertragsänderung erfolgen kann (BAG, 17.2.2000, 2 AZR 142/99; LAG Hamm, 7.12.2000, 12 Sa 1150/00). Als vergleichbar im Sinne von § 1 III KSchG sind hierbei nicht nur die Arbeitnehmer anzusehen, die in eine bestimmte Lohngruppe eingruppiert worden sind, sondern alle Arbeitnehmer, die in dem Betrieb vergleichbare Tätigkeiten verrichten (vgl: LAG Bremen, 13.12.1991, 4 Sa 401/90; LAG Sachsen Anhalt, 10.12.1996, 8 Sa 7/96).

Die Beklagte hat etwa achthundert Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einbezogen. Hierbei hat sie die Auswahl auf Arbeitnehmer erstreckt, die nicht miteinander vergleichbar sind. Denn es handelt sich unter anderem um Schweißer, Montageelektriker, Polsterer, Maschinenbediener, Lackierer und Helfer. Es ist bereits nicht ersichtlich, daß beispielweise ein Lackierer aufgrund seiner bisherigen Aufgaben im Betrieb und seiner beruflichen Qualifikation imstande ist, die Aufgabe eines Schweißers oder Polsterers zu übernehmen, daß ein Helfer imstande ist, die Aufgabe einer gelernten Kraft welchen Berufes auch immer zu übernehmen. Weiter ist die Beklagte nicht befugt, die Arbeitnehmer einseitig im Wege des Direktionsrechtes mit einer anderen Aufgabe zu betrauen.

Soweit dem Gericht Arbeitsverträge bekannt sind, ist dort zudem der Tätigkeitsbereich des einzelnen Mitarbeiters festgelegt. Wenn der Arbeitnehmer aber ausdrücklich als Schweißer eingestellt ist, kann die Beklagte ihn nicht im Wege des Direktionsrechts die Aufgabe eines Polsterers oder Maschinenbedieners zuweisen.

bb)
Der Arbeitgeber muß bei der Sozialauswahl drei Faktoren immer in seine Erwägungen einbeziehen, nämlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und den Umfang bestehender Unterhaltsverpflichtungen (BAG, 8.8.1985, 2 AZR 464/84). Dem Arbeitgeber ist ein gewisser Wertungsspielraum einzuräumen, die Kündigung wird erst sozial ungerechtfertigt, wenn die Sozialauswahl jede Ausgewogenheit vermissen läßt (BAG, 2.11.1999, 2 AZR 757/98). Leistungsgesichtpunkte spielen im Rahmen der Auswahl des Arbeitnehmers nach sozialen Gesichtspunkten keine Rolle; auf die betrieblichen Bedürfnisse darf nur für die Frage abgestellt werden, ob sie einer Auswahl nach sozialen Gesichtpunkten entgegenstehen, ob also betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse im Sinn § 1 III 2 KSchG sind in die soziale Auswahl solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Insoweit obliegt dem Arbeitgeber bereits die primäre Darlegungs- und Beweislast (LAG Baden-Württemberg, 7.12.1995, 2 AZR 1008/94; BAG, 10.02.1999, 2 AZR 716/98, deren Nichterfüllung das Obsiegen der Klagpartei im Kündigungsschutzprozeß zu Folge hat.

Die Beklagte beschäftigte im November 2003 1.081 Mitarbeiter im produktiven Bereich. Die Sozialauswahl führte sie unter ungefähr achthundert Arbeitnehmern durch, mehr als 250 blieben demzufolge außen vor. Die Beklagte kommt ihrer primären Darlegungslast nicht nach. Weder legt sie dar, welche Arbeitnehmer im einzelnen nicht vergleichbar sind noch welche besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten oder Leistungen diese aufzuweisen haben, so daß deren Weiterbeschäftigung im betrieblichen Interesse liegt.

cc)
Letztlich haben Arbeitgeber und Betriebsrat grundsätzlich die Möglichkeit gem. § 95 I BetrVG Richtlinien über personelle Auswahl bei Kündigungen aufzustellen. Dem sind die Betriebspartner hier am 21.11.2003 und 5.1.2004 nachgekommen. Sie haben ein Punkteschema aufgestellt und festgelegt, daß die Addition der Punkte die soziale Schutzwürdigkeit ergibt.

Arbeitgeber und Betriebsrat können im Zusammenhang mit einem Interessensausgleich/Sozialplan aber auch bei nicht zu beanstandender Gewichtung der in erster Linie maßgeblichen Auswahlkriterien (Beschäftigungsdauer, Alter, Unterhaltspflichten) keine die Auswahl vollständig determinierenden Auswahlrichtlinien in Form eines Punkteschemas vereinbaren. Die Richtlinien müssen für eine Berücksichtigung individueller Besonderheiten bei der abschließenden Würdigung des Einzelfalles Raum lassen (BAG, 7.12.1995, 2 AZR 1008/94)

Vorliegend sehen beide Richtlinien nicht ausdrücklich vor, daß nach der Vorauswahl der Arbeitgeber im Einzelfall bei einer Gesamtabwägung korrigierend eingreifen kann (BAG, 7.12.1995, 2 AZR 1008/94). Auch läßt die Richtlinie für eine solche Einzelabwägung keinen Raum. Vielmehr vereinbarten die Betriebspartner: Die Addition der Punkte ergibt die soziale Schutzwürdigkeit, d.h. hohe Punktzahl = hohe Schutzwürdigkeit bzw. geringe Punktzahl = geringe Schutzwürdigkeit. Das bedeutet, nachdem die Gesamtpunktzahl anhand der vorherigen Kriterien ermittelt ist, handelt es sich um eine endgültige Punktzahl, aus der sich bereits abschließend die soziale Schutzwürdigkeit ergibt. So ist die Beklagte auch verfahren. Eine Einzelfallabwägung sieht die Auswahlrichtlinie somit weder vor noch lässt sie deren Wortlaut zu noch hat die Beklagte sie durchgeführt.

II
Die Beklagte ist zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Xxxxxx über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zu beschäftigen.

Außerhalb der §§ 102 V BetrVG, 79 II BpersVG hat der gekündigte Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstehen. Die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses gewährt dem Arbeitgeber ein schutzwertes Interesse an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses. Dieser überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zum Zeitpunkt, in dem im Kündigungsschutzprozeß ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewißheit des Prozeßausganges für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzukommen müssen dann vielmehr zusätzliche Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG Großer Senat. 27.2.1985, GS 1/84).

III
Die Beklagte trägt gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert ist in Höhe von sieben Monatsgehälter, nämlich in Höhe von xx.xxx,xx € festzusetzen. Streitgegenständlich sind zunächst die Kündigungen vom 28.11.2003 und 28.1.2004. Es liegen mehrere Streitgegenstände vor, die gesondert zu bewerten und gem. § 5 ZPO zu addieren sind. Bei der Feststellung der Unwirksamkeit der ersten Kündigung steht nicht gleichzeitig fest, daß das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit fortbesteht. Fest steht nur der Fortbestand bis zum Beendigungszeitpunkt der Kündigung zwei. Da die Auswirkungen der Unwirksamkeit der ersten Kündigung durch den Ausspruch der zweiten Kündigung begrenzt werden, ist es sachgerecht, die erste Kündigung mit der Vergütungsdifferenz der Beendigungszeitpunkte von Kündigung eins und zwei, vorliegend ungefähr zwei Monatsgehältern, zu bewerten. Der Feststellungsantrag gegen die zuletzt ausgesprochene Kündigung ist sodann mit drei Monatsentgelten angemessen in Ansatz gebracht, da es um den Fortbestand des Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit geht (vgl.: LAG Niedersachsen, 28.6.2001, 13 Ta 157/01). Zuzüglich dieser fünf Monatseinkommen ist hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsanspruches (LAG Niedersachsen, 30.10.2000, 7 Ta 359/00) und letztlich für den Weiterbeschäftigungsanspruch jeweils ein weiteres Bruttomonatsentgelt streitwerterhöhend zu berücksichtigen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diese Urteil kann Berufung eingelegt werden.

a)wenn sie im Urteil des Arbeitsgerichtes zugelassen worden ist
oder
b)wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 Euro übersteigt
oder
c)in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses.

Soweit die Voraussetzungen zu a); b) oder c) nicht vorliegen, ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufungsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein; an seiner Stelle können Vertreter der Gewerkschaften oder von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der Zusammenschluss, der Verband oder deren Mitglied Partei sind.

Die Berufungsschrift muss binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Siemensstraße 10, 30173 Hannover eingegangen sein.

Die Berufungsschrift muss das Urteil bezeichnen, gegen das die Berufung gerichtet wird und die Erklärung enthalten, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde. Ihr soll ferner eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt werden.

Die Berufung ist gleichzeitig oder innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils in gleicher Form begründen.

Die für die Zustellung an die Gegenseite erforderliche Zahl von beglaubigten Abschriften soll mit der Berufungs- bzw. Begründungsschrift eingereicht werden.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen bittet darum, die Berufungsbegründung und die Berufungserwiderung in 5-facher Ausfertigung, für jeden weiteren Beteiligten ein Exemplar mehr, einzureihen.

Heidelk

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