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Termin 09.06.04, 11:00 Uhr: Kammertermin – Betriebsbedingte Kündigungen
RIin Frau C. Heidelk mit den ehrenamtliche RI Hr. F. Behrens und Hr. U. Benewitz, 3. Kammer, Sitzungssaal D, ArbG BS
PV/Bekl Fr. Schulte-Schrepping von AGV-BS mit Hr. Boris Bader (PA) für NEOMAN Bus GmbH ./. PV/Kl RA Koch mit Jürgen K. Aktenzeichen: 3 Ca 236/04; RSe Fr. Bartels mit Arne L. Aktenzeichen: 3 Ca 93/04, 6 Zuhörer
RI schaut aus dem Sitzungssaal, nachdem die Kammer sich zur Beratung des vorrausgehenden Termins sich zur Beratung zurückgezogen hatte. Alle Beteiligten sind versammelt und die anstehenden Termine werden um 10:55 Uhr gestartet. Heute kommt ein bereits dreimal verschobener Kammertermin (28.04.;30.04; 26.05) zum Aufruf.
Der angesetzte Termin für Roland S. Aktenzeichen 3 Ca 90/04 ist durch Vergleichsabschluss bereits erledigt. Die RI hat aber keine Informationen erhalten und moniert dieses Verhalten. Nach Klärung durch RI, ob beide Termine gleichzeitig verhandelt werden sollen, werden die Termine aufgerufen und die Präsenz mit Personendaten für die Protokollierung ermittelt.
Kurzer Sachvortrag durch die RIin. Es wird der letzte Schriftsatz der Bekl angeführt, der eine Nachbesserung der Zahlenwerte für die Produktionsdaten und zur Sozialauswahl enthält. Die Werte wurden wohl in Kenntnis der ergangenen Urteile angepasst, vermutete die RIin.
Anmerkungen: Die Zahlen konnten trotz intensiven Bemühungen und dem Beherrschen der Grundrechnungsarten nicht mit den Ergebnissen im Geschäftsbericht in Einklang gebracht werden. Außerdem sehe ich diese Nachbesserung kritisch, da diese Zahlen nicht dem Betriebsrat zur Kündigungsanhörung vorgelegt worden sind und, wie angedeutet, erst nach Vorliegen der auch hier nachlesbaren Urteilen entstanden sind. Die Sozialauswahl wurde bewusst nur auf wenige Personen, die nicht im Nahfeld des Kl gearbeitet haben begrenzt. Selbst die im Schriftsatz genannten Tätigkeiten wären für den Kl geeignet und nach kurzer Einarbeitungszeit machbar. Von Kl genannte Vergleichpersonen aus dem direkten Umfeld, die nachweislich wenigen sozialen Schutz und Sachkenntnisse besaßen, wurden nicht berücksichtigt im Schriftsatz.
Die Bekl/PV entschuldigte die bekannten Schwächen der Sozialauswahl von sich aus mit der geringen Zeit wegen den Vergleichsausarbeitungen.
Das war das Stichwort für die RIin. Es wurde nur noch die Einmaligkeit des, durch das noch nicht erlebte geschlossenes Auftreten von Gekündigten, erreichten Vergleiches besprochen. Die RIin und die Kammer können es nicht verstehen, warum dieser nicht durch den Kl angenommen werde.
Arne L., der am Zeugenplatz direkt gegenüber den RI gesessen hat, erklärte die Nachteile bei der Rentenversicherung und der negativen Prognose durch die Agentur für Arbeit (ex Arbeitsamt). Außerdem sei genügend Arbeit da, dass sogar Sonderschichten gefahren werden müssen und die Sozialauswahl ist bekanntlich und belegbar falsch. Durch das Arbeitslosen- bzw. Kurzarbeitergeld wird die Kreditfähigkeit bei der Hausbank negativ beeinflusst. Weitere Gründen könnten leider nicht mitgeschrieben werden. Steno wäre gut.
RI zeigt deutlich wieder ihr Unverständnis, dass Arne den Vergleich deshalb nicht akzeptieren kann. Sie erklärt, dass trotz Entscheidungen von 3 Kammern (Anmerkung: incl. der eigenen Kammer) das Urteil nicht sicher ist und bemüht das Zitat „Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand“. Der Weg über das LAG ist nicht vorgezeichnet und dort wird dieser einmalige Vergleich nicht mehr angeboten.
Arne macht einen eigenen Vergleichsvorschlag, der einen sofortigen/baldigen Wechsel in den LKW-Bau vorsieht, weil sowieso 100 Leute noch dieses Jahr dorthin Wechseln sollen. Dort ist ein erhöhter Bedarf an Lackierer. Das Ganze mit der Beschäftigungsgesellschaft, Arbeitslosigkeit und das Belasten des sozialen Netzes wurde dadurch entfallen.
Ohne auf den konstruktiven Vorschlag einzugehen erklärt die Bekl/PV der Kammer die Vorzüge des ausgehandelten Vergleichs.
RI erklärt, dass dieser Vergleich nur durch das geschlossene Auftreten der Gekündigten mit dem Arbeitgeber abgeschlossen worden ist. Dieses gemeinsame Handeln kann doch jetzt nicht durch eine Einzellösung abgeändert werden. Wir haben es mit einer Massenentlassung zu tun und warum sollen Einzelpersonen besser gestellt werden?
Anmerkung: Ist das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren nicht ein Einzelprüfungsverfahren. Ansonsten hätte die Massenentlassung auch in einem Sammeltermin verhandelt werden können. MANn kann gemeinschaftlich Marschieren und doch andere eigene Zielpunkte verfolgen. Ich halte Arnes Vorschlag für Kreativ und Lösungsorientiert.
Arne kommt aufgrund dieser Argumentation in Erklärungsnotstand und seine Frau greift aus der Zuhörerreihe ein und fragt ob sie als Kündigungsmitbetroffene die Nachteile des an sich guten Vergleiches erklären darf. Sie geht aufgrund der Fachkenntnis auf die Folgen der Sozial- und Krankenversicherung ein und die Auswirkungen durch den Verlust der Kreditwürdigkeit. Auch nennt Sie das Schreiben mit der Mitteilung, dass ihr Mann nicht von der Auswahl betroffen ist.
Die Kammer erklärt erneut die Unsicherheit einer möglichen LAG-Entscheidung und des damit verbundenen Risiko des Verlustes des Arbeitsplatzes. Selbst bei Obsiegens sei der Arbeitsplatz bei Neoman nicht nachhaltig sicher.
Arne erklärt erneut seine Wechselbereitschaft zur MAN Nutzfahrzeuge AG, zumal gerade mit dem Betriebsrat Verhandlungen wegen den Übertritten von 100 Mitarbeitern der NEOMAN Bus GmbH anstehen. Dieser Mitarbeiterwechsel ist bis zum Jahresende öffentlich bekannt gegeben.
Die PV vom DGB-Rechtschutz greift kurz ein und erklärt, dass sie auch die Vorzüge des Vergleichs ihrem Mandanten erklärt habe. Es aber seine Entscheidung ist, ob er weiter machen will.
Anmerkung: Diese Erklärung war "echt" hilfreich für Arne und hat seine Argumentation "voll" unterstützt.
Jetzt ergreift RA Koch das Wort und weist auf seine Bemühungen bei der Vergleichsbehandlung hin und erklärt, dass der Vergleich für viele Betroffene eine Lösung darstellt. Auch für Jürgen K. ist der Vergleich, in der vereinbarten Form, nicht geeignet. Er muss angepasst werden. Wobei bei Neoman für diesen bekannten Einzelfall keine Bereitschaft besteht.
Dieses Eingreifen entlastet Arne, weil jetzt die RI auf Jürgen wechselt und dessen Gründe abfragt. Arne kann sich wieder sammeln, denn bis jetzt hat er alleine den Sachvortrag durchgeführt.
Jürgen nennt u.a. die Nichtberücksichtigung von Steuerfreibeträgen bei der 80 % Aufzahlung in der AutoVision, Zeitberechnungen beim Arbeitslosengeld und das diese Einkünfte nicht zur Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen ausreichen.
Hr. Bader widerspricht der Darstellung, dass ein erheblichere genannter monatlicher Betrag fehlen soll und beruft sich auf seine Berechnungen (rund 1/10), die diesen Einwand ins lächerliche ziehen soll.
RI wiederholt ihr Unverständnis mit der Ablehnung des gemeinschaftlich erkämpften Vergleiches und dem Ausscheren einzelner. Dieser Vergleich ist dem Arbeitgeber sicher nicht leichtgefallen.
Hr. Bader weist auf die Ausweitungsmöglichkeit der Beschäftigungsgesellschaft von 6 auf 8 Monate hin, wenn nur 12 Monate Arbeitslosengeld gewährt wird. Dies reduziere die Zeit mit Arbeitslosengeld und eine Zwischenfinanzierung wäre doch auch möglich.
Die RI versucht den im Vergleich vereinbarten Einmalbetrag als Ausgleich für die Nachteile bei der Nichtberücksichtigung des Steuerfreibetrages heranzuziehen. Herr Bader setzt diesem Hinweis nach, dass der Steuerfreibeitrag über den Steuerausgleich am Jahresende erstattet wird.
Jürgen K. hält dagegen, dass der Freibetrag bei geringer Steuerzahlung nicht zum wirken kommt und es zu einer erheblichen Schlechterstellung für ihn kommt.
RA Koch erklärt der Kammer die Besonderheit des Aufstockungsbetrages in Form einer Einmalzahlung. Diese soll bereits einen Verlust der Vergleichnehmer im Jahr 2005 teilweise ausgleichen.
Auch Jürgen schlägt einen Wechsel vom Bus in den LKW-Bereich vor. 100 Personen sollen doch zur Zeit ausgesucht werden.
Dies wird von der Bekl abgelehnt und zeigen dafür erneut keine Kompromissbereitschaft.
Die Kl nebst den ihren Frauen nehmen mit den PV eine Auszeit und verlassen den Sitzungssaal.
Zwischenzeitlich stellt ein E-RI an die Bekl die Frage hinsichtlich Lohnsicherung. Hr. Bader erklärt die Vereinbarung im Vergleich mit der Festschreibung auf die Lohngruppe 6. Wobei er die Festschreibung des Akortlohns nicht erwähnt hat.
Die RI durchsucht ihre Unterlagen und spricht die Bekl/PV wegen fehlenden Schriftsätzen zur 3. Kündigung von Jürgen K. an und fragt ob keine Auflage vom Gericht erfolgt sei. Eine keine Diskussion entsteht, die leider wegen der leisen Stimme nicht mitverfolgt werden kann.
Nach 10 Minuten kommen die Kl zurück und die RI protokolliert nach Rücksprache mit RA Koch den 1. Antrag aus dessen Schriftsatz für Jürgen. Die Bekl-Seite will keine Anträge stellen?
RA Koch erklärt, dass Hr. Bader weis, das kein Vergleich zustanden kommen kann und sein Schriftsatz liegt fristgerecht vor.
Bekl/PV hat keine Schriftsätze, weil sie in Urlaub war und beantragt Klageabweisung und Schriftsatznachlass. Es war kein Schriftsatztermin im Gütetermin auferlegt worden. Gut, dass dies in Abwesenheit des Kl geklärt wurde.
Arne schließt schweren Herzens, sicher nach reiflicher Überlegung den so dringlich vorgeschlagenen Vergleich. Man merkt ihm an, dass dieser Kompromiss nicht leicht gefallen ist. Nur die Darstellung von der Kammer und die geringe Unterstützung des PV gab sicher dafür den Anstoß.
RI diktiert den Vergleich zu Protokoll. Es ist ein langer Vergleich und das diktieren geht auf die Stimme. Nach der Zustimmung ohne Vorspielen der Betroffenen ist dieses genehmigt.
Was mit Jürgen ist und ob ein Urteil gesprochen wird, ist nicht bekannt gegeben worden. Wahrscheinlich erfolgt ein Beschluss der Kammer zu einem späteren Zeitpunkt.
(WB)
Anmerkung zur Prozessvertretung
Der DGB-Rechtsberatung wurde umfangreiches Material in Form von Geschäftsberichten incl. Markierungen und eine Erwiderung zum Schriftsatz zur Hand gegeben. Dieses Material wurde nicht eingesetzt. Vor Gericht wurden die eingereichten Schriftsätze der Rechtsberatung schonmal als dünn bezeichnet. Auch wurde der Vergleichsvorschlag mit sofortigen Wechsel in den LKW-Bereich erortet. Dieser wurde taktisch Unklug sofort der Bekl vor Verhandlungsbeginn mitgeteilt und die Ablehnung durch die Bekl kommentarlos hingenommen. Ich habe eine derartige Unterstützung und Einsatz für einen Mandanten noch nicht erlebt. Diese Beobachtung deckt sich auch mit Befragungsergebnissen für die Vergleichsherbeiführung im Gewerkschaftshaus. Wurde hier der Weg des Minimalismus gegangen? Ich kann die Angst und die Unsicherheit bei den Kl nachvollziehen, mit einem derartigen Erfahrungswert ggf. vor das LAG zu ziehen. Ich habe keine gute Referenz erlebt und kann diese Art der Arbeitnehmerinteressenvertretung nicht gut heißen. Liegt es vielleicht daran, dass der 2. Bevollmächtigte in Salzgitter der Genehmigungsverantwortliche für den Rechtsschutzanspruch ist?