Streikvorwurf Kassiererin "Emmely" wehrt sich gegen Kündigung
Berlin - Als Barbara E., von der Presse und Unterstützern nur "Emmely" genannt, den Saal 334 des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg betritt, wird es laut. Sie bekommt langen Applaus. Hier sitzt ihr eigenes Solidaritäts-Komitee, rund 100 Leute, vor allem Linke und Gewerkschaftler, die bereits vor dem schmucklosen Neubau per Megafon und Plakaten mehr Gerechtigkeit für "Emmely" forderten. Die 50-Jährige lächelt, als sie mit ihren beiden Anwälten durch die Reihen ihrer Unterstützer schreitet.
Weil sie Pfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen haben soll, hatte ihr die Supermarktkette Kaiser's fristlos gekündigt, das Berliner Arbeitsgericht ihre Klage dagegen abgelehnt. Deshalb ist nun Berufungsverhandlung. Barbara E. lächelt noch immer, als sie ihren Sitzplatz für die Verhandlung erreicht hat. Sie strahlt in die Kameras, jeder Fotograf bekommt sein Motiv. "Ich weiß nicht, wie viele Fotos in der letzten Zeit von mir geschossen wurden", sagt die Kassiererin, die seit 31 Jahren in einem Lebensmittelladen in Berlin-Hohenschönhausen arbeitet. Erst gehörte er zur DDR-Handelsorganisation, vor 15 Jahren übernahm Kaiser's die Filiale.
Die mediale Karriere der Barbara E. begann, nachdem sie Anfang 2008 zwei unterschlagene Pfandbons eingelöst haben soll. Das zumindest behauptet Kaiser's. Der Konzern feuerte sie. Der Wert der Bons: einmal 48 Cent, einmal 82 Cent, zusammen 1,30 Euro.
Am Ende streikte die Kassiererin allein
Die Kassiererin meint, dass der wahre Grund der Kündigung womöglich ein ganz anderer war: In ihrer Filiale in Berlin-Hohenschönhausen führte sie den Streik der Belegschaft an, 2007/2008, es war ein langer Tarifkonflikt, drei Streikwellen. Die Frau mobilisierte die Mitarbeiter, acht von 36 gingen für bessere Manteltarifverträge und gegen die Streichung von Schichtzulagen auf die Straße. Gespräche mit der Kaiser's-Distriktmanagerin folgten. Am Ende blieb Barbara E. als einzige Streikende übrig. "Es ist doch mein gutes Recht, für eine gute Bezahlung zu kämpfen", meint die Kassiererin.
Auch für die Ver.di-Einzelhandelsexpertin Erika Ritter liegt die Vermutung nahe, das Unternehmen habe sich von einer Mitarbeiterin trennen wollen, die Streikmaßnahmen in ihrer Filiale organisiert hat. "Die Kündigung kam ja mitten in der knalligen Streik-Phase", sagt Ritter. Die sogenannte Verdachtskündigung wie bei der Kaiser's-Kassiererin sei dabei ein beliebtes Mittel: "In jeder anderen Rechtssphäre gilt die Unschuldsvermutung, nur im Arbeitsrecht nicht", sagt die Ver.di-Expertin. Sie registriert eine Zunahme von Unternehmen, die versuchen, ihre Mitarbeiter einzuschüchtern.
Kaiser's: Vertrauensverhältnis ist zerstört
Die Kaiser's-Anwältin Karin Schindler-Abbes wollte sich nicht zu den Vorwürfen der Streik-Kündigung außern. Sie verweist auf den Unterschlagungsverdacht und das zerstörte Vertrauensverhältnis. "Gerade zu Kassiererinnen, die den ganzen Tag mit Geld umgehen müssen, braucht das Unternehmen absolutes Vertrauen", sagt die Anwältin.
Das Gericht jedenfalls konnte sich noch nicht für eine Bewertung entscheiden - die Verhandlung wird am 24. Februar fortgesetzt. Falls ihre Klage auf Rücknahme der Kündigung abgewiesen wird, will Barbara E. den Weg weiter gehen - notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. "Ich möchte mich morgen noch im Spiegel anschauen können", sagt die Kassiererin. Sie wolle einfach nur wieder als Kassiererin arbeiten. "Schließlich habe ich das von der Pike auf gelernt."
Ihr Vorbild sei dabei eine andere Berlinerin, die die Verhandlung im Saal verfolgte und anschließend auf die Kassiererin zuging und sie in den Arm nahm: Die Altenpflegerin Barbara H. wurde von ihrem Arbeitgeber entlassen, nachdem sie mit Anzeigen und Flugblättern auf Missstände im Unternehmen aufmerksam gemacht hatte. Ihre Klage liege jetzt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, sagt die Altenpflegerin.
Die beiden Frauen verabredeten sich erstmal nach der Verhandlung - zum gemeinsamen Arbeitsfrühstück, im Kampf gegen ihre Kündigungen.