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StartseiteInterviewAEG-Betriebsrat will Schließung so teuer wie möglich machen17.01.2006

AEG-Betriebsrat will Schließung so teuer wie möglich machen

Der Betriebsratsvorsitzende beim Hausgeräte-Hersteller AEG in Nürnberg, Harald Dix, rechnet mit einer breiten Unterstützung bei der Urabstimmung über einen unbefristeten Streik. Am Donnerstag oder Freitag dieser Woche könne der Streik dann voraussichtlich beginnen, so dass auch die Produktion in Polen spätestens in einer Woche zum Erliegen komme, sagte Dix.

AEG-Beschäftigte in Nürnberg wollen einen umfangreichen Sozialtarifvertrag durchsetzen. (Stock.XCHNG / Daniel Gamber)
AEG-Beschäftigte in Nürnberg wollen einen umfangreichen Sozialtarifvertrag durchsetzen. (Stock.XCHNG / Daniel Gamber)

Meurer: In Nürnberg stehen beim traditionsreichen AEG-Werk die Zeichen auf Sturm. Seit sechs Uhr heute morgen läuft die Urabstimmung, ob die Belegschaft streiken will oder nicht. AEG gehört nämlich seit 1994 zum schwedischen Marktführer Elektrolux und der schwedische Mutterkonzern hat im Dezember das Aus für das Werk in Nürnberg beschlossen. Waschmaschinen, Geschirrspüler oder Trockner der Marke AEG sollen künftig unter anderem in Polen produziert werden. Damit drohen 1750 Mitarbeiter bis Ende des nächsten Jahres ihren Arbeitsplatz zu verlieren. In Nürnberg vor den Werkstoren begrüße ich den Betriebsratsvorsitzenden der AEG Harald Dix. Guten Morgen, Herr Dix.

Dix: Guten Morgen.

Meurer: Bei ihnen waren es heute Morgen minus 12 Grad kalt. Wie läuft denn die Urabstimmung bislang?

Dix: Die Urabstimmung läuft trotz der Kälte sehr gut. Die Kolleginnen waren alle da von der Frühschicht, haben sich alle beteiligt. Wir werden, was die Wahlbeteiligung betrifft, sicherlich ein sehr gutes Ergebnis erzielen.

Meurer: Sie brauchen 75 Prozent Zustimmung für einen Streik. Haben sie irgendeinen Zweifel, wie die Abstimmung ausgeht?

Dix: Aufgrund der Stimmung der Belegschaft, der Wut, und aufgrund des Scheiterns der Verhandlungen gehe ich davon aus, dass die Belegschaft mit sehr großer Mehrheit, also deutlich über 75 Prozent, mit Ja stimmen wird und somit einen Streik ermöglichen wird.

Meurer: Für was, Herr Dix, streiken sie? Für einen Sozialtarifvertrag, also für einen Sozialplan oder sogar dafür, dass das Werk erhalten bleibt?

Dix: Wir streiken für einen Sozialtarifvertrag, das ist unsere Tarifforderung, um hohe Abfindungen, um eine Beschäftigungsgesellschaft aber natürlich auch weiterhin mit dem politischen Ziel, die Schließung so teuer wie möglich zu machen, dass die Schließungskosten teurer sind als die Fortführung der Fabrik und deshalb ist es eine Doppelstrategie, Tarifforderung plus Erhaltung der Fabrik.

Meurer: Das heißt, sie sehen eine Möglichkeit über einen hohen Sozialplan, der den Konzern viel Geld kostet, das Werk doch noch zu erhalten?

Dix: Das ist unser politisches Ziel, unsere Ausrichtung. Die Werksschließung soll ja 240 Millionen Euro kosten. Und mit unseren Forderungen in seinem Sozialtarifvertrag soll das Ganze deutlich teurer werden. Und da hoffen wir, eventuell, dass die Schließung dann doch noch vom Tisch kommt.

Meurer: Aber wundert es sie da, wenn dann Elektrolux, der Vorstand sagt, unter diesen Umständen legen wir ihnen kein Angebot vor, denn die IG Metall meint es ja gar nicht ernst mit den Verhandlungen um einen Sozialtarifvertrag.

Dix: Doch, sie will schon. Weil wir wissen, wenn der Schließungsbeschluss bleiben sollte, brauchen die Menschen hier in Nürnberg entsprechend eine Absicherung. Wir haben unsere Positionen erläutert, wir haben Forderungen schriftlich und mündlich übergeben, die Arbeitgeber verweigern sich und haben ihrerseits noch kein Angebot vorgelegt. Wir sind aber als IG Metall, als Betriebsrat, weiterhin verhandlungsbereit.

Meurer: Elektrolux sagt, sie hätten das Angebot schon in der Tasche gehabt. Aber der Konzern hat gefordert bis Ende Januar keine Proteste, nur dann wird das Angebot auf den Tisch gelegt. Hätten sie die zwei Wochen nicht noch warten können?

Dix: Eigentlich nicht. Weil, man muss wissen, dass in den zwei, oder drei Wochen, weiterproduziert werden sollte und eben da wichtige Geräte ins Ausland gehen sollten, wir sind auch Vorproduzent für andere, polnische Fabriken, und die wollten bei uns eigentlich nur entsprechend Ruhe haben, damit sie andere Werke und andere Betriebe beliefern können. Auf diesen Kuhhandel konnten wir uns nicht einlassen.

Meurer: Ab wann soll den gestreikt werden?

Dix: Wenn die Urabstimmung positiv ausfällt, wird die Woche am Donnerstag oder Freitag Streikbeginn sein.

Meurer: Was würde das bedeuten für die Betriebe in Polen, zum Beispiel, wenn in Nürnberg nichts mehr produziert wird?

Dix: Das könnte bedeuten, dass in absehbarer Zukunft, nach einer Woche vielleicht, entsprechend in Polen keine Teile mehr aus Deutschland kommen und somit auch in Polen nicht mehr produziert werden kann.

Meurer: Sie fordern ja in dem Sozialtarifvertrag für jedes Berufsjahr, das ein Beschäftigter der AEG abgeleistet hat, drei Monatsgehälter. Wie realistisch ist eine solche Forderung?

Dix: Für viele Mitarbeiter, die in Nürnberg leben, ist das eine wichtige Forderung, weil sie sehen, sie werden in Nürnberg keine Zukunft haben. Nürnberg hat eine sehr hohe Arbeitslosenquote. Die Mitarbeiter brauchen entsprechend sehr viel Geld um über die Runden zu kommen. Aber wir wissen auch, dass Forderung nicht gleich Ergebnis ist. Das heißt, wir fordern mal drei Monatseinkommen und werden mit der Position in die Verhandlungen gehen Was hinten raus kommt, ist was anderes.

Meurer: Sie fordern außerdem eine Beschäftigungsgesellschaft. Welchen Effekt soll die haben?

Dix: Die soll haben, dass die Belegschaft entsprechend qualifiziert wird. Der größte Teil der betroffenen Kolleginnen und Kollegen sind angelernte ungelernte Kolleginnen und Kollegen, die keinen Beruf haben und entsprechend soll in dieser Gesellschaft ermöglicht werden, dass die Kolleginnen und Kollegen entsprechende Weiterbildung bekommen und das Ganze eben bis zum Dezember 2010.

Meurer: Was sagen sie denn grundsätzlich zu der Argumentation des Vorstandes von Elektrolux, im Mutterkonzern, dass in Nürnberg einfach zu teuer und mit Verlusten produziert wird?

Dix: Der Standort Nürnberg ist ein Standort, ein Konzern, der schwarze Zahlen schreibt, wir arbeiten nicht mit Verlusten, allerdings unter dem Aspekt, dass wir zu wenig Gewinne machen. Das ist das Problem. Es gibt bestimmte Margen, die uns der Konzern in Stockholm auflegt, die wir als Nürnberger zwar nicht erreichen können, aber wir arbeiten in Nürnberg nicht mit Verlusten.

Meurer: Jetzt haben Globalisierungsgegner zu einem Boykott von Elektrolux-Produkten aufgerufen. Schließen sie sich diesem Aufruf an?

Dix: Ich denke, wir werden das ganze Thema mit unterstützen müssen, es ist auch wichtig, weil wir nicht leichfertig einen Arbeitskampf führen und draußen die Menschen unsere Geräte kaufen. Ich muss aber dazu sagen, dass ohne Produktboykott jetzt schon AEG große Schwierigkeiten hat überhaupt Geräte zu verkaufen. Der Umsatz ist den letzten Wochen seit Bekanntgabe der Schließung deutlich zurückgegangen.

Meurer: Müssen sie nicht die Hörer zum Kauf von AEG-Produkten aufrufen statt zum Boykott?

Dix: Im Prinzip bräuchten wir einen differenzierten Boykott. Wir bräuchten einen Aufruf Geräte aus der AEG Nürnberg zu kaufen, und einen Aufruf Elektrolux-Geräte aus Polen und anderen entsprechend nicht zu kaufen. Ob wir das insgesamt hinkriegen, technisch hinbekommen, ist die Frage, weil der Käufer im Laden beim Händler nicht unterschieden kann, ob die Waschmaschine aus Polen kommt oder aus Nürnberg. Das ist unser Problem.

Meurer: Der Betriebsratsvorsitzende des AEG-Werks in Nürnberg Harald Dix bei uns im Deutschlandfunk. Herr Dix, danke schön und auf Wiederhören.

Dix: Danke auch. Wiederhören.

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