„Im kältesten Winter seit langem habe ich mir an den Feuertonnen die Füße abgefroren ...“
Alice:
Wie
kamst du zur AEG?
Tim:
Als
es um die Verlagerung nach Polen ging, und ich einfach meine
Solidarität mit der Belegschaft zeigen wollte.
Alice:
Die
Verlagerung nach Polen, kannst du dich erinnern, wann du davon das
erste mal gehört hast?
Tim
Die
ersten Aktionen haben im Herbst, ich denke im September
stattgefunden. Als es richtig massiv wurde, dann habe ich
natürlich den kältesten Winter seit langem miterlebt und hab
mir an den Feuertonnen die Füße ab gefroren.
Alice:
Kurz
vor Weihnachten wurde die Schließung der AEG verkündet. Wie hast du
die Stimmung erlebt?
Tim:
Bei
sämtlichen Aktionen, die stattgefunden haben, war die Stimmung
zuerst explosiv und die Leute dementsprechend geladen, weil sich
jeder verschaukelt vorkam. Ich war dann regelmäßig mit im
Streikzelt und mit Beginn des Streiks
anwesend.
Alice:
Das
Nürnberger Sozialforum hat den Boykott eine Woche vor Streikbeginn angefangen. Hast du davon etwas mitbekommen?
Tim:
Den
Boykottaufruf habe ich auf jeden Fall mitbekommen. Jeder, der
betroffen
war, der musste gar nicht erst extra aufgefordert werden. Es lag in
der Natur der Sache, dass man keine Artikel von einer Firma
kauft, die einen auf die Straße befördert hat. Aber der
Boykottaufruf allgemein war wichtig für diejenigen, die nicht
direkt betroffen waren. Er hat so auch ganz Deutschland
erfasst und auch das Ausland erfasst. Firmen oder Konzernen, die so
mit Menschen umgehen, denen sollte man nicht noch den Gefallen
tun und deren Produkte kaufen. Das hat bis heute Bestand. Das ist
für mich glasklar. Von denen kaufe ich nichts mehr.
Alice:
Streikzelt
war das Stichwort. Die IG Metall hat ja einen Streik für einen
Sozialtarifvertrag gemacht. Da ging es dann richtig los mit
Streikzelt und so. Wie hast du den Streik erlebt?
Tim:
Für
mich war das eine komplett neue Erfahrung, weil ich so in der Form
Streiks noch nie so hautnah miterlebt habe. Ich habe mal den
Grundig-Streik miterlebt, aber auch nur durchs Vorbeifahren,
als Grundig pleite gegangen ist. Persönlich beim Streik, bei der
Entwicklung und der gesamten Durchführung dabei zu sein, war für
mich völlig neu. Ich bin beinahe täglich hingegangen. Ich habe
mich erstmal sehr gerne mit der Belegschaft unterhalten. Da haben
ganz tolle Gespräche stattgefunden. Die Leute waren am
verzweifeln. Es hat ganze Familien zerstört, weil oft nicht nur
eine Person aus der Familie bei AEG beschäftigt waren,
sondern teilweise schon ganze Generationen. Die Großeltern, über
den Vater und jetzt die Kinder haben da gearbeitet. Wenn mehrere
Familienmitglieder in einer Firma arbeiten, die geschlossen
oder verlagert wird, ist das ein ganz massiver Einbruch. Leute
die hier zu Hause sind, die hier wohnen und sich kleine Häuschen
gebaut haben oder auch Miete zu bezahlen hatten, die stehen dann
plötzlich vor dem Nichts. In die Richtung sind dann eben die
Gespräche gegangen. Ganz, ganz viel Ratlosigkeit herrschte. Was
soll jetzt aus mir werden oder was soll aus uns werden? Es hat
unendlich viele Fragen gegeben. Zum Teil war ich selber
ratlos, wenn mir Leute erzählt haben: Wir haben eine
Eigentumswohnung mit 130 qm. Dürfen wir die behalten? Wird die uns
jetzt weggenommen, werden wir sozusagen zwangsenteignet? Was
bleibt uns überhaupt noch?
Alice:
Nach
dem Rummel zum Auftakt fing ja die Streikroutine an. Wie war die
Streikorganisation, wie hast du die ersten ein, zwei Wochen
erlebt?
Tim:
Ich
fand das eigentlich schon beeindruckend. Man hat die Situation
erleben müssen. Es hat gebrannt in Nürnberg, in jeder
Beziehung. Also den Streik, die Situation konnte man spüren,
riechen, richtig wahrnehmen, weil egal, ob man in einer
Nürnberger UBahn oder Straßenbahn gesessen hat, durch die
Qualmwolken von den Feuertonnen, wenn man stundenlang
drangestanden hat in ungünstiger Windrichtung, hat man leicht
angekokelt gerochen. Man hat gestunken, man hat seine Kleidung
nächtelang, tagelang auf den Balkon hängen können, man hat
diesen beißenden Qualmgeruch nicht raus bekommen. Also die
Luft hat gebrannt in Nürnberg in jeder Beziehung.
Alice:
Man
hat die AEGler in der U-Bahn gerochen?
Tim:
Man
hat sie auch erkannt, weil die Feuertonnen ja auch einen Funkenflug
gegeben haben, und wenn jemand vor einem gelaufen ist, so
zehn bis zwanzig kleine Brandlöcher in seiner Jacke hatte, der
war entweder solidarisch mit AEG oder war ein Mitarbeiter von
AEG. Es war schweinekalt. Alles was der Schrank hergeben hat an
Unterwäsche, Skiunterhosen und Motorradkluft und so kam zum
Einsatz. Also Hauptsache man war windund wasserdicht verpackt.
Alles andere war zwecklos. Drei Schichten Socken übereinander und
dicke Winterstiefel. Was mich persönlich auch noch beeindruckt
hat zum Streikbeginn, dass unglaubliche Solidaritätsaktionen in
Nürnberg stattgefunden haben. Wenn man sonst den Franken so
unterstellt, sie wären ein bisschen mumpflert und na ja nicht so
gesprächig und eher maulfaul, die Meinung muss ich revidieren,
es hat sich das Gegenteil gezeigt. Jeder, der an den
Solidaritätsaktionen teilgenommen hat, also diverse
Nürnberger Gruppen, Sozialforum, Montagsdemo, die linken Gruppen
sind Klinken putzen gegangen und haben gesammelt für die
AEGBelegschaft. Die Spendenbereitschaft war unheimlich groß.
Arztpraxen haben zehn bis 20 €
gegeben.
Und bei Privatpersonen, wenn man da vor der Tür gestanden hat,
ist man nicht angemault worden, sondern hat gehört:
Selbstverständlich, warten Sie einen Moment, ich hol mal meinen
Geldbeutel. Die Leute sind alle ins Laufen geraten. Was ich dann
auch ganz toll fand, das waren die Lieferungen von Nürnberger
Metzgereien, Bäckereien,
Supermärkten, die die Streikenden mit
Lebensmitteln versorgt haben.
Alice:
Wie
haben die AEGKollegInnen die Situation und diese ganze
Solidarität erlebt?
Tim:
Die
waren sehr, sehr beeindruckt. Sie hatten es nicht für möglich
gehalten, dass so eine große Anteilnahme stattfindet. Sie waren
von zornig bis aggressiv. Es hat auch mal lautere Töne gegeben,
weil einfach jemand über die Konzern
spitze geschimpft hat.
Die Leute haben sich einfach Luft gemacht. Wenn ich genauer
drüber nachdenke, so hat es verschiedene Phasen gegeben. Die erste
Phase war der Streikbeginn. Ich würde mal sagen: Die Leute waren
aggressiv und geladen, verständlich. Am Anfang war geladene
Stimmung. Das hat sich dann verändert, als es sich in den Köpfen
so ein bisschen gesetzt hatte, in was für eine Situation die
AEGMitarbeiter jetzt kommen, kam so etwas wie, wie nennt man
das jetzt, Resignation, Trauer ja, je nach Charakter war es
unterschiedlich bis hin zu Verzweiflung auf. Dann ist auch ganz
klar: Bei soviel Wochen, also sechs Wochen, ist auch so ein
bisschen Routine eingekehrt. Dann kamen mit den Wochen auch
die Themen auf: Wo kann ich mich bewerben, wo komme ich unter,
welche Firmen suchen überhaupt noch Leute? Dann war eigentlich
eine breite Resignation zu spüren.
Alice:
Hattest
du das Gefühl, das es in der Stimmung Veränderungen gab?
Tim:
Das
war abhängig von der jeweiligen Situation, was die Gewerkschaft
unternommen hat. Dann war eine Zeit dabei, in der sich
Politiker die Klinke in die Hand gegeben haben. Lafontaine,
Müntefering und andere waren da, was von der Belegschaft als
heuchlerisch empfunden wurde, weil bloß Phrasen gedroschen
wurden. Das hat aber an der Situation insgesamt gar nichts geändert,
was natürlich die Stimmung wieder hochgeputscht hat.
Alice:
Kannst
du über den »Aktionstag Weiße Ware« etwas erzählen?
Tim:
Da
bin ich auch mitmarschiert. Es gab deutschlandweite Solidarität. Es
sind viele aus Norddeutschland gekommen. Es war KollegInnen einer
Zulieferfirma dabei, die ihre Solidarität mit erklärt hat, ACC
aus Oldenburg. Beschäftigte von Miele und BoschSiemens
waren auch da. Das hat mich sehr beeindruckt.
Alice:
Die
Gewerkschaft hat ja an diesem Aktionstag das Motto „AEG ist
Deutschland“
ausgegeben und T-Shirts und Plakate damit verteilt. Wie haben das
die KollegInnen gesehen?
Tim:
Die
Aussage »AEG ist Deutschland« ist negativ aufgenommen worden, weil
zur gleichen Zeit am 14. Februar in Straßburg die
BolkesteinDemo stattgefunden hat und da auch ein oder
zwei Busse aus Nürnberg gestartet sind.
Alle AEG-Mitarbeiter
haben dieses rote T-Shirt getragen haben mit »AEG ist
Deutschland«. Der Slogan war nicht gut gewählt.
Alice:
Haben
die KollegInnen das auch so gesehen oder ist das jetzt deine
Meinung?
Tim:
Das
war die Meinung der KollegInnen und vieler anderer auch, die die
Aktion beobachtet haben.
Alice:
Warum
kam das nicht gut an? Es sollte ja auf die damalige Kampagne »Du
bist Deutschland« anspielen.
Tim:
Ja,
aber das ist ein alter Nazispruch und ist eigentlich damit assoziiert
worden. Deswegen ist es nicht gut bei den Leuten angekommen und
schon gar nicht, wenn man auf eine internationale Demo nach
Straßburg fährt, mit diesem Slogan durch die Stadt zu laufen,
wo weltweit die Kameras drauf gerichtet sind, das war eine
unkluge Entscheidung. Das war ein peinlicher Auftritt der Deutschen
in Straßburg. Es gab verschiedene Aktionen von der IG Metall, die
ich persönlich nicht für gut empfunden habe. Nicht nur, dass
die Belegschaft von Electrolux verkauft worden ist. Ich fand zum
Beispiel die Aktion von der IG Metall nicht in Ordnung, als die
Werkstore in der Muggenhofer Straße geschlossen waren und
der Betrieb ja rund rum bestreikt wurde, man dann aber auf der
anderen Seite den Hafen hinten offen gelassen hat. Da wurde
waggonweise die Ware vertrieben. Die Situation fand ich
inkonsequent.
Alice:
Wurde
das bei den KollegInnen diskutiert?
Tim:
Kaum.
Zur der Zeit, in der ich anwesend war, habe ich da wenig mitgekriegt,
weil
es ja eine geheime Aktion war und nicht an die Öffentlichkeit
gebracht werden sollte. Die es dann mitgekriegt haben mit dem
Streikbruch, die waren sehr erbost, weil das eine inkonsequente
Haltung war zum Streik. Dadurch ist letztendlich der Streik der
Logistik im Hafen ins Leere gelaufen. Was der IG Metall dann
natürlich auch ein Dorn im Auge war, das waren die diversen
Flugblätter der Linken, die über solche Aktionen geschrieben
haben. Ich habe oft genug im Streikzelt gesessen und konnte
beobachten, wie IG Metall nahe Personen die Handys gezückt
haben. Sie haben einen Anruf gestartet, und daraufhin kamen ein
Herr Wechsler oder Herr Dix und sind durchs Zelt gesaust,
haben rechts und links die Tische abgelaufen und sämtliche Druckwerke wieder eingesammelt und in die Feuertonnen
geschmissen. Die Flyer, die unmittelbar vorher verteilt worden
sind, sind innerhalb kürzester Zeit wieder eingesammelt worden.
Alice:
Was
waren das für Flyer? Von welchen Gruppen?
Tim:
Das
war der Muggenhofer Druck, die MLPD Betriebszeitung, denen auch
teilweise der Zutritt zum Zelt verwehrt wurde. Viele
Flugblätter von linken Gruppen und Parteien, brisante
Flyer, waren unerwünscht und sind nach einem Anruf sofort in die
Feuertonnen gewandert. Mit der Zeit konnte ich dann so zuordnen,
wer zu wem gehört. Weil die Leute alle so deprimiert
ausgesehen haben, hat man die AEGler an ihren roten Tüten
erkannt. Selbst wenn sie die Streikwesten nicht an hatten, sah man
das dann mindestens an den Gesichtern. Was aufgefallen ist, und
das konnte ich anfangs noch nicht zuordnen: Es gab eine Person,
die hatte immer ein Lächeln im Gesicht. Also egal, wann ich den
Mann gesehen habe. Er hat immer gelächelt. Ich konnte ihn
nicht zuordnen und dachte immer: Es ist ein hochrangiger
AEGMitarbeiter, der sich um seinen Posten keine Sorgen machen
muss. Aber dann irgendwann mal habe ich mitbekommen, dass es der
Chef von der GPQ ist.
Alice:
Der
Heribert Hansel?
Tim:
Ja.
Der hatte natürlich allen Grund zum Lächeln. Der hat sich schon die
Hände gerieben. Ich habe ihn bloß beobachtet und dachte:
Was bist du für einer?
Alice:
Die
Politiker wurden ja als heuchlerisch empfunden. Aber wie hast du das
Verhältnis der KollegInnen zur IG Metall erlebt? Geredet haben
ja immer die Funktionäre, Wechsler, Dix. Wie kam das bei den
KollegInnen an?
Tim:
Zu
Streikbeginn waren die Kollegen von der IG Metall sehr angetan,
standen ihr positiv gegenüber. Aber nachdem so ein paar Sachen
wie der offene Hafen aufgetaucht sind, oder an einem Abend
eine geheime Versammlung der IG Metall in München stattfand, die
nicht öffentlich werden durfte, mit Otto Wiesheu und Neugebauer,
da war die Belegschaft verunsichert, was ich aus den Erzählungen
so mitgekriegt habe. Manchmal war es auch empfehlenswert, einfach
bloß im Streikzelt zu sitzen, ruhig zu sein und den Gesprächen
zuzuhören. Wie die Kollegen sich da so unterhalten haben,
also da ist Misstrauen entstanden gegenüber der IG Metall.
Alice:
Hatten
die Aktivitäten und Flyer der linken Gruppen irgendeine Wirkung bei
den KollegInnen?
Tim:
Es
hatte eine aufklärerische Wirkung auf jeden Fall, weil da natürlich
Sachen übermittelt worden sind, die die IG Metall niemals
verbreiten oder kundtun würde. Da ist die Belegschaft schon
hellhörig geworden. Da fällt mir zum Beispiel die eine
Aktion im IBIS Hotel ein. Das war auch eine nicht öffentlich
bekannt gewordene Aktion, oder zumindest sollte die Belegschaft
nichts über diese Verhandlung mitkriegen. Da waren Leute mit
einem Transparent »Nein zum faulen Kompromiss«. Die Flyer und
Aktionen der linken Gruppen haben der IG Metall überhaupt nicht
gepasst.
Alice:
Die
Optik ums Werk war ja sehr bunt durch die Graffities, die vielen
Transparente der linken Gruppen oder auch die Unterschriften
für den Boykott, die das Sozialforum quer durchs Streikzelt
aufgehängt hat. Am Schluss sah das ja fast schon aus, wie ein
Camp von G8Gegnern. Hat diese Optik für die Kollegen
irgendeine Rolle gespielt?
Tim:
Man
muss das im Gesamtbild sehen. Ob das jetzt die
Lebensmittellieferungen waren, Holzlieferung, dann die
ganzen Solitransparente, also das hat den Streikenden
denke ich mal auch ein Stück weit Kraft gegeben. Sie hatten glaube
ich nicht das Gefühl alleine zu sein. Die Situation ist von
Nürnbergern oder Mittelfranken aus ganz intensiv beobachtet
worden. Und da waren die Transparente nicht unbedeutend. Nur
hat sich die IG Metall die Freiheit genommen,
unerwünschte
Transparente zu entfernen.
Alice:
Ende
Februar hat der Streik ja schon lange gedauert. Hat sich die Stimmung
da verändert?
Tim:
Je
länger der Streik dauerte, umso mehr wurde die Situation mit Hartz
IV bewusst. Die Abfindung war dann ein Thema. Da gab es eine
Altersgrenze, und da war ganz miserable Stimmung, weil viele da
nicht drunter fielen und Leute sofort dagegen klagen wollten. Was
ich so mitbekommen habe, standen gar nicht die
Abschlussverhandlungen im Vordergrund. Was ich so mitgekriegt habe,
haben die Leute gerechnet: Was mache ich mit 345 €
?
Wie soll ich künftig existieren, was mache ich mit meinem
Ersparten, das ich jetzt habe?
Alice:
Auf
der anderen Seite gab es Ende Februar ja auch die Parole: »Wir
streiken bis zum Sommer«. Wie passt das zu der Stimmung, die du
gerade beschreiben hast?
Tim:
Ich
muss gerade schmunzeln, weil ich an die Kollegin denken muss, die
gesagt hat: Jetzt macht das Streiken gerade richtig Spaß. Also
die Leute hatten einen enormen Kampfgeist. Es kam immer darauf
an, wie das familiäre Umfeld ist. Aber ich hatte so den
Eindruck: Die die nicht allzu viel zu verlieren hatten, die haben
dem ganzen enormen Auftrieb gegeben. Also die waren wesentlich
kampfbereiter. Die anderen waren eher in ängstlicher
Zurückhaltung.
Alice:
Wie
hat sich das verteilt zwischen Leuten die gesagt haben: Jetzt macht
es erst richtig Spaß, wir ziehen das Ding durch, egal was dabei
rumkommt und den eher Ängstlichen, die sich zurückhielten.
Wieviel waren das?
Tim:
Ich
wage mal zu behaupten, das es die Hälfte etwa war der Belegschaft.
Mir sind am kämpferischsten die ausländischen Mitarbeiter
aufgefallen. Also da war
richtig Biss dahinter. Die, die in der ängstlichen Phase waren,
sagen wir mal logischerweise schon Existenzängste hatten, die
haben sich ziemlich aus dem ganzen Geschehen rausgehalten, die
waren sowieso krank geschrieben. Die sich kämpferisch gezeigt
haben und hoch motiviert waren, die haben sowieso die
Streikschichten übernommen, und die würden wahrscheinlich heute
noch streiken. Der Kampfgeist hat bei denen überwogen. Die haben
sich vielleicht auch gesagt: Ich bleibe hier an der
Feuertonne bis zum Sommer oder bis sie mich hier wegtragen, wenn
ihr was von mir wollt. Je mehr es dann zu Ende zugegangen ist,
umso mehr hat es sich dann bei den Aktiven nochmal gesteigert,
mit jeder Unwahrheit.
Alice:
Hatte
der Kern der Streikaktiven ein Gespür für die Geheimverhandlungen?
Du hast von Unwahrheiten gesprochen.
Tim:
Die
Leute waren natürlich über sensibel. Da waren alle Fühler auf
Empfang ausgestreckt. Man hat es eigentlich am deutlichsten
gespürt in der Nacht vom 6.
auf den 7. März, als die Umfrage rumging, dass wieder
weitergearbeitet werden
soll. Da ist abgestimmt worden, ob
wieder gearbeitet oder weiter gestreikt wird.
Alice:
Die
Urabstimmung war ja eine Woche nachdem in Geheimverhandlungen der
Streikabbruch vereinbart wurde.
Tim:
Da
war Schluss, Aus, Ende. Da ist es noch einmal richtig rund gegangen.
Das hat die Stimmung noch einmal enorm gesteigert. Also da ist
sehr viel diskutiert worden, denn an die Korrektheit der
Abstimmung, was ich so mitgekriegt habe, hat keiner geglaubt. Es
ist in Frage gestellt worden, wer die Urabstimmung
ausgezählt hat. Für ausländische Mitbürger sind die
Urabstimmungszettel nicht mehrsprachig gewesen. Es ist auf
dem Ausdruck schon in einem Kästchen vorgegeben gewesen, was man
anzukreuzen hat. Also das hat schon eine Spur Sarkasmus an sich.
Da hat die Luft noch mal gebrannt.
Was ich bei den ganzen
Abstimmungen nicht korrekt finde, nicht begriffen habe und auch
bis heute nicht begreifen konnte, ist, dass man bei der
Urabstimmung für den Streik 75% der Stimmen brauchte und
für das Streikende aber nur 25%. Das geht nach meinem
Demokratieverständnis nicht in meinen Kopf rein.
Alice:
Wie
hast du die letzte Woche erlebt. Du hast ja gesagt, dass der
Kampfgeist sich bei den Aktiven nochmal gesteigert hat. Man kann
ja nun die Frage stellen: Wenn der Kampfgeist so groß war,
warum wurde dann nicht weiter gekämpft?
Tim:
Die
Überlegung war, dass die Abfindung verloren geht, wenn weiter
gestreikt würde. Im Endeffekt war das nichts anderes als eine
Erpressung. Die Kollegen sind sich dann gegenseitig in den Rücken
gefallen und zwar diejenigen, die hätten weiterkämpfen wollen
gegen diejenigen, die gesagt haben, ich werde sowieso entlassen
und nehme die Abfindung mit. Die Solidarität der Streikzeit war
da abrupt beendet als die Leute sich untereinander bekriegt haben und
sich so quasi als Verräter oder Spalter hingestellt haben.
Noch
erwähnenswert ist, dass einen Tag vor der Urabstimmung im
Streikzelt ein Karton mit weißen Buttons stand, auf denen
der Streikbeginn und das Streikende aufgedruckt war.
Offensichtlicher geht es ja gar nicht. Diese Urabstimmung war
einfach nur gefaked. Es hat eine gezielte Manipulation
stattgefunden. Die Belegschaft ist gezielt verunsichert worden,
durch solche Äußerungen wie: Du verlierst deine Abfindung, wenn
du nicht aufhörst mit dem Streik. Selbst von Harald Dix kamen
solche Äußerungen. Mit der Belegschaft ist, jetzt so im
nachhinein betrachtet, gespielt worden. Erst ist sie hoch geputscht
worden, nach dem Motto »Ihr habt zu machen was ich will oder was
wir wollen« und dann ist, als der Kampfgeist noch existiert hat,
den Leuten sozusagen der Boden unter den Füßen weggezogen
worden. Das war wie ein
Schlag ins Genick. Bis hier hin und nicht
weiter.
Alice:
Wie
hast du persönlich das Streikende erlebt?
Tim:
Ich
war frühmorgens um 6 Uhr am Streikzelt, und habe erlebt, wie Harald
Dix die Streikmauer einschlägt. Das ganze war noch einmal so auf
Dramatik ausgerichtet, medienfreundlich natürlich.
Jedenfalls hat die Belegschaft wieder
angefangen zu arbeiten. Ich
habe mich ins Streikzelt gesetzt. Das war jetzt leer. Nur eine
Gruppe Presseleute saß da.