Sie sind hier: Startseite Projekte AEG-Electrolux Das Buch zur AEG „Im kältesten Winter seit langem habe ich mir an den Feuertonnen die Füße abgefroren ...“

„Im kältesten Winter seit langem habe ich mir an den Feuertonnen die Füße abgefroren ...“

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.02.2009 14:10
Das Interview mit Streikunterstützer Tim vermittelt einen guten Eindruck über die Atmosphäre in Nürnberg und das "Streikcamp" vor den AEG-Toren.

Alice:
Wie kamst du zur AEG?

Tim:
Als es um die Verlagerung nach Polen ging, und ich einfach meine Solidarität mit der Belegschaft zeigen wollte.

Alice:
Die Verlagerung nach Polen, kannst du dich erinnern, wann du davon das erste mal gehört hast?

Tim
Die ersten Aktionen haben im Herbst, ich denke im September stattgefunden. Als es richtig massiv wurde, dann habe ich natürlich den kältesten Winter seit langem miterlebt und hab mir an den Feuertonnen die Füße ab gefroren.

Alice:
Kurz vor Weihnachten wurde die Schließung der AEG verkündet. Wie hast du die Stimmung erlebt?

Tim:
Bei sämtlichen Aktionen, die stattgefunden haben, war die Stimmung zuerst explosiv und die Leute dementsprechend geladen, weil sich jeder verschaukelt vorkam. Ich war dann regelmäßig mit im Streikzelt und mit Beginn des Streiks
anwesend.

Alice:
Das Nürnberger Sozialforum hat den Boykott eine Woche vor Streikbeginn angefangen. Hast du davon etwas mitbekommen?

Tim:
Den Boykottaufruf habe ich auf jeden Fall mitbekommen. Jeder, der betrof­fen war, der musste gar nicht erst extra aufgefordert werden. Es lag in der Natur der Sache, dass man keine Artikel von einer Firma kauft, die einen auf die Straße befördert hat. Aber der Boykottaufruf allgemein war wichtig für diejenigen, die nicht direkt betroffen waren. Er hat so auch ganz Deutsch­land erfasst und auch das Ausland erfasst. Firmen oder Konzernen, die so mit Menschen umgehen, denen sollte man nicht noch den Gefallen tun und deren Produkte kaufen. Das hat bis heute Bestand. Das ist für mich glasklar. Von denen kaufe ich nichts mehr.

Alice:
Streikzelt war das Stichwort. Die IG Metall hat ja einen Streik für einen Sozialtarifvertrag gemacht. Da ging es dann richtig los mit Streikzelt und so. Wie hast du den Streik erlebt?

Tim:
Für mich war das eine komplett neue Erfahrung, weil ich so in der Form Streiks noch nie so hautnah miterlebt habe. Ich habe mal den Grundig­-Streik miterlebt, aber auch nur durchs Vorbeifahren, als Grundig pleite gegangen ist. Persönlich beim Streik, bei der Entwicklung und der gesamten Durchführung dabei zu sein, war für mich völlig neu. Ich bin beinahe täglich hingegangen. Ich habe mich erstmal sehr gerne mit der Belegschaft unterhalten. Da haben ganz tolle Gespräche stattgefunden. Die Leute waren am verzweifeln. Es hat ganze Familien zerstört, weil oft nicht nur eine Person aus der Familie bei AEG beschäftigt waren, sondern teilweise schon ganze Generationen. Die Großeltern, über den Vater und jetzt die Kinder haben da gearbeitet. Wenn mehrere Familienmitglieder in einer Firma arbeiten, die geschlossen oder verlagert wird, ist das ein ganz massiver Einbruch. Leute die hier zu Hause sind, die hier wohnen und sich kleine Häuschen gebaut haben oder auch Miete zu bezahlen hatten, die stehen dann plötzlich vor dem Nichts. In die Richtung sind dann eben die Gespräche gegangen. Ganz, ganz viel Ratlosigkeit herrschte. Was soll jetzt aus mir werden oder was soll aus uns werden? Es hat unendlich viele Fragen gegeben. Zum Teil war ich selber ratlos, wenn mir Leute erzählt haben: Wir haben eine Eigentumswohnung mit 130 qm. Dürfen wir die behalten? Wird die uns jetzt weggenommen, werden wir sozusagen zwangsenteignet? Was bleibt uns überhaupt noch?

Alice:
Nach dem Rummel zum Auftakt fing ja die Streikroutine an. Wie war die Streikorganisation, wie hast du die ersten ein, zwei Wochen erlebt?

Tim:
Ich fand das eigentlich schon beeindruckend. Man hat die Situation erleben müssen. Es hat gebrannt in Nürnberg, in jeder Beziehung. Also den Streik, die Situation konnte man spüren, riechen, richtig wahrnehmen, weil egal, ob man in einer Nürnberger U­Bahn oder Straßenbahn gesessen hat, durch die Qualmwolken von den Feuertonnen, wenn man stundenlang drangestanden hat in ungünstiger Windrichtung, hat man leicht angekokelt gerochen. Man hat gestunken, man hat seine Kleidung nächtelang, tagelang auf den Balkon hängen können, man hat diesen beißenden Qualmgeruch nicht raus bekom­men. Also die Luft hat gebrannt in Nürnberg in jeder Beziehung.

Alice:
Man hat die AEG­ler in der U-­Bahn gerochen?

Tim:
Man hat sie auch erkannt, weil die Feuertonnen ja auch einen Funkenflug ge­geben haben, und wenn jemand vor einem gelaufen ist, so zehn bis zwanzig kleine Brandlöcher in seiner Jacke hatte, der war entweder solidarisch mit AEG oder war ein Mitarbeiter von AEG. Es war schweinekalt. Alles was der Schrank hergeben hat an Unterwäsche, Skiunterhosen und Motorradkluft und so kam zum Einsatz. Also Hauptsache man war wind­und wasserdicht ver­packt. Alles andere war zwecklos. Drei Schichten Socken übereinander und dicke Winterstiefel. Was mich persönlich auch noch beeindruckt hat zum Streikbeginn, dass unglaubliche Solidaritätsaktionen in Nürnberg stattgefun­den haben. Wenn man sonst den Franken so unterstellt, sie wären ein bisschen mumpflert und na ja nicht so gesprächig und eher maulfaul, die Meinung muss ich revidieren, es hat sich das Gegenteil gezeigt. Jeder, der an den Solidaritäts­aktionen teilgenommen hat, also diverse Nürnberger Gruppen, Sozialforum, Montagsdemo, die linken Gruppen sind Klinken putzen gegangen und haben gesammelt für die AEG­Belegschaft. Die Spendenbereitschaft war unheimlich groß. Arztpraxen haben zehn bis 20 € gegeben. Und bei Privatpersonen, wenn man da vor der Tür gestanden hat, ist man nicht angemault worden, sondern hat gehört: Selbstverständlich, warten Sie einen Moment, ich hol mal meinen Geldbeutel. Die Leute sind alle ins Laufen geraten. Was ich dann auch ganz toll fand, das waren die Lieferungen von Nürnberger Metzgereien, Bäckereien,
Supermärkten, die die Streikenden mit Lebensmitteln versorgt haben.

Alice:
Wie haben die AEG­KollegInnen die Situation und diese ganze Solidarität er­lebt?

Tim:
Die waren sehr, sehr beeindruckt. Sie hatten es nicht für möglich gehalten, dass so eine große Anteilnahme stattfindet. Sie waren von zornig bis aggressiv. Es hat auch mal lautere Töne gegeben, weil einfach jemand über die Konzern­
spitze geschimpft hat. Die Leute haben sich einfach Luft gemacht. Wenn ich genauer drüber nachdenke, so hat es verschiedene Phasen gegeben. Die erste Phase war der Streikbeginn. Ich würde mal sagen: Die Leute waren aggres­siv und geladen, verständlich. Am Anfang war geladene Stimmung. Das hat sich dann verändert, als es sich in den Köpfen so ein bisschen gesetzt hatte, in was für eine Situation die AEG­Mitarbeiter jetzt kommen, kam so etwas wie, wie nennt man das jetzt, Resignation, Trauer ­ja, je nach Charakter war es unterschiedlich ­bis hin zu Verzweiflung auf. Dann ist auch ganz klar: Bei soviel Wochen, also sechs Wochen, ist auch so ein bisschen Routine einge­kehrt. Dann kamen mit den Wochen auch die Themen auf: Wo kann ich mich bewerben, wo komme ich unter, welche Firmen suchen überhaupt noch Leute? Dann war eigentlich eine breite Resignation zu spüren.

Alice:
Hattest du das Gefühl, das es in der Stimmung Veränderungen gab?

Tim:
Das war abhängig von der jeweiligen Situation, was die Gewerkschaft unternommen hat. Dann war eine Zeit dabei, in der sich Politiker die Klinke in die Hand gegeben haben. Lafontaine, Müntefering und andere waren da, was von der Belegschaft als heuchlerisch empfunden wurde, weil bloß Phrasen gedro­schen wurden. Das hat aber an der Situation insgesamt gar nichts geändert, was natürlich die Stimmung wieder hochgeputscht hat.

Alice:
Kannst du über den »Aktionstag Weiße Ware« etwas erzählen?

Tim:
Da bin ich auch mitmarschiert. Es gab deutschlandweite Solidarität. Es sind viele aus Norddeutschland gekommen. Es war KollegInnen einer Zulieferfirma dabei, die ihre Solidarität mit erklärt hat, ACC aus Oldenburg. Beschäftigte von Miele und Bosch­Siemens waren auch da. Das hat mich sehr beeindruckt.

Alice:
Die Gewerkschaft hat ja an diesem Aktionstag das Motto „AEG ist Deutsch­land“ ausgegeben und T-­Shirts und Plakate damit verteilt. Wie haben das die KollegInnen gesehen?

Tim:
Die Aussage »AEG ist Deutschland« ist negativ aufgenommen worden, weil zur gleichen Zeit am 14. Februar in Straßburg die Bolkestein­Demo statt­gefunden hat und da auch ein oder zwei Busse aus Nürnberg gestartet sind.
Alle AEG-­Mitarbeiter haben dieses rote T-­Shirt getragen haben mit »AEG ist Deutschland«. Der Slogan war nicht gut gewählt.

Alice:
Haben die KollegInnen das auch so gesehen oder ist das jetzt deine Meinung?

Tim:
Das war die Meinung der KollegInnen und vieler anderer auch, die die Aktion beobachtet haben.

Alice:
Warum kam das nicht gut an? Es sollte ja auf die damalige Kampagne »Du bist Deutschland« anspielen.

Tim:
Ja, aber das ist ein alter Nazispruch und ist eigentlich damit assoziiert worden. Deswegen ist es nicht gut bei den Leuten angekommen und schon gar nicht, wenn man auf eine internationale Demo nach Straßburg fährt, mit diesem Slogan durch die Stadt zu laufen, wo weltweit die Kameras drauf gerichtet sind, das war eine unkluge Entscheidung. Das war ein peinlicher Auftritt der Deutschen in Straßburg. Es gab verschiedene Aktionen von der IG Metall, die ich persönlich nicht für gut empfunden habe. Nicht nur, dass die Belegschaft von Electrolux verkauft worden ist. Ich fand zum Beispiel die Aktion von der IG Metall nicht in Ordnung, als die Werkstore in der Muggenhofer Straße ge­schlossen waren und der Betrieb ja rund rum bestreikt wurde, man dann aber auf der anderen Seite den Hafen hinten offen gelassen hat. Da wurde waggon­weise die Ware vertrieben. Die Situation fand ich inkonsequent.

Alice:
Wurde das bei den KollegInnen diskutiert?

Tim:
Kaum. Zur der Zeit, in der ich anwesend war, habe ich da wenig mitgekriegt, weil es ja eine geheime Aktion war und nicht an die Öffentlichkeit gebracht werden sollte. Die es dann mitgekriegt haben mit dem Streikbruch, die waren sehr erbost, weil das eine inkonsequente Haltung war zum Streik. Dadurch ist letztendlich der Streik der Logistik im Hafen ins Leere gelaufen. Was der IG Metall dann natürlich auch ein Dorn im Auge war, das waren die diversen Flugblätter der Linken, die über solche Aktionen geschrieben haben. Ich habe oft genug im Streikzelt gesessen und konnte beobachten, wie IG Metall nahe Personen die Handys gezückt haben. Sie haben einen Anruf gestartet, und daraufhin kamen ein Herr Wechsler oder Herr Dix und sind durchs Zelt ge­saust, haben rechts und links die Tische abgelaufen und sämtliche Druckwer­ke wieder eingesammelt und in die Feuertonnen geschmissen. Die Flyer, die unmittelbar vorher verteilt worden sind, sind innerhalb kürzester Zeit wieder eingesammelt worden.

Alice:
Was waren das für Flyer? Von welchen Gruppen?

Tim:
Das war der Muggenhofer Druck, die MLPD Betriebszeitung, denen auch teil­weise der Zutritt zum Zelt verwehrt wurde. Viele Flugblätter von linken Grup­pen und Parteien, brisante Flyer, waren unerwünscht und sind nach einem Anruf sofort in die Feuertonnen gewandert. Mit der Zeit konnte ich dann so zuordnen, wer zu wem gehört. Weil die Leu­te alle so deprimiert ausgesehen haben, hat man die AEG­ler an ihren roten Tüten erkannt. Selbst wenn sie die Streikwesten nicht an hatten, sah man das dann mindestens an den Gesichtern. Was aufgefallen ist, und das konnte ich anfangs noch nicht zuordnen: Es gab eine Person, die hatte immer ein Lächeln im Gesicht. Also egal, wann ich den Mann gesehen habe. Er hat immer gelä­chelt. Ich konnte ihn nicht zuordnen und dachte immer: Es ist ein hochrangi­ger AEG­Mitarbeiter, der sich um seinen Posten keine Sorgen machen muss. Aber dann irgendwann mal habe ich mitbekommen, dass es der Chef von der GPQ ist.

Alice:
Der Heribert Hansel?

Tim:
Ja. Der hatte natürlich allen Grund zum Lächeln. Der hat sich schon die Hän­de gerieben. Ich habe ihn bloß beobachtet und dachte: Was bist du für einer?

Alice:
Die Politiker wurden ja als heuchlerisch empfunden. Aber wie hast du das Verhältnis der KollegInnen zur IG Metall erlebt? Geredet haben ja immer die Funktionäre, Wechsler, Dix. Wie kam das bei den KollegInnen an?

Tim:
Zu Streikbeginn waren die Kollegen von der IG Metall sehr angetan, standen ihr positiv gegenüber. Aber nachdem so ein paar Sachen wie der offene Ha­fen aufgetaucht sind, oder an einem Abend eine geheime Versammlung der IG Metall in München stattfand, die nicht öffentlich werden durfte, mit Otto Wiesheu und Neugebauer, da war die Belegschaft verunsichert, was ich aus den Erzählungen so mitgekriegt habe. Manchmal war es auch empfehlenswert, einfach bloß im Streikzelt zu sitzen, ruhig zu sein und den Gesprächen zuzu­hören. Wie die Kollegen sich da so unterhalten haben, also da ist Misstrauen entstanden gegenüber der IG Metall. 

Alice:
Hatten die Aktivitäten und Flyer der linken Gruppen irgendeine Wirkung bei den KollegInnen?

Tim:
Es hatte eine aufklärerische Wirkung auf jeden Fall, weil da natürlich Sachen übermittelt worden sind, die die IG Metall niemals verbreiten oder kundtun würde. Da ist die Belegschaft schon hellhörig geworden. Da fällt mir zum Bei­spiel die eine Aktion im IBIS Hotel ein. Das war auch eine nicht öffentlich bekannt gewordene Aktion, oder zumindest sollte die Belegschaft nichts über diese Verhandlung mitkriegen. Da waren Leute mit einem Transparent »Nein zum faulen Kompromiss«. Die Flyer und Aktionen der linken Gruppen haben der IG Metall überhaupt nicht gepasst.

Alice:
Die Optik ums Werk war ja sehr bunt durch die Graffities, die vielen Transpa­rente der linken Gruppen oder auch die Unterschriften für den Boykott, die das Sozialforum quer durchs Streikzelt aufgehängt hat. Am Schluss sah das ja fast schon aus, wie ein Camp von G8­Gegnern. Hat diese Optik für die Kolle­gen irgendeine Rolle gespielt?

Tim:
Man muss das im Gesamtbild sehen. Ob das jetzt die Lebensmittellieferun­gen waren, Holzlieferung, dann die ganzen Solitransparente, also das hat den Streikenden denke ich mal auch ein Stück weit Kraft gegeben. Sie hatten glau­be ich nicht das Gefühl alleine zu sein. Die Situation ist von Nürnbergern oder Mittelfranken aus ganz intensiv beobachtet worden. Und da waren die Trans­parente nicht unbedeutend. Nur hat sich die IG Metall die Freiheit genommen,
unerwünschte Transparente zu entfernen.

Alice:
Ende Februar hat der Streik ja schon lange gedauert. Hat sich die Stimmung da verändert?

Tim:
Je länger der Streik dauerte, umso mehr wurde die Situation mit Hartz IV be­wusst. Die Abfindung war dann ein Thema. Da gab es eine Altersgrenze, und da war ganz miserable Stimmung, weil viele da nicht drunter fielen und Leute sofort dagegen klagen wollten. Was ich so mitbekommen habe, standen gar nicht die Abschlussverhandlungen im Vordergrund. Was ich so mitgekriegt habe, haben die Leute gerechnet: Was mache ich mit 345 € ? Wie soll ich künf­tig existieren, was mache ich mit meinem Ersparten, das ich jetzt habe?

Alice:
Auf der anderen Seite gab es Ende Februar ja auch die Parole: »Wir streiken bis zum Sommer«. Wie passt das zu der Stimmung, die du gerade beschreiben hast?

Tim:
Ich muss gerade schmunzeln, weil ich an die Kollegin denken muss, die gesagt hat: Jetzt macht das Streiken gerade richtig Spaß. Also die Leute hatten einen enormen Kampfgeist. Es kam immer darauf an, wie das familiäre Umfeld ist. Aber ich hatte so den Eindruck: Die die nicht allzu viel zu verlieren hatten, die haben dem ganzen enormen Auftrieb gegeben. Also die waren wesentlich kampfbereiter. Die anderen waren eher in ängstlicher Zurückhaltung.

Alice:
Wie hat sich das verteilt zwischen Leuten die gesagt haben: Jetzt macht es erst richtig Spaß, wir ziehen das Ding durch, egal was dabei rumkommt und den eher Ängstlichen, die sich zurückhielten. Wieviel waren das?

Tim:
Ich wage mal zu behaupten, das es die Hälfte etwa war der Belegschaft. Mir sind am kämpferischsten die ausländischen Mitarbeiter aufgefallen. Also da war richtig Biss dahinter. Die, die in der ängstlichen Phase waren, sagen wir mal logischerweise schon Existenzängste hatten, die haben sich ziemlich aus dem ganzen Geschehen rausgehalten, die waren sowieso krank geschrieben. Die sich kämpferisch gezeigt haben und hoch motiviert waren, die haben so­wieso die Streikschichten übernommen, und die würden wahrscheinlich heute noch streiken. Der Kampfgeist hat bei denen überwogen. Die haben sich viel­leicht auch gesagt: Ich bleibe hier an der Feuertonne bis zum Sommer oder bis sie mich hier wegtragen, wenn ihr was von mir wollt. Je mehr es dann zu Ende zugegangen ist, umso mehr hat es sich dann bei den Aktiven nochmal gestei­gert, mit jeder Unwahrheit.

Alice:
Hatte der Kern der Streikaktiven ein Gespür für die Geheimverhandlungen? Du hast von Unwahrheiten gesprochen.

Tim:
Die Leute waren natürlich über sensibel. Da waren alle Fühler auf Empfang ausgestreckt. Man hat es eigentlich am deutlichsten gespürt in der Nacht vom 6. auf den 7. März, als die Umfrage rumging, dass wieder weitergearbeitet wer­den
soll. Da ist abgestimmt worden, ob wieder gearbeitet oder weiter gestreikt wird.

Alice:
Die Urabstimmung war ja eine Woche nachdem in Geheimverhandlungen der Streikabbruch vereinbart wurde.

Tim:
Da war Schluss, Aus, Ende. Da ist es noch einmal richtig rund gegangen. Das hat die Stimmung noch einmal enorm gesteigert. Also da ist sehr viel disku­tiert worden, denn an die Korrektheit der Abstimmung, was ich so mitgekriegt habe, hat keiner geglaubt. Es ist in Frage gestellt worden, wer die Urabstim­mung ausgezählt hat. Für ausländische Mitbürger sind die Urabstimmungs­zettel nicht mehrsprachig gewesen. Es ist auf dem Ausdruck schon in einem Kästchen vorgegeben gewesen, was man anzukreuzen hat. Also das hat schon eine Spur Sarkasmus an sich. Da hat die Luft noch mal gebrannt.
Was ich bei den ganzen Abstimmungen nicht korrekt finde, nicht begriffen habe und auch bis heute nicht begreifen konnte, ist, dass man bei der Urab­stimmung für den Streik 75% der Stimmen brauchte und für das Streikende aber nur 25%. Das geht nach meinem Demokratieverständnis nicht in meinen Kopf rein.

Alice:
Wie hast du die letzte Woche erlebt. Du hast ja gesagt, dass der Kampfgeist sich bei den Aktiven nochmal gesteigert hat. Man kann ja nun die Frage stel­len: Wenn der Kampfgeist so groß war, warum wurde dann nicht weiter ge­kämpft?

Tim:
Die Überlegung war, dass die Abfindung verloren geht, wenn weiter gestreikt würde. Im Endeffekt war das nichts anderes als eine Erpressung. Die Kollegen sind sich dann gegenseitig in den Rücken gefallen und zwar diejenigen, die hätten weiterkämpfen wollen gegen diejenigen, die gesagt haben, ich werde sowieso entlassen und nehme die Abfindung mit. Die Solidarität der Streikzeit war da abrupt beendet als die Leute sich untereinander bekriegt haben und sich so quasi als Verräter oder Spalter hingestellt haben.
Noch erwähnenswert ist, dass einen Tag vor der Urabstimmung im Streik­zelt ein Karton mit weißen Buttons stand, auf denen der Streikbeginn und das Streikende aufgedruckt war. Offensichtlicher geht es ja gar nicht. Diese Urabstimmung war einfach nur gefaked. Es hat eine gezielte Manipulation stattgefunden. Die Belegschaft ist gezielt verunsichert worden, durch solche Äußerungen wie: Du verlierst deine Abfindung, wenn du nicht aufhörst mit dem Streik. Selbst von Harald Dix kamen solche Äußerungen. Mit der Beleg­schaft ist, jetzt so im nachhinein betrachtet, gespielt worden. Erst ist sie hoch geputscht worden, nach dem Motto »Ihr habt zu machen was ich will oder was wir wollen« und dann ist, als der Kampfgeist noch existiert hat, den Leuten sozusagen der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Das war wie ein
Schlag ins Genick. Bis hier hin und nicht weiter.

Alice:
Wie hast du persönlich das Streikende erlebt?

Tim:
Ich war frühmorgens um 6 Uhr am Streikzelt, und habe erlebt, wie Harald Dix die Streikmauer einschlägt. Das ganze war noch einmal so auf Dramatik aus­gerichtet, medienfreundlich natürlich. Jedenfalls hat die Belegschaft wieder
angefangen zu arbeiten. Ich habe mich ins Streikzelt gesetzt. Das war jetzt leer. Nur eine Gruppe Presseleute saß da.

(0) Kommentare