Wie können Massenentlassungen und Werksschließungen verhindert werden?
Zunächst hat die Referentin von Netzwerk IT einige Passagen aus dem AEG-Buch vorgelesen, um die damalige Stimmung in der Stadt während des Streikes in Erinnerung zu rufen. Im Anschluss werden bestimmte gemeinsame Merkmale und Erfahrungen aus verschiedenen Streikkämpfen gegen Werksschließungen dargestellt. Das Vorhandensein von oppositionellen Betriebsgruppen und einer Kampferfahrung der Belegschaft, die Entwicklung einer breiten Solidarität in der Region und darüber hinaus, eigenständige Aktionen der KollegInnen, die über den vorgegeben Rahmen von Sozialplanverhandlungen hinausgehen, die Frage wer verhandelt und ob die Verhandlungskommission wirksam von der Belegschaft kontrolliert wird, sind einige der Punkte, die den Verlauf und Ausgang der dargestellten Kämpfe bei Opel Bochum, AEG Nürnberg, Nokia Bochum, BSH Berlin und in der Officina in Bellizona geprägt haben.
Im Anschluss an den 30-minütigen Vortrag entsteht eine lebhafte Debatte mit mehreren Diskussionssträngen. Ein junger Kollege stellt konkrete Fragen zu seiner betrieblichen Situation. Er versucht gerade einen aktiven Vertrauenskörper aufzubauen und stößt dabei auch auf Schwierigkeiten mit dem Gewerkschaftsapparat. Die Erfahrungen der anwesendten Gewerkschaftslinken über innergewerkschaftliche Repression wie z.B. Gewerkschaftsausschlüsse und Amtsenthebungsverfahren gegen oppositionelle Vertrauensleute werden berichtet. Schnell stellt sich heraus, dass der Ausgang solcher Auseinandersetzungen maßgeblich davon abhängt, ob es einem gelingt, eine starke innerbetriebliche Oppositionsgruppe aufzubauen oder nicht.
Der erfolgreiche Kampf der Officina in Bellizona, wo mit einem wilden Streik und einer Betriebsbesetzung eine Werksschließung verhindert werden konnte, wirft die Frage auf, wie man als Einzelbetrieb erfolgreich gegen internationale Konzerne kämpfen kann. Die Aktionform wie z.B. Betriebsbesetzungen kann dabei allein nicht entscheidend sein. Wenn die Gewerkschaften Betriebsbesetzungen kontrollieren, wird das Ergebnis auch nicht anders sein als bei der herkömmlichen Aktionsform des Streikes. Bei angedrohten Verlagerungen und bei langfristig vorbereiteten Werksschließungen läuft das ökonomische Druckmittel des Streiks oft ins Leere. Die genannten Beispiele belegen, dass eine Politisierung des Streiks und die Entwicklung einer überregionalen Solidarität in solchen Fällen entscheidend ist, um überhaupt Druck aufzubauen. Wie das Negativbeispiel Nokia in Bochum gezeigt hat, ist so etwas aber ohne einen sichtbaren Widerstand der Betroffenen so gut wie ausgeschlossen. Um einen solchen Bezugspunkt für eine Solidarität zu schaffen, muss eine Belegschaft den vorgegebenen Rahmen der Gewerkschaftslegalität verlassen. Handzahme Proteste und Tarifstreiks für Abfindungen werden niemand beeindrucken. Ein Kollege von BSH weist auf das Problem der fehlenden Kampferfahrung in Deutschland hin. Wenn er seinen Bekannten in der Türkei und Kurdistan erzählt, dass in Deutschland ArbeiterInnen fürs Streikenam Monatsende aus der Gewerkschaftskasse bezahlt werden, wird das angesichts der dortigen Verhältnisse nicht verstanden. "Streiken mit Versicherungsmentalität" wirft aber noch ein anderes Problem auf. Denn auch hier gilt: "Wer bezahlt, bestimmt auch das Ergebnis."
Ein anderer Diskussionsstrang dreht sich um die Frage, wie man die vorhandenen Spaltungen in einer Belegschaft überwinden und während eines Kampfes eine möglichst große Einheit unter den KollegInnen herstellen kann.
Für Kenner der politischen Positionen des an diesem Abend vertretenen Spektrums von Gewerkschaftslinken ist die größte Überraschung, wie weit `links' sich einige Gruppen in der Diskussion positionieren. Niemand verteidigt offensiv die Gewerkschaftsfunktionäre, die Notwendigkeit des Aufbaus von Parallelstrukturen, eigenständigen Betriebsgruppen und einer kämpferischen Opposition gegenüber den "Gewerkschaftsbonzen" wird bei allen sonst vorhandenen Unterschieden in den politischen Ansichten und Konzepten von vielen Anwesenden betont. Selbstkritisch werfen mehrere RednerInnen ein, dass wir uns in der Vergangenheit viel zu sehr an der Gewerkschaft abgearbeitet hätten. Jetzt in der Krise sei es noch notwendiger als früher mit der Sozialpartnerschaft der Gewerkschaftsfunktionäre zu brechen und Strukturen für eine klassenkämpferische Opposition zu entwickeln.
Bleibt nur zu hoffen, dass den radikalen Worten einiger Personen aus der Gewerkschaftslinken, dann auch entsprechende Taten in den Betrieben und den Gewerkschaften folgen werden. Auf jeden Fall war es eine spannende Diskussion, die im zweiten Teil des Abends mit einigen konkreten Verabredungen zur betrieblichen Mobilisierung von unten für die Demo gegen die Krise am 28. März einen praktischen Abschluss gefunden hat.