Redebeitrag des Revolutionären Aufbaus Schweiz
Ich ergänze XY's Beitrag noch aus einer spezifischen Sicht als revolutionäre Organisation. Wir – der Revolutionäre Aufbau Schweiz – sind Teil des Netzwerks für eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung. Dieses Netzwerk ist aus der Initiative des Streikkomitees entstanden und hat sich soweit konstituiert. Genauer gesagt, werde ich jetzt weniger ergänzen, als gewisse Gewichtungen nochmal betonen. Und dies – das ist uns wichtig – mit einem Blick auf uns selber, nämlich als Linke.
Generell gibt es in der Linken einen starken Fokus auf die Frage, wie ein Streik geführt werden muss, und was dazu nötig ist. Dabei besteht aber die Gefahr, dass man den Fokus zu stark auf dieses taktische, sichtbare Moment reduziert, sozusagen auf den Putsch. Das hat auch mit unserem Standpunkt, also uns als BetrachterInnen zu tun, deshalb will ich kurz darauf eingehen. Auch, weil ich denke, dass die meisten hier sich zuerst einmal als linke AktivistInnen verstehen, welche sich als solche für den Betriebskampf interessieren.
Als Linke stehen wir erst einmal außerhalb eines Betriebs, soweit wir nicht selber an unserem Arbeitsplatz einen Konflikt haben. Das muss uns bewusst sein, weil wir damit auch nur einen begrenzten Einblick über die Situation in einem Betrieb haben. Wir sehen die Sachen erst, wenn sie öffentlich gegen außen treten, zum Beispiel, wenn gestreikt wird. Und wir beginnen mit der Analyse dann auch oft dort, also beim Streik und gehen dann zeitlich zurück und schauen, was die verschiedenen Faktoren und Bedingungen sind, welche dazu geführt haben. Und auch da bleibt uns vieles verborgen. Wichtig ist das, weil das – so denke ich – ein starkes Gewicht auf taktische Fragen wirft. Also eigentlich viele Sachen, die entweder zufällig erscheinen oder die vom Geschick der Streikleitung abhängen. Aber diese ganzen taktischen Fragen, oder sagen wir, der Streik der an dem Tag X passiert, hat ja ein Grundlage, eine Basis, welche als Fundament dient. Das Ganze spielt sich ja auf einem Terrain ab, wo es latente Kräfteverhältnisse gibt. XY hebt zwar heraus, wie schnell sich Kräfteverhältnisse sprunghaft verändern können. Ich würde das eher so ausdrücken, dass latente Kräfteverhältnisse in gewissen Momenten realisiert werden oder zum „Ausdruck“ kommen. Dazu gehört natürlich das taktische Geschick im Moment (den Chef nicht zu Worte kommen lassen/die schnelle Besetzung/auch rhetorische Fähigkeiten/der arrogante Chef usw.), aber es gehört eben auch die langwierige Vorarbeit, welche sozusagen das Terrain „strategisch“ vorbereitet. Das hat XY. anhand des Kerns der „Giu le mani“ geschildert.
Weshalb diese Ausführung? Ich will betonen, dass – bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, wie ein Streik taktisch zu führen ist – überhaupt einmal ein Terrain dafür geschaffen werden muss. Unser Augenmerk sollte darin liegen, wie solche entschlossene Kerne in Betrieben entstehen, wie schon im Kleinen, oder im Arbeitsalltag Gegenmacht Schritt für Schritt und manchmal sprunghaft aufgebaut werden kann.
Was wird damit weiter impliziert? Es geht um Kräfteverhältnisse, nicht nur um einzelne Erscheinungen, wie der Streik. Wie die Revolution, so muss auch die sozusagen „kleine Revolution: Streik“ als gesamter Prozess der Aufbaus von Gegenmacht verstanden werden. Es geht also nicht nur um den „Putsch“, sondern um den ganzen Prozess, mit allen seinen Phasen von Rück- und Fortschritten. Der Streik ist also nur ein Teil des ganzen. Und unter diesem Blickwinkel stellt sich nämlich die Frage nach Erfolg oder Niederlage eines Streiks nochmals anders. Wir müssen fragen, wie sich ein Streik für die ArbeiterInnenbewegung oder im kleineren Rahmen für die Beteiligten auswirkt. Also auch wenn ein Streik nicht die Maximal-Ziele erreicht, kann er ein Erfolg sein. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn die Streikfront nicht bröckelt, wenn es einen „geordneten Rückzug“ gibt, wenn alle Entscheidungen kollektiv von den Belegschaften selbst gefällt wurden. Oder wenn die Gegenmacht im Arbeitsalltag weitergezogen werden kann. Es geht also letztlich um die Interpretation des Kampfzyklus: Ist sie demoralisierend oder aufbauend?
Das Wunder von Bellinzona ist also vor allem, dass in der Streikleitung dieses Verständnis omnipräsent war. Auch wenn sie sich nicht hätten voll durchsetzen können, hätten sie gewonnen. Und im langjährigen Kampf dieses Kerns „Giu le mani“ gab es ja auch diese Rückschläge, die aber eben den Kern weitergebracht haben. Weil dieses Verständnis da ist, kommen die Leute gestärkt aus dem Streik, kann der Streik als Ausgangspunkt für weitere Projekte dienen. So initiierte das Streikkomitee ein Netzwerk „für eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung“ und eine Frauengruppe entstand aus dem Streik, welche die Erfahrung über ein Theater verarbeitete, und jetzt in Zusammenarbeit mit unserer Frauenstruktur auch zu Themen wie „prekäre Arbeit“ oder „Internationaler Frauenkampftag“ politisch angeht.
Zentral erscheint uns also die Frage, wie sich solche Kerne aufbauen, wie sie in Betrieben agieren und mit welchem Verständnis sie an den Arbeitskonflikt gehen. Letzteres meint, dass wir denken, es braucht als Grundlage das Verständnis, dass es immer um antagonistische Interessen zwischen der Belegschaft und dem Unternehmer geht. Erst unter diesem Blickwinkel ist die so wichtige strategische Herangehensweise möglich und somit der schrittweisen Aufbau von Gegenmacht.
In nächster Zeit wird jedoch das Problem wohl sein, dass die Angriffe von oben die Belegschaften unvorbereitet trifft. Diese lange Aufbauphase, welche bei Giu le mani möglich war, müsste also in sehr kurzer Zeit passieren. Auf der anderen Seite wächst das Bewusstsein gerade in der Konfrontation. Vielleicht kommt hier der Linken außerhalb des Betriebes wieder eine besondere Rolle zu, weil sie die häufiger werdenden Konfrontationen in die Öffentlichkeit tragen kann und Verbindungen zwischen verschiedenen Arbeitskämpfen herstellen kann.