Anatomie eines Arbeitskampfes
von Peter Nowak03/09
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onlinezeitungWarum bringt ihr Anfang 2009 ein Buch über einen Arbeitskampf heraus, der vor fast zwei Jahren zu Ende gegangen ist? Diese Frage wird den Druckwächtern häufig gestellt. So nennt sich der Herausgeberkreis des ausführlichen Rückblicks über den Streik bei AEG/Elecotrolux. Druckwächter dienen in Waschmaschinen, die ein wichtiges Produkt im bestreikten Werk war, als Regulatoren. Bei AEG-Siemens war der Name einer Betriebsgruppe, die unabhängig von der Frage der Gewerkschaftsmitgliedschaft auf eine Selbstorganisierung im Werk setzte.
Während des Arbeitskampfes versorgte die Gruppe die Streikenden mit Informationen, die in den Publikationen der IG-Metall nicht zu lesen waren. Mit der Webseite http://www.netzwerkit.de/ nutzte sie auch das Internet als Kommunikationsplattform. . Mit ihrer Forderung nach dem Erhalt der Fabrik waren die Druckwächter näher an der Stimmung großer Teile der Belegschaft als die Gewerkschaften, die einen sozialverträglichen Sozialplan forderte.
Die Druckwächter schlugen auch von Anfang an den Bogen vom betrieblichen Kampf zu den Aktivitäten der sozialen Bewegungen in Nürnberg und Umgebung, die im Buch zu Wort kommen. Da ist eine Nürnberger Erwerbslosengruppe, die mit der Parole „Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit beginnt in den Betrieben“ mobilisierte. Da war das Nürnberger Sozialforum, das den Boykott von AEG-Produkten propagierte. Die Forderung entwickelte sich zu einer Kampagne, an der sich die unterschiedlichen politischen Spektren beteiligten. Aktivisten der „Organisierten“ Autonomie und der „Radikalen Linken“ aus dem autonomen Spektrum sammelten ebenso Unterschriften unter dem Boykottaufruf wie christliche Streikunterstützer.
Das Buch lässt die unterschiedlichen Sichtweisen der am Streik Beteiligten neben einander stehen. Das hat einerseits den Vorteile auch den unterschiedlichen Informationsstand der AkteuerInnen zu erfahren. So berichtet ein Vertreter des Nürnberger Sozialforums über die Auseinandersetzungen mit IG-Metall-Sekretären über die Platzierung von Transparenten oder der Leine mit den Boykottunterstützern im Streikzelt. Das kämpferische Belegschaftsmitglied Holger nimmt hingegen erfreut wahr, dass die IG-Metall erstmals auch Forderungen von sozialen Gruppen im Streikzelt tolerieren musste. Ein Streikunterstützer beschrieb die Grenzen der Toleranz mit seiner Beobachtung, wie ein IG-Metall-Funktionär kritische Flugblätter höchstpersönlich in die Feuertonne beförderte.
Ist oben-unten-Schema nicht zu einfach?
Der Nachteil ist, dass es keine kritische Auseinandersetzung der vorgetragenen Positionen gibt. So findet sich in vielen Beiträgen die ausgesprochene oder unausgesprochene Vorstellung, dass es vor allem die Gewerkschaftsführung war, die die Streikenden zur Mäßigung angehalten und schließlich verraten hat. Da stellt sich schon die Frage, ob eine solche einfache Oben-Unten-Vorstellung nicht zu einfach ist. Die unterschiedlichen Stellungnahmen zeigen zwar, dass in bestimmten Kampfsituationen eine große Unzufriedenheit, ja sogar Wut auch auf die Streikführung zum Ausdruck kam Doch daneben finden sich dann wieder Äußerungen, die inhaltlich nicht so weit weg von der Mehrheits-Ideologie der IG-Metall ist. Als Beispiel will ich nur auf das Interview des kämpferischen Kollegen Hueseyin verweisen. Im Interview äußert er eine sehr prägnante Kritik an der Streikleitung und doch endet das Interview mit folgenden Statement zur Schließung von AEG: „So eine traditionelle Firma und so ein Ende. Da kann man nur heulen“. Dass heißt auch er, verweist auf die Marke AEG, die jetzt stirbt und nicht auf die Arbeitsbedingungen der KollegInnen. Hier finden sich dann schnell Anknüpfungspunkte für die Ideologie der IG-Metall. Im Buch wird an einer Stelle als Beweis für den häufigen Verrat der Gewerkschaftsführung auch der verlorne Streik für Arbeitszeitverkürzung in Ostdeutschland im Jahr 2003 herangezogen. Aber gerade in diesem Fall kann man wohl kaum davon gesprochen werden, dass die Gewerkschaftsspitze den Kampf abgebrochen hat. Vielmehr wurde der Kampf um Arbeitszeitverkürzung eher von der Gewerkschaft als von der Basis getragen. Dort herrschte oft schon zu viel Angst vor Arbeitslosigkeit, um für Arbeitszeitverkürzung zu kämpfen. Es ist also auch das Bewusstsein großer Teile der Klasse der Lohnabhängigen zu betrachten, die sich eben oft nicht besonders von der Gewerkschaftspolitik unterscheiden, auch wenn es in konkreten Arbeitskämpfen Radikalisierungsprozesse gibt.Rolle der KommunstInnen
Der Streikabbruch nach einem von der IG-Metall durch Vermittlung der bayerischen Landesregierung erreichten Kompromiss sorgte bei Teilen der Belegschaft aber auch vielen Unterstützern für Wut und Enttäuschung. Er sah eine sozial verträgliche Abwicklung des Werks vor. Wäre bei einer offensiveren Strategie mehr zu erreichen gewesen? Diese von vielen Interviewpartnern gestellte Frage bleibt offen. Vor allem muss dann auch die Frage beantwortet werden, ob es dazu nicht neben Gewerkschaften auch einer kommunistischer Organisierung bedarf. In dem Kapitel „Workshop zur Strategie und Taktik in wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen am Beispiel der AEG Nürnberg“ wird diese Frage tatsächlich mit Verweis auf Schriften von kommunistischen Gewerkschaftlern aufgeworfen. Leider gibt es zwischen den Thesen dieses Kapitels und den Interviews ansonsten keine Verbindungen. Interessant ist auch die Recherche über die Verbindung der Anti-Antifa mit antigewerkschaftlichen Aktivitäten. Das ging sogar soweit, dass ein Angestellter von UPS im Kampf gegen eine gewerkschaftliche Betriebsliste auf Informationen einer Neonazi-Website zurückgegriffen hat. Hier wird deutlich, dass Neonazis immer auch organisierte Lohnabhängige im Visier. Das wird in der Antifabewegung oft zu wenig berücksichtigt.
Welche Bedingungen inner- und außerhalb des Betriebes können Kämpfe wie bei AEG in Nürnberg zum Erfolg verhelfen? Diese Frage hat die Druckwächter zur Herausgabe des Buches motiviert. Sie steht gerade in Zeiten einer infolge der Krise um sich greifenden Welle von Entlassungen, von Lohnverzicht und Kurzarbeit auf der Tagesordnung. So ist das Buch auch zwei Jahre des Nürnberger Arbeitkampfes sehr aktuell.
Zwei Mitherausgeber werden das Buch am 4. März um 20 Uhr in Berlin im Stadtteilladen Zielona Gora, in der Grünbergerstr. 73 vor- und zur Diskussion stellen
Davor wird es Infos zur Mobilisierung für die Demo am 28.03.09 „Wir zahlen nicht für Eure Krise geben2.
Mehr dazu: www.interkomm.tk
Redaktion Druckwächter (Hg.),
Wir bleiben hier.
Dafür kämpfen wir!
Akteure berichten über den Arbeitskampf bei AEG/Electrolux in Nürnberg 2005-07,
Berlin 2009, Die Buchmacherei,
290 Seiten, 12 Euro, ISBN 978 3-00-026803-3