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Ein Laboratorium wichtiger Erfahrungen - Der Streik bei AEG/Electrolux in Nürnberg 2005-07

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 15.03.2009 12:23
Jochen Gester bespricht für die nächste Ausgabe der SoZ das AEG-Buch. Er hat uns die Langfassung der Rezenssion am 9.3.2009 zur Verfügung gestellt.

Bei der Diskussion um die Herausgabe dieses Buches, an der ich beteiligt war, haben wir uns noch Gedanken gemacht, wie der Arbeitskampf, um den es in diesem Buch geht, einen aktuellen Bezug bekommen kann. Diese Sorge war unbegründet. In den nächsten Monaten werden dutzende von Betrieben vor ähnlichen Problemen stehen wie die AEG-Belegschaft in Nürnberg, die sich in der Zeit von 2005-07 gegen die Schließung des Werkes durch den Electrolux-Konzern zur Wehr setzte. Die boomenden Jahre sind vorbei und der Verlust eines Arbeitsplatzes bedeutete schon damals für die meisten der Betroffenen den sozialen Absturz. Dies erklärt die Sprengkraft und die Verbissenheit, mit der hier gekämpft wurde. Sie überwand mühelos die Betriebsgrenzen und setzte eine ganze Region in Aufruhr. Die üblichen politischen Abgrenzungen und Denkverbote wurden außer Kraft gesetzt. Linksradikale und konservative kleine Geschäftsinhaber fanden sich nebeneinander auf Listen, die zum Boykott der Weißen Ware des Konzerns aufriefen. Eine zentrale Rolle spielte – wie bereits in den vorausgehenden Kämpfen um Werksschließungen – die IG Metall, die hier in einem traditionell gut organisierten Betrieb über Einfluss und Ressourcen verfügte. Doch waren der Vorstand und das von ihm abhängige Personal nicht bereit, dieses Guthaben voll für das Überleben der Belegschaft in die Waagschale zu werfen. Das verzweifelte Festhalten an einer wirkungslos gewordenen sozialpartnerschaftlichen Orientierung und die Angst vor den unkalkulierbaren Folgen eines nur noch politisch begründbaren Streiks, der sich über die Grenzen des Arbeitskampfrechts hinwegsetzt, führten dazu, dass die IG Metall mehr auf den Bremsen stand, als Hebel zu sein, die Kraft der Lohnabhängigen zu entfesseln. Wie dies im Einzelnen funktionierte, zeigt das Buch, das von der Redaktion „Druckwächter“ herausgegeben wurde. Der Name ist Programm. Die Druckwächter, eine Gruppe von AEG-KollegInnen und externen UnterstützerInnen, warfen sich voll ins Zeug, um den Druck auf den Konzern aufrechtzuerhalten und weiter zu erhöhen. Wie die KollegInnen das gemacht haben, und wie sie es geschafft haben, die Auseinandersetzung über die Grenzen des gewerkschaftlich Vorgesehenen zu treiben, ist zentraler Gegenstand des Buchinhalts und sehr lehrreich für alle, die sich diese Aufgabe setzen. Erstes sichtbares Ergebnis war der Beginn einer spontanen Arbeitsniederlegung, die sich so konsolidieren konnte, dass die IG Metall zu einer Urabstimmung über einen gewerkschaftlichen Streik für einen Sozialtarifvertrag getrieben wurde.

Das Buch besteht zu mehr als der Hälfte aus Interviews. Auch dies ist eine Hilfe für die LeserInnen, die sich so ein eigenes Bild von diesem Konflikt und seinen Akteuren machen können. Eine zentrale Figur des basisorientierten Widerstands war Hans Patzelt, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von AEG-Kanis. Hans Patzelt konnte Schlüsselerfahrungen in einem 11monatigen Streik sammeln, bei dem die AEG-Kanis-Belegschaft in den 80er Jahren erfolgreich die schrittweise Abwicklung des Betriebs verhindern konnte. Der langjährig in der IG Metall aktive Kollege betätigt sich als Grenzgänger und Verbinder so unterschiedlicher sozialer und politischer Milieus wie der sozialdemokratisch geprägten deutschen Gewerkschaften und der linksradikalen Szene. Auch nutzte er seine Position wirkungsvoll aus, die Rathausparteien und öffentliche Gremien im Sinne der AEG-Belegschaft so zu instrumentalisieren, dass der politische Spielraum des Streiks erweitert wurde. Obwohl Patzelt bewusst die Strategie der IG Metall unterlief, hält er eine Debatte mit den dort Verantwortlichen immer noch für eine lohnende Aufgabe.

Weiter zur Wort kommen organisierte Erwerbslose, die gewerkschaftliche Verwurzelung mit dem Geist der sozialen Bewegung kombinieren und Mitglieder des Nürnberger Sozialforums, die vor allem eine erfolgreiche Boykottkampagne ins Leben riefen, die das außerbetriebliche Unterstützerpotenzial nutzte und Electrolux einen Einbruch der Bestellungen um 25% brachte. Sehr interessant ist auch das Interview mit AktivistInnen der Organisierten Autonomie, die in Nürnberg eine mobilisierungsfähige Kraft ist. Ihre Reflexionen zur politischen Praxis linksradikaler Organisationen verdienen diskutiert zu werden. Das trifft auch auf ihre Position zu den Gewerkschaften, die sich wohltuend von der doch oft sehr schlichten Verrats-Diskussion abheben. Dass aber die Praxis des IGM-Apparates in diesem Konflikt durchaus mit diesem Etikett belegt werden kann, wird an den Interviews mehrerer Kollegen deutlich. Obwohl erkennbar politisch und sozial unterschiedlich berichten sie übereinstimmend über ihre Beobachtungen darüber, wie die Belegschaft getäuscht und instrumentalisiert wurde. Ob nun allerdings ohne Tricks und Täuschungen die Zustimmung von 81% für das Ergebnis, das von 46 von 50 Mitgliedern der Tarifkommission bestätigt wurde, andersherum hätte ausfallen können, ist allerdings fraglich. Den verantwortlichen IG Metall-Funktionären reichte das. Eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Politik, die auch nicht vor einer chauvinistischen Aufladung des Konflikts mit Slogans wie „AEG ist Deutschland“ zurückschreckte, sucht man hier vergeblich. Eine vom IG Metall- Bezirk Bayern hergestellte Broschüre „Der AEG-Streik in Nürnberg“ feiert im Stil schlechten Marketings den eigenen Erfolg und lässt Bertold Huber im Vorwort erklären, der Streik für einen Sozialtrarifvertrag sei kein Zukunftsmodell. Doch nicht an den Übergang zu einer offenen politischen Auseinandersetzung mit dem repressiven deutschen Arbeitsrecht ist dabei gedacht, sondern daran, zukünftig das Risiko solcher Arbeitskämpfe überhaupt zu vermeiden.

Eine Hilfe für die LeserInnen ist eine umfangreiche Chronologie und der Abdruck des abgeschlossenen Sozialtarifvertrages mit erklärender Kommentierung.

Breiten Raum nimmt am Schluss des Buches ein Workshop ein, bei dem auf den Pfaden von Clausewitz versucht wird, eine alternative Strategie zu entwickeln, mit der es in Zukunft vielleicht möglich sein könnte, den Gegner in die Knie zu zwingen. Neben der zweifellos richtigen Beobachtung, dass eine erfolgreiche betriebliche Arbeit einen Vorlauf von Jahren hat und einen weiten Blick auch auf die außerbetrieblichen Kampfressourcen haben muss, landen die teilnehmenden Akteure jedoch auch bei sehr zweifelhaften Konzepten. So sieht sich die Mehrheit in der Rolle des Generalstabs, der aus der Befürchtung heraus, „Agenten des Feindes“ könnten in eine eigenständige Streikleitung gewählt werden, dagegen ist, diese offen durch die Belegschaft wählen zu lassen. Hier vollzieht sich dann unter der Hand der Übergang zu neo-leninistischen Konzepten, die so ziemlich auf das Gegenteil von dem hinauslaufen, das dem ganzen Buch seinen sympathischen Stempel aufdrückt: die Vorstellung, dass die Menschen selber über ihr Schicksal entscheiden und sich selber in Bewegung setzen müssen.

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