Gegen diese ganze, globalisierte Ökonomie
2003 stellten die KollegInnen des AEG/Elektrolux-Werkes in Nürnberg einen Produktionsrekord auf: Sie montierten nicht weniger als 1,8 Millionen Waschmaschinen, Geschirrspüler und Trockner. Dabei war bereits zu diesem Zeitpunkt die Zahl der insgesamt in den europäischen Elektrolux-Werken Beschäftigten in nur zehn Jahren von etwa 110000 auf 77000 Menschen gesunken. Die »Restrukturierung«, die danach kam, hatte in Nürnberg zur Folge, dass das Werk mit seinen im Jahre 2005 noch 1750 Beschäftigten bis zum Ende März 2007 geschlossen wurde. Dazwischen lag der große Streik, der in dem vorliegenden Sammelband der Redaktion »Druckwächter«1 dokumentiert wird.
Peter Birke setzt mit dieser Rezension unsere
Serie »Teilnehmende Beobachtungen – Neue Literatur über
Arbeitskämpfe« fort.
1
»Druckwächter« waren einerseits Kolleginnen und Kollegen bei AEG,
die der IG Metall gegenüber von vornherein skeptisch eingestellt
waren, andererseits handelt es sich um ein Geräteteil, das in jede
Waschmaschine montiert wird.
Nach der Verkündigung des Schließungsplans traten die KollegInnen zunächst im Dezember 2005 – auch für die IGM überraschend – in einen wilden Streik. Nach Neujahr folgte dann ein wochenlanger, spektakulärer »offizieller« Arbeitskampf, den die Gewerkschaft mal mehr, mal weniger im Griff hatte. Viele Menschen bundesweit hatten damals die Hoffnung auf einen Bruch mit der Standortlogik, und der AEG-Streik wurde zu einem von mehren Symbolen dieser Hoffnung. Die Orientierung der Unternehmensführung am Shareholder-Value-Prinzip machte die Kritik an der Schließung durchaus profitabler Betriebe auch außerhalb der Gewerkschaftslinken damals hoffähig. Zu einer breiten Aufmerksamkeit für die Anliegen der AEG’ler trug vor allem die Solidarisierung in der Stadt bei: Sozialforum und Nürnberger Linke initiierten eine Boykottaktion, die Elektrolux einen Verkaufseinbruch von etwa 25 Prozent bescherte. Die Stimmung war gut, dennoch en-dete der Streik im März 2006 mit dem Schließungsbeschluss. Die IG Metall feierte dabei ihren »Sozialtarifvertrag«, der allerdings nur für eine kleine Minderheit der »Freigesetzten« einen realen Ausgleich für jahrelangen Verdienstausfall bedeutete. Bis zur endgültigen Schließung wurde das Werk dann für seinen hohen Krankenstand, eine demoralisierte Belegschaft und sogar offene Sabotageaktionen berühmt.
Das Buch schildert diese Geschichte sehr kenntnisreich. Es besteht aus 15 Texten, die den Streik größtenteils in Interviewform aus vielen verschiedenen Perspektiven reflektieren, außerdem aus zwei Berichten über zwei Arbeitskämpfe, die im (weiten) Vorfeld des AEG-Streiks stattfanden, Vorgeschichten sowie einer detaillierten Chronologie. Der Text schließt an die ebenfalls sehr guten Dokumentationen einiger lokaler Streiks seit 2005 an.1
Ein politischer Streik
Das Buch ist zugleich mehr als eine Dokumentation eines lokalen Streiks; es ist (leider) sehr aktuell. Hier wird diskutiert, wie die IG Metall das Ziel des Werkserhaltes nach einigen »euphorischen« Streikwochen nach und nach beiseite schob und einen »Sozialtarifvertrag« akzeptierte. Das Resultat der Urabstimmung – eine klare Zustimmung zum Abschluss und damit zur Werksschließung – war einer Mischung aus Vertrauen in die lokale Streikleitung, Intransparenz und Resignation geschuldet. Gleichwohl wurde die IG Metall nach diesem und einigen anderen Arbeitskämpfen gegen Massenentlassungen und Firmenschließungen zögerlich; selbst das reduzierte Ziel, »Sozialtarife« zu erkämpfen, bedeutet aus Sicht der Bürokratie immer auch das Risiko der Verselbstständigung der Streikenden. Trotz aller Rede über das »Organizing« hat der Apparat an einer solchen Verselbständigung kein Interesse. Kein Zufall, dass der Krise derzeit vor allem durch Appelle an Staat und Unternehmer begegnet wird. Auch andere Facetten des AEG-Kampfes erscheinen aktuell, so etwa, wenn man daran denkt, dass die IG Metall während eines »Aktionstages weiße Ware« Tausende von Schildern mit der Aufschrift »AEG ist Deutschland« verteilte. Man denkt an Opel und Arcandor und wünscht sich jene organisierten Erwerbslosen, AktivistInnen des Sozialforums und betrieblichen Vertrauensleuten herbei, die den Slogan bei AEG im Jahre 2006 öffentlich angriffen. Denn »AEG ist Deutschland« war ein Schlag gegen den Versuch, Solidarität zwischen Arbeitenden in einem transnationalen Konzern, der in 60 Ländern produziert, zu schaffen. Auch substanziell stellte die Boykottkampagne gegen Elektrolux eine andere Antwort dar als die damalige und derzeitige Deutschtümelei bei der Rettung von Großbetrieben. Im Buch wird dies durch ein Interview mit italienischen AEG-Kollegen illustriert, das zugleich etwas über die Mittel im Kampf sagt: »Mich erinnert das hier eher an eine Betriebsbesetzung.«
Ein Kapitel in der Geschichte der Betriebsbesetzungen
Betriebsbesetzungen, Blockaden der Werkstore, ein Arbeitskampf, der die ganze Stadt in Atem hält, das alles ist in der bundesdeutschen Streikgeschichte nichts Neues: Von den migrantisch geprägten Kämpfen um 1970 über die Kämpfe gegen Firmenschließungen von Erwitte bis zur Hamburger HDW – immer wieder griffen Belegschaften zu diesem Mittel, immer wieder erschienen die Kämpfe zugleich als ungeheuer spektakulär und neuartig. Das Anliegen der AutorInnen des Buches ist insofern, dieses Mal aus Erfahrungen zu lernen. In diesem Kontext werden die Streikerfahrungen des Hans Patzelt dokumentiert, der bei AEG-Kanis in elf Monaten 24 mal gestreikt hat, ebenso wird von der Zerschlagung des Münchner Infinion-Streiks im Jahre 2005 durch einen polizeilichen Angriff auf die Streikposten berichtet. Während der Bericht zu AEG-Kanis zeigen soll, dass es bei entsprechender Kampfbereitschaft durchaus möglich war, eine Firmenschließung ganz zu verhindern, wird die Erfahrung bei Infineon zur Vorgeschichte gezählt, da insbesondere die IG Metall hier nach Auffassung der AutorInnen gelernt habe, wie das »Drehbuch des AEG-Streiks« auszusehen habe. Dieser Teil des Buches bleibt allerdings sehr anekdotisch und unsystematisch, eine »eigene Geschichte« wird daraus nicht.
Die Personengalerie ist sehr holzschnittartig zusammengesetzt: »die IG Metall«, »der kämpferische Betriebsrat«, »die Kollegen«, allesamt »Akteure«, aber allesamt zugleich ohne Widersprüche und Schatten gezeichnet. Das Beispiel Infineon soll wohl vor allem zeigen, wie die IGM von Anfang an zum »Verrat« tendierte, gelernt werden kann daraus jedoch lediglich, was man schon immer über »die Gewerkschaften« vermutet hat. Im Vergleich etwa zu der bei Assoziation A veröffentlichten Arbeit über den Streik bei Gate Gourmet sind die »Druckwächter« an dieser Stelle zu wenig an Brüchen und Widersprüchen interessiert; damit werden Handlungs- und Lernmöglichkeiten aus meiner Sicht eher verdeckt als eröffnet. Am Ende wird auf dieses Problem zurückzukommen sein.
Mehr Aufschluss geben da die Berichte aus sozialen Bewegungen, die ihre Solidaritätsarbeit als Strategie der Ausdehnung des Streiks über die Fabrikmauern hinaus schildern. So wird nicht nur dargestellt, wie die »AEG ist Deutschland«-Kampagne durch eine Performance, die die Bosse als Urheber der Probleme zeigte, gestört werden konnte. Es wird zudem über Stadtteildemonstrationen und vieles mehr berichtet. Insgesamt ging es der buntscheckigen beteiligten Linken, neben der heute unvermindert aktuellen Forderung nach einem »Streikrecht für Arbeitsplätze«, um nicht weniger als darum, »die ökonomische Frage mit all ihren Verwerfungen« sowie den Protest gegen »die ganze globalisierte Ökonomie« in den Blick zu nehmen, wie es ein Aktivist des Sozialforums formuliert. Das Buch zeigt, wie Kämpfe in der Krise politisiert werden, wobei vorschnelle linke Euphorie hier fehl am Platz ist, denn von »Politisierung« sprach zu dieser Zeit ja auch Stoiber, »politisch« ist auch die Standortlogik, und sogar der dieser Standortlogik immanente Nationalismus ist eine »politische« Setzung. Der AEG-Streik war kein Konflikt um die Frage, ob es um Politik ging, sondern ein Kampf darum, Politik als Klassen- statt als Standortkampf zu verstehen.
Für die Frage schließlich, wie aus defensiven Aktionen ein Bruch mit der kapitalistischen Wirklichkeit werden kann, sind nicht zuletzt Erfahrungen entscheidend, die nur im Inneren der Fabrik gemacht werden können. Sehr interessant ist, wie die betriebliche Gruppe »Druckwächter« Informationen aus dem Betrieb sammelte und über das Netzwerk IT, eine lokal und zum Teil sogar überregional wirksame Internet-Plattform, verbreitete; Informationen über Arbeitsbedingungen und Unruhen, die sonst »diskret« bleiben. Ein Highlight des Buches ist die Darstellung der Vorgeschichte des wilden Streiks im Dezember 2005. Deutlich wird, wie wichtig betriebliche Kollektive sind, die in der entscheidenden Situation eine Alternative zum Zurückweichen der Betriebsräte und der offiziellen Gewerkschaft formulieren können. Der erste, wilde Streik führte der IG Metall das Ausmaß eines möglichen Kontrollverlust vor Augen und zwang sie zum Handeln, das heißt zu einer Mischung aus Integration und Marginalisierung der innerbetrieblichen und überbetrieblichen Bewegung. Erst am Ende des Kampfes, nach der Verabschiedung des »Sozialtarifvertrages«, gelang es der größten deutschen Einzelgewerkschaft schließlich, die linke und migrantische Kritik ganz zu marginalisieren.
Ein offenes Ende
Traurig ist, dass die AutorInnen am Ende den »Streik als Schlacht« propagieren und so die Erkenntnisse, die dieses Buch enthält, durch die vergilbte Brille eines Militaristen wie Clausewitz und eines Stalinisten wie Losowski betrachten. Kollektiver Widerstand gegen Betriebsschließungen wird ebenso wie die Kritik an den Inhalten der Arbeit und der Art der Produkte keine Perspektive haben, wenn die Arbeitenden nur als Schachfiguren auf einem imaginierten Schlachtfeld gehandelt werden. Die selbst ernannten Feldherren – auch in dieser Hinsicht gibt es ja Erfahrungen schon seit den 1960er Jahren – werden schnell den Überblick verlieren. In ihrer Ablehnung der Spontaneität und des Experimentellen sind sie den ansonsten arg kritisierten Bürokraten nicht unähnlich. Heute kommt es nicht darauf an, »Ordnung in die Reihen zu bringen«, sondern zu untersuchen, welche Formen zukünftige soziale Kämpfe annehmen können, einen Weg aus dem Elend der kapitalistischen Gesellschaft zu finden – ausgehend davon, dass es ein heute noch unbekannter Weg ist.
* Peter Birke ist aktiv in der »Gruppe Blauer Montag«, arbeitet an der Universität Hamburg und als freier Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung
In der Serie »Teilnehmende Beobachtungen – Neue Literatur über Arbeitskämpfe« sind bisher erschienen:
- Peter Birke: »Gegen den Strich lesen« – zu Michael Kittner: »Arbeitskampf. Geschichte – Recht – Gegenwart« (express, Nr. 1/2009)
- Peter Nowak: »Internationalismus im Hafenbecken« – zu Udo Achten / Bernt Kamin-Seggewies: »Kraftproben« (express, Nr. 2/2009)
- Wolfgang Völker: »Normalzustand Prekarisierung«, zu Gruppe Blauer Montag (Hg.): »Risse im Putz« (express, Nr. 3/2009)
- Knud Andresen: »Keine Blaupausen« – zu Peter Birke: »Wilde Streiks im Wirtschaftswunder« (express, Nr. 4/2009)
1 Jochen Gester / Willi Hajek (Hg.): »Sechs Tage der Selbstermächtigung. Der Streik bei Opel in Bochum Oktober 2004«, Berlin 2005; Flying Pickets (Hg.): »Auf den Geschmack gekommen. Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet«, Berlin/Hamburg 2007; Jochen Gester et al. (o.J.): »Es geht nicht nur um unsere Haut. Der Streik beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk in Berlin-Spandau«, Berlin