Einführung
Die Stadt hat gebrannt
Ich fand das eigentlich schon beeindruckend. Man hat die Situation erleben müssen. Die Luft hat gebrannt in Nürnberg in jeder Beziehung. Also den Streik, die Situation konnte man spüren, riechen, richtig wahrnehmen, weil egal, ob man in einer Nürnberger U-Bahn oder Straßenbahn gesessen hat, durch die Qualmwolken von den Feuertonnen, wenn man stundenlang drangestanden hat in ungünstiger Windrichtung, hat man leicht angekokelt gerochen. Man hat gestunken, man hat seine Kleidung nächtelang, tagelang auf den Balkon hängen können, man hat diesen beißenden Qualmgeruch nicht rausbekommen.
Eine Streikaktivistin
Der Winter 2006 ist bitter kalt. Bei bis zu minus17 Grad standen ab dem 20. Januar die AEG-ler und UnterstützerInnen Tag und Nacht vor den AEG Toren. Wärme gaben nur die Feuertonnen, die vielen dicken Pullover, Jacken, Socken und alles was man sonst noch hatte, reichten nicht lange aus. Nürnberg und die Region waren in „Aufruhr“ und dass war überall zu spüren. In den U-Bahnzügen, die an dem AEG Werk vorbei fuhren, wurden unterstützende Worte und Grüße an die AEG-ler durchgegeben. Selten oder vielleicht noch nie, wurden so schnell so viele Unterschriften für einen Käuferboykott gesammelt. Dabei kam es mit Menschen quer durch die ganze Gesellschaft zu Diskussionen. Die sonst sehr beliebten Abgrenzungen von ganz bürgerlich bis zu radikalen Autonomen waren weitgehendst ausgesetzt. Was war da los? „Wir bleiben hier – dafür kämpfen wir“ das meinten die AEG-ler sehr sehr ernst. Sie kämpften für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze in einer Zeit wo die Aussicht auf andere Arbeit in ungelernten Bereichen so gut wie aussichtslos war und die Zukunft Hartz IV oder prekäre Arbeitsverhältnisse hieß. Der Kampf der AEG-ler steht zusammen mit den Streiks bei Opel Bochum, Gate Gourmet Flughafen Köln, Bosch Siemens Hausgerät Berlin und der Bewegung gegen Hartz IV. Die Ziele wurden nicht erreicht, doch können wir wirklich von einer Niederlage der Kämpfe sprechen? In dem vorliegendem Buch wird keine Einschätzung oder Bewertung zu finden sein. Die unterschiedlichsten Akteure stellen in ihren Interviews ihre Sicht der Dinge da. Damit geben wir den LeserInnen die Möglichkeit, nicht nur ein Bild vom Umfang des Streiks zu bekommen, sondern selber zu einer Einschätzung zu gelangen. Die Einblicke und Erfahrungen der verschiedenen Unterstützungsformen können so für die zukünftigen Streiks genutzt werden.
Einige Worte zu den Interviews
Mike Gillian, Doktor an der UWA Business School in Australien, ist im Rahmen einer Studie über Weiße Ware auf Electrolux gestoßen. Er hat im Sommer 2006 in Nürnberg mit den verschiedensten Akteuren, die den Streik durchführten oder unterstützten dazu Interviews durchgeführt. Weitere Interviews wurden von verschiedenen AktivistInnen zu unterschiedlichen Zeiten gemacht. Alice von Netzwerk IT hat kurz nach dem Streik den oppositionellen Vertrauensmann Hüseyin befragt, der viele interessante Details aus dem Innenleben der IG Metall erzählt. Holger schreibt seine Sicht der Gewerkschaft nieder, weil diese Kritik zuvor in einem Interview der Jungen Welt nur weichgespült wiedergegeben wurde. Der Druckwächter hat ein Interview zusammen mit Netzwerk IT gemacht, worin deren Arbeitsweise erläutern wird. Basisarbeit, die vor allem die Menschen in der Stadt informiert hat und damit eine breite Solidarität entwickelt konnte, wurde vor allem von den interviewten Organisationen und deren UnterstützerInnen in Angriff genommen. Das Sozialforum hat mit dem Käuferboykott entscheidend dazu beigetragen, Electrolux unter Druck zu setzen und deren Image ins richtige Licht gerückt. Der alternative Radiosender in Nürnberg - Radio Z – sendet seit vielen Jahren unabhängig von den bürgerlichen Medien und arbeitet selbstbestimmt. Journalisten haben sich ins AEG-Streikzelt gesetzt und von dort eine Live-Sendung des politischen Magazins von Radio Z, dem Stoffwechsel, gemacht. In deren Verlauf kamen einige AkteurInnen zu Wort, die über den Stand der Dinge berichtet haben. Am Aschermittwoch nach der Verkündung vom Abschluss des Sozialtarifvertrages hatten AEG KollegInnen in der Sendung von Radio Z nochmal das Wort. Beide Radio Z Sendungen wurden im Buch aufgenommen, um die Vielfalt wirkungsvoller Formen zur Streikunterstützung vollständig darzustellen. Ebenfalls Radio Z verdanken wir ein Interview mit dem italienischen Gewerkschafter Rossano, der bei seinem Besuch in Nürnberg feststellte, dass die AEG auf ihn nicht nur wie ein Streik wirke sondern eher an eine Betriebsbesetzung in Italien erinnere. Manchmal sehen Außenstehende eben mehr. Diese Interviews machen den Hauptteil des Buches aus. In ihnen wird erzählt, was die einzelnen Personen mit dem Streik oder der AEG verbindet, wie sie den Prozess einschätzen und warum sie aktive Unterstützungsarbeit geleistet haben.
Beiträge der Redaktion
Der Streik bei Infineon In dem Beitrag zum Streik bei Infineon München, was zum Siemenskonzern gehört, wird die direkte Verbindung zum AEG Streik dargestellt. Bei Infineon wurde im November 2005 gegen die Werksschließung gestreikt. Dort kam es im Streikverlauf zu einem brutalen Polizeieinsatz gegen die Streikposten der IGM. Damit sollte durchgesetzt werden, das Streikbrecher, die aus anderen Firmen angeheuert wurden, freien Zugang ins Werk bekamen. Eine Solidarität der Infineon Kollegen mit den AEG-ler wurde von der IGM praktisch unterlaufen. Außerdem wird darauf eingegangen wie das Aushandeln von Sozialverträge eingesetzt wird, um eine Werksschließung reibungslos über die Bühne zu bekommen.
Der Sozialvertrag für AEG wird verkündet Zum besseren Verständnis wurde ein Teil des fünfseitigen Sozialvertrages, der von der IGM für die AEG-ler ausgehandelt wurde dokumentiert. Erstmalig wurde dieser schriftlich für die KollegInnen verfasst und auf der letzten großen Streikversammlung verteilt, aber nur in deutscher Sprache, obwohl die Mehrheit der KollegInnen MigrantInnen aus verschiedenen Ländern sind. Während Jürgen Wechsler, Harald Dix und Werner Neugebauer auf der Bühne standen und den KollegInnen den Vertrag erklärten, wiederum nur auf Deutsch, bildeten die KollegInnen Gruppen um zu diskutieren was dort drin stand. Das fand die IGM Riege auf der Bühne sehr empörend, mit lautem Brüllen versuchte J. Wechsler ein Rede- und Diskussionsverbot durchzusetzen. Es gelang ihm nicht wirklich, die Stimmung war aufgeheizt und das übervolle Streikzelt lehrte sich nach und nach, während auf der Bühne dies völlig ignoriert wurde und sie ihr Programm einfach weiter durchgezogen. Der Druckwächter hat die Fragen der KollegInnen aufgegriffen, in der Auswertung können wir die Antworten dazu lesen.
Eine Chronologie der Entwicklung bei AEG Mit einer kurzen Vorgeschichte wird der Weg von AEG von 1922 über die erste große Krise in den 70er Jahren bis zur Übernahme von Electrolux 1994 aufgezeigt. Danach wird in einzelnen Schritten der weiteren Entwicklung nachgegangen, um den LeserInnen einen Überblick zu verschaffen, der in den Konflikt um das AEG Werk einführt.
Strategie und Taktik In Form eines Workshops stellt sich eine Basisgruppe vor, die aktiv den AEG Streik mitgetragen hat. Sie arbeiten sich anhand von Fragen durch das Thema der Strategie und Taktik in wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen, am Beispiel der AEG Nürnberg, durch. In dem Workshop soll herausgefunden werden, wo wer steht und welche Mittel eingesetzt werden müssen, um das Ziel zu erreichen. Fragen werden erörtert, wie die schon gemachten Erfahrungen angewandt werden können. Dabei werden, für heute vielleicht ungewöhnliche Erkenntnisse, von dem kommunistischen Staats- und Gewerkschaftsfunktionär S.A. Losowski und dem preußischen Offizier Carl von Clausewitz genutzt.
Die dunkle Seite der Macht Das der Kampf zum Erhalt der Arbeitsplätze bei AEG nicht nur Druck auf das Unternehmen Elektrolux ausgeübt hat, sondern auch an den Grundpfeilern des Kapitalismus rüttelte, wurde den UnterstützerInnen aus der Linken in einer ganz besonderen Form der Repression klargemacht. Man kann sagen das Kapital schlägt zurück. Wie können wir das behaupten? Eine große Zahl StreikunterstützerInnen wurde mit Foto, Personalien und einer willkürlichen Zusammenstellung von Zugehörigkeiten innerhalb der linken Strukturen im Internet auf einer Anti-Antifa-Seite veröffentlicht. Sie wurden ganz offen zum Angriff freigegeben. In unserem Beitrag dazu führen uns die Recherchen vom Ursprung und Werdegang der Anti-Antifa zurück zur Entstehung der BRD und der NATO-Geheimarmee Gladio. Mit Hinweisen auf vorhandene Dokumente wird es den LeserInnen möglich nachzuvollziehen, wie ernst die Lage werden kann, wenn das kapitalistische System sich in Gefahr wähnt.
Dieses Buch ist zusammengestellt von dem Redaktionsteam des Druckwächters. Druckwächter ist ein Teil, dass in Waschmaschinen eingebaut wird und deshalb als Name für das Projekt der KollegInnen der AEG ausgewählt wurde. Zu Wort kommen streikende KollegInnen und UnterstützerInnen die das Wesen des Buches ausmachen. Es ist ein Beitrag zur Unterstützung und Ermutigung für alle, die von der Basis her aktiv sind und aktiv werden wollen.
Die Redaktion des Druckwächters