"Der AEG-Streik ist in eine politische Dimension gegangen" - UZ-Interview mit Jürgen Wechsler
UZ: Anfangs des Arbeitskampfes wurde als erstrangiges politisches Ziel formuliert: Die Erhaltung des AEG Electrolux Standortes in Nürnberg. Der Hebel dazu sollte ein teurer Sozialtarifvertrag sein. Es wurde auch ein für Electrolux ungewöhnlich teurer Sozialtarifvertrag abgeschlossen. In der IG Metall Presseerklärung zum Verhandlungsergebnis wurde jedoch eingeschätzt: *"Dieses oberste Ziel (Erhaltung der Arbeitsplätze bzw. des Standortes) konnte nicht erreicht werden, weil die politischen und rechtlichen Voraussetzungen in Deutschland dafür fehlen. Es bleibt bei der Schließung zum 31.Dezember 2007, weil die Electrolux-Manager sich nicht bewegen."* Für mich schließt sich die Frage an, welches sind die notwendigen "politischen und rechtlichen Voraussetzungen" für die Ausweitung des Streikrechts zum Erhalt von Arbeitsplätzen.
Der Arbeitsrechtler Professor Michael Kittner hat in seinem neuen Buch zur Geschichte des Arbeitskampfes die Frage gestellt: Die "deregulierte Dezentralisierung müsste unvermeidlich auch eine Vielzahl neuer arbeitsrechtlicher Probleme nach sich ziehen. So ist aktuell eine Zunahme rechtlicher Konfliktfelder zu beobachten, wobei aus Arbeitskampfsituationen unter- und außerhalb des "eingeschwungenen" Tarifkampfrechts gespeiste neuen Fragen die Gerichte beschäftigen" z.B. auch die Fragen: "Darf insbesondere zur Sicherung der Arbeitsplätze gestreikt werden?" Hat dadurch dieser AEG-Streik eine politische Dimension gehabt?
Jürgen Wechsler: Das ist eine ganz schwierige Frage. Nach meiner Auffassung ist der AEG-Streik schon in eine politische Dimension gegangen. Er hat aber allerdings nicht direkt von Anfang an eine politische Forderung gehabt. Denn wir haben uns auf zwei Themen konzentriert: Standorterhaltung auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Sozialtarifvertrag. Aber was diese politische und rechtliche Frage des Streiks um Erhalt von Arbeitsplätzen angeht, ist genau das Problem vor dem wir stehen. Wir können nur streiken für einen Tarifvertrag, sprich Sozialtarifvertrag. Wir können nicht streiken und das verbietet einfach das Grundgesetz und die Verfassungsgerichtsentscheidungen, wenn es darum geht, unternehmerische Entscheidungen in Frage zu stellen. Darum dürfen wir auch nicht den Streik weiter führen wenn wir sagen, wir streiken jetzt um jeden Arbeitsplatz. Das ist erst mal die Ausgangsposition.
Die andere Frage ist eine spannende Frage, die stärker in den 60er und 70er Jahren, heute aber weniger gestellt wird. Und zwar, ist unser Streikrecht eingeschränkt, ist es gut oder schlecht, ich meine gesellschaftspolitisch, oder bräuchten wir nicht eine gesetzliche Absicherung für politische Streiks?
Dabei muss man einige Fragen beantworten. Nämlich die Frage nach der Tarifautonomie, die ganz eng mit der Frage der historischen Entscheidung des Grundgesetzes und dem Streikrecht für Tarifverträge verbunden ist. Das Gegenstück ist dann natürlich das Verbot des politischen Streiks. Das unterscheidet sich von der Lage in anderen Ländern Europas. Ich persönlich würde es gut finden, wenn sich wieder eine Debatte über politische Streiks in Deutschland entwickeln würde. Den AEG-Streik können wir damit nicht befrachten.
UZ: Ist es nicht Zeit, die Ausweitung des Streikrechts in den Gewerkschaften stärker zu thematisieren und die Erfahrungen europäischer Gewerkschaften mit einzubeziehen?
Jürgen Wechsler: Klar ist, wir kratzen damit an den Grundfesten des Kapitalismus. Dies sollte man mit diskutieren.
Das Betrifft auch die Frage der Verlagerung als solches, nach den Verlagerungskosten aber noch wichtiger ist die Frage nach der Finanzierung der Folgekosten. Ja, die Folgekosten sind in die Verlagerungskosten mit reinzunehmen. Denn Electrolux, aber auch andere tun sich ja leicht in Deutschland, schließen hier Standorte, überlassen, wenn man so will, das Feld dann dem Volk, die Folgekosten werden "sozialisiert". Sie selber kümmern sich nur darum, dass die Profite steigen. In so einer Kombination kann ich mir persönlich vorstellen dies europaweit zu diskutieren.
UZ: Es gab von anderen Betrieben eine hohe Erwartungshaltung vom Pilotprojekt AEG-Streik um Arbeitsplätze. Manche sind wahrscheinlich enttäuscht. Kannst du schon heute Erfahrungen aus dem AEG-Streik zusammenfassen?
Jürgen Wechsler: Ich hab schon ein paar Erfahrungen gemacht. Auch was positiv an diesem Streik war. Viele Kollegen von anderen Betrieben, die ich hier erlebt habe, haben ganz einfach gesagt, natürlich sind eure Forderungen wichtig, aber egal was rauskommt, dieser aufrechte Gang und hier mal Widerstand zu organisieren ist besonders wichtig.
Ich glaube, dass dieser Streik ein Stück mitgeholfen hat eine neue Aufbruchstimmung zu entwickeln. Die Frage ist, wie man sie jetzt weiter transportiert, wie das Thema weiter in die gesellschaftliche Auseinandersetzung kommt. Vielleicht ist diese AEG-Auseinandersetzung eine Chance in Zukunft mit solchen Dingen anders umzugehen. Darum sollte es in Arbeitskämpfen und Streiks auch öfters in diese Richtung gehen. Um möglicherweise auch die Frage des Streikrechts auf einer ganz neuen Ebene zu diskutieren. Was aus meiner Sicht wichtig wäre, dies auch europaweit zu tun.
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