Bilanz 2005
Verarmung nach dem Regelsatz!
In unserer Bilanz stehen nicht Einzelschicksale im Vordergrund. Einzelschicksale wurden und werden durch die Presse (z.B. der letzten Weihnachtsspendenaktionen der lokalen Zeitungen) und von uns immer wieder veröffentlicht. Diese Bilanz ist die Verallgemeinerung und Schlussfolgerung aus unseren Erfahrungen, aus Gesprächen, Beratungen, Aktionen und Berichten der Presse.
Wir, die Betroffenen und die Aktionsgemeinschaft Nürnberger Arbeitsloser ANA hatten recht, als wir auf dem überregionalen Erwerbslosentreffen (April 2004) die Zukunftsperspektive der Erwerbslosen eingeschätzt hatten: „Der Druck auf die Erwerbslosen wird immer stärker“:
- Das eigentliche Problem der fehlenden Arbeitsplätze wird nicht angegangen, sondern den Erwerbslosen angelastet („Die müssen nur wollen, dann finden sie schon Arbeit“).
- Die Umsetzung der Vorschläge der Hartzkommission führt nicht zum Abbau der Erwerbslosigkeit. Deshalb wird durch die ARGEs und die Arbeitsämter der psychische, soziale und finanzielle Druck auf die Erwerbslosen erhöht.
- Trotz des erhöhten Drucks auf die Erwerbslosen entsteht keine „bessere“ Statistik der Massenerwerbslosigkeit. Deshalb fordern die politischen Parteien und die Unternehmerverbände weitere Leistungskürzungen und Verschärfungen bei den Erwerbslosen. Die Schuld an der Massenerwerbslosigkeit wird immer wieder bei den Betroffenen zugeschoben.
- Das Ziel der Unternehmerverbände und der Regierung ist es nun, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen um den „Billigstlohnsektor“ rascher ausbauen zu können und dadurch „die schwervermittelbaren Erwerbslosen wieder in Erwerbsarbeit zu bringen“. Stattdessen wird das gesamte Lohnniveaus sinken. Die Erwerbssituation „Arm trotz Arbeit“ wird für viele der Alltag sein. Aber die Massenarbeitslosigkeit und Verarmung bleibt in Deutschland weiterhin bittere Realität.
- Solange die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (für eine menschenwürdige Erwerbsarbeit von der jede und jeder menschlich leben kann) nicht verändert werden, wird es in diesem Wirtschaftssystem Massenerwerbslosigkeit geben. Dazu ist das Arbeitslosengeld II (Alg II) keine Grundsicherung für ein menschliches Leben.
Reformen = Sozialkahlschlag / Hartz IV kam nicht alleine!
Insgesamt führte die Politik aller Regierungsparteien der letzten 25 Jahre zu einer Zunahme des Sozialabbaus:
- Unter Kohl wurde das Prinzip der Parität in der Finanzierung von Sozialversicherungen erstmals mit der Einführung einer "Pflegeversicherung", die allein von den Lohnabhängigen zu finanzieren ist, unterlaufen.
- Danach folgte die Riesterrente, d. h. die Durchsetzung der Privatisierung / Kapitalisierung der Renten.
- Die Hartzkommission hatte den Auftrag, die Erwerbslosen vermehrt unter Druck zu setzen, jede Arbeit anzunehmen, auch wenn keine vernünftige Arbeit vorhanden ist.
- Die Rürupkommission hatte den Auftrag, das gesamte Sozialsystem - von der Rente bis zum Gesundheitswesen - von jeglichem „Sozialklimbim“ zu befreien.
- Im Juni 03 wurde auf dem Sonderparteitag der SPD die „Agenda 2010“ verkündet und das Tempo des sozialen Kahlschlags wurde verschärft.
- Das Arbeitslosengeld II (Alg II) wurde am 1.1.2005 eingeführt.
Im Zentrum der Kritik der ANA steht logischerweise Hatz IV und besonders das Arbeitslosengeld II (Alg II). Jedoch treffen alle anderen Einschnitte und Kürzungen im Sozialsystem auch die Erwerbslosen und ihre Familien. Dies darf mensch bei der Kritik nicht unterbewerten.
Gibt es was Gutes an Hartz IV?
Nein! Denn auch die vielgelobte Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe führt mit der gleichzeitigen Reduzierung auf Sozialhilfeniveau, der Pauschalisierung aller Leistungen in einigen Fällen sogar zu einem realen Absinken unter dem ehemaligen Sozialhilfeniveau (Familien mit Kindern stärker davon betroffen). Die Konstruktion der „Bedarfsgemeinschaft“, die teilweise Nichtübernahme der vollen Miet- und Nebenkosten und der in der Praxis fehlenden Einzelfallprüfung und Härtefallregelung führt zur finanziellen Verschärfung der sozialen Situation von ALG II-EmpfängerInnen. Auch die Grundidee von Hartz IV, dass durch mehr Druck auf die Erwerbslosen mehr in Erwerbsarbeit kommen, entbehrt jeglicher Realität. Das „Fordern“ wird durchgezogen, aber das „Fördern“ verläuft im Sande der Bürokratie, am Mangel an Finanzen und dem Fehlen der entsprechenden Erwerbsarbeitsplätze.
Was ist das Erfolgskriterium/Zielvorgabe von Hartz IV?
Im Bericht des Sozialreferenten in Nürnberg wird nicht die realen Vermittlungen in den 1. Arbeitsmarkt als Grundlage des Erfolgs der Arbeit der ARGE genommen. Denn „Die Leistungsstärke der ARGE nur anhand der harten Vermittlungszahlen darzustellen, wäre daher eine starke Verkürzung. Zentrales Ziel des SGB II ist es vielmehr, den ALG II - Empfänger selbst in die Lage zu versetzen, sich zu helfen....Von entscheidender Bedeutung ist, dass Ziele (=Beurteilungskriterien) so formuliert werden, dass sie von den Mitarbeitern der ARGE beeinflusst werden können. Nur dann kann man gerechtfertigt vom Erfolg oder Misserfolg der ARGE sprechen. **So ist die Reduzierung der Arbeitslosigkeit als Gesamtgröße nicht beeinflussbar und von der ARGE nicht steuerbar. Es wurden daher die (beeinflussbaren) „Abgänge“ aus der Arbeitslosigkeit als Ziel definiert.** (S.21./22. Bericht des Sozialreferenten Nbg.). Die beeinflussbaren „Erfolge=Abgang“ sind Abschieben und Parken in 1-Euro-Jobs, „Bildungs“maßnahmen, miese Billigstjobs, Leistungskürzungen oder Entzug der ALG-II-Berechtigung. Für diese asozialen Maßnahmen werden noch „Abschiebeprämien“ für Fallmanager und SozialschnüfflerInnen in Aussicht gestellt. Für den „Kunden“ gilt diese Erkenntnis (Fehlende Erwerbsarbeitsplätze als nicht beeinflussbares Kriterium) bei den geforderten „Eigenbemühungen“ nicht.
Sozialsystem zur Bekämpfung der Erwerbslosen(-losigkeit)?
Was ist davon zu halten, wenn ein existierendes und verbesserungswürdiges „Sozialsystem zur sozialen Absicherung bei Erwerbslosigkeit“ zu einem „Sozialsystem zur Bekämpfung der Erwerbslosen(-losigkeit)“ „reformiert“ wird. Und dazu „die Hoffnung eines zu erwartenden Wirtschaftsaufschwungs“ der PolitikerInnen als Arbeits- und Beschlussgrundlage für neue Gesetze genommen wird? Dies zeugt entweder von Unfähigkeit oder von einer bewussten Strategie, dieses Problem im heutigen Wirtschaftssystem (Kapitalismus) auf Kosten der Betroffenen abzustoßen und zu individualisieren. Jeder ist in diesem bundesdeutschen „Sozialsystem“ ab dem 1.1.2005 für sich selbst verantwortlich! Es ist sichtbar, dass den GestalterInnen dieser Gesetze (Alle jetzigen und ehemaligen Regierungsparteien aber auch die Unternehmerverbände), das Problem der Massenerwerbslosigkeit in diesem Gesellschaftssystem nicht zu lösen notwendig erscheint. Sie gehen den Weg, die Erwerbslosen als „Überflüssige“ und einem zu teuren „Kostenfaktor“ aus diesem System hinauszudrängen.
Die Erwerbslosen werden vor der Frage gestellt: Entweder aus dem Sozialsystem rauszudrängen zu lassen. Dabei in ein soziales Nichts, ohne finanzielle, gesundheitliche Absicherung zu fallen. Viele Familien werden vor der Aufgabe gestellt, legal oder nichtlegal zu überleben. Oder in diesem System mit „Arm trotz Arbeit“ eine Lohndrückerrolle einzunehmen oder den „Anderen“ gegen einige Cents, deren Einkaufswagen zum Auto zu schieben und zu beladen.
Alternativen?
Die Alternative ist eine soziale und menschenwürdige Absicherung eines jeden in der Bundesrepublik lebenden Menschen. In einer Gesellschaft in der Erwerbsarbeit anerkanntermaßen nicht mehr für alle möglich ist, muss diese Gesellschaft (die eine der reichsten ist) dafür sorgen, dass alle auf der Basis dieses vorhandenen Reichtums für jeden ein menschliches Leben, auch ohne Erwerbsarbeit, ermöglicht werden kann. Dies ist keine Illusion, sondern eine reale Möglichkeit und eine aktuelle Forderung!
Die Gesamtbilanz
der Aktionsgemeinschaft Nürnberger Arbeitslose ANA zu Hartz IV und Alg II ist eindeutig:
- Die Hartz-Gesetze führten nicht zum Abbau der Erwerbslosigkeit.
- Die Hartz-Gesetze schafften keine neuen tariflichen Erwerbsarbeitsplätze.
- Die sogenannten „notwendigen Reformen des Sozialstaates“ haben zu sozialem Abstieg, Ausgrenzung und Verarmung weiterer Teile der Bevölkerung geführt.
- Realität ist nicht die verstärkte Vermittlung in Erwerbsverhältnisse mit tariflichen Einkommen. Es ist der verstärkte finanzielle und psychologische Druck auf Langzeitarbeitslose und das Hinausdrängen aus den steuerfinanzierten sozialen Leistungen in unsichere und niedrigstbezahlte Tätigkeiten oder gar durch Streichung der Leistungen.
- Der Sektor der Billigstlohn- und prekären Arbeitsverhältnisse hat sich vergrößert.
- „Normalarbeitsverhältnisse“ sind durch den Einsatz von 1-Euro-Jobs abgebaut worden.
- Die Belegschaften in den Betrieben sind durch die Angst vor Alg II erpressbarer geworden.
- Das Arbeitslosengeld II senkt langfristig das Rentenniveau großer Teile der Bevölkerung.
- Der Staatshaushalt wird auf Kosten der Armen saniert.
Wir lehnen weiterhin die Hartz-Gesetze ab!
- Die Hartz-Gesetze konnten nicht verhindert werden. Es ist deshalb notwendig, weiterhin für die Abschaffung von Hartz IV und Alg II zu kämpfen. Es ist aber auch notwendig, für die Verbesserung der sozialen Lage und der Verwirklichung der vorhandenen Rechte für den einzelnen Betroffenen aktiv zu sein.
- Von dieser Position aus halten wir es aber auch für notwendig, konkrete Kritik an der Praxis der Umsetzung von Hartz IV zu formulieren. Denn die Leidtragenden an der nach wie vor chaotischen, bürokratischen und repressiven Praxis der ARGE-Nürnberg sind die Erwerbslosen und ihre Familien.
- Es ist notwendig, dass die Betroffenen erkennen: Nur sie selbst und nur gemeinsam können sie ihre Lage ändern.
- Zur Bilanz der ANA gehört: Schon viele haben sich schon in die richtige Richtung bewegt. Wir müssen weiter machen.
- Eine menschenwürdige und soziale Gesellschaft ist nötig und möglich!