Softwarepatent von Lucent soll E-Mail-Programme bedrohen

Ein Monopolanspruch auf den strukturierten Versand elektronischer Nachrichten ist das Softwarepatent des Monats Mai, doch der Patentinhaber glaubt an eine falsche Interpretation seines Rechtsschutzes.

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  • Stefan Krempl

Ein Monopolanspruch auf den strukturierten Versand elektronischer Sprach- und Textnachrichten hat das Rennen um das Softwarepatent des Monats Mai für sich entschieden. 37 Prozent der 3300 Nutzer, die sich an der Wahl im Rahmen der Kampagne NoSoftwarepatents-Award beteiligten, stimmten für das von der US-Firma Lucent Technologies gehaltene gewerbliche Schutzrecht. Der vom Europäischen Patentamt (EPA) mit der Nummer EP1056268 vergebene, weit gestrickte Monopolanspruch ist folglich gemeinsam mit den Siegern der beiden Vormonate nominiert für die im Herbst stattfindende Wahl des "Softwarepatentes des Jahres 2006".

Die Initiatoren der Informationsplattform, zu denen 1&1, GMX, MySQL, Red Hat und CAS gehören, wollen mit der Aktion auf besonders gefährliche, Wettbewerb und Innovation behindernde Softwarepatente aufmerksam machen. Ihrer Ansicht nach "verletzt jedes E-Mail-Programm, das auch Anhänge versenden kann, das Patent." Der Hauptanspruch des Lucent-Patents erstrecke sich schließlich auf das Versenden elektronischer Nachrichten, die mehrere Teile enthalten, zusammen mit Hinweisen, was mit dem jeweiligen Komponenten zu geschehen hat.

Der Netzwerkausrüster mag von dieser Lesart seines Anspruchs nichts wissen. In einer kurzen Reaktion auf die Kür zum Softwarepatent des Monats verweist er darauf, dass es bei der Zusammenfassung des Patents nur um strukturierte Sprachnachrichten gehe, nicht etwa auch um E-Mail. Weiter wollte sich Lucent zu dem beim EPA bis 2019 verlängerbaren Schutzrecht nicht äußern. Die Organisatoren der Preisverleihung halten dagegen, dass allein die eigentlichen Patentansprüche für Verletzungen des geistigen Eigentum entscheidend sind. Dass in der Patentschrift zwar meistens von Sprachpostnachrichten ("Voicemail") die Rede ist, sei damit nicht ausschlaggebend. Der Hauptanspruch decke das Versenden jeder Art strukturierter elektronischer Nachrichten einschließlich E-Mail ab. Laut der präzisen, aber für Laien schwer verständlichen Patentschrift sei das patentierte Verfahren gekennzeichnet durch den Schritt des Formulierens "der elektronischen Nachricht durch Kombinieren einer Mehrzahl von Nachrichtenelementen, wobei mindestens ... eines der Nachrichtenelemente Anweisungen umfasst, die eine Struktur der Nachricht definieren."

Auch Jens Mundhenke, Forscher am Institut für Weltwirtschaft an der Uni Kiel, ist von der ökonomischen Bedrohung überzeugt, die potenziell von dem Schutzanspruch ausgehe. Wenn ein technischer Standard, der die Kommunikation und den Datenaustausch regelt, durch Patente geschützt sei und bei restriktiver Durchsetzung exklusiv vom Inhaber dieses Anspruchs genutzt werden könne, sei dies schlecht für den Wettbewerb. Letztlich könnten nämlich ausschließlich die Kunden des Patentinhabers "als Nutzer der patentierten Technologie untereinander ein Netzwerk aufbauen". Anderen Anbietern und ihren Kunden wäre der Zugang zu diesem Kommunikationsnetzwerk versperrt. Sie müssten eigene Technologien entwickeln und ein alternatives, zur patentierten Technologie inkompatibles Netzwerk für die eigenen Kunden aufbauen. Mundhenke fordert einen besonderen rechtlichen Schutz für Maßnahmen zur Herstellung von Kompatibilität und Interoperabilität, die nicht aufgrund von Patenten behindert werden dürften.

Für die Juni-Runde der Kampagne stehen ab sofort fünf neue EU-Softwarepatente zur Wahl, die das EPA alle am 1. Juni 2005 erteilte. Dazu gehört ein Monopolanspruch der japanischen Firma Mitsubishi auf ein Verfahren, mit dem sich besser der Überblick über Aufzeichnungen von Überwachungskameras behalten lassen soll. Er muss sich unter anderem mit einem Patent der sd&m Software design & management AG zur webbasierten Dokumentenverwaltung oder dem der japanischen Telco NTT gewährten Schutz der selektiven Informationszustellung im Push-Verfahren messen. Anwärter ist auch ein Patent von Nielsen Media, das die Identifizierbarkeit von Fernsehprogrammen anhand des Tons schützt. Interessierte können zudem für die Abstimmung im Juli wieder Beispiele für mutmaßlich besonders "wertvolle" Softwarepatente einreichen.

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente unter anderem in Europa und um die die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)