Flugblatt von einigen Solikreismitgliedern vor Neupack am 1.11.2013

WER KÄMPFT KANN VERLIEREN
WER NICHT KÄMPFT, HAT SCHON VERLOREN
WER VERLOREN HAT, KANN WIEDER AUFSTEHEN
WER WIEDER AUFSTEHT, HAT ERFAHRUNGEN
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
das gilt für alle von Euch, deren Streik wir 80 Tage lang unterstützen konnten – und den wir dann weitere gut 7 Monate nur noch begleiten konnten, da Ihr am 24. Januar von der IG BCE – Leitung wieder in den Betrieb geschickt worden seid.
Es hat uns beeindruckt, wie stark ihr gewesen seid, trotzdem es für viele von Euch euer erster Arbeitskampf war. Ihr seid als ArbeiterInnen aufgetreten, habt Euch im Streik besser kennen gelernt – was nicht leicht ist, wenn man verschiedene Muttersprachen und Denkweisen von Haus aus hat. (mehr…)

Beitrag für den Solikreis auf der DIDF-Veranstaltung zum Jahrestag des Streikbeginns

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe GenossInnen,

ich freue mich, dass ich hier ein paar Worte für den Solikreis Neupack sagen darf. Es gab auch Gelegenheiten, bei denen dies anscheinend nicht erwünscht war.
Es gibt sicherlich vieles zum Streik bei Neupack zu sagen. Zum Beispiel wie vorbildlich die KollegInnen gekämpft haben, obwohl es zum Teil ihr erster Arbeitskampf war und obwohl die Bedingungen und die Umstände des Streiks es ihnen nicht leichter gemacht haben durchzuhalten. Es ist auch bemerkenswert, dass die KollegInnen es im gemeinsamen Kampf geschafft haben, Vorurteile und Abgrenzungen zwischen ArbeiterInnen verschiedener Nationalitäten abzubauen.
Da ich mich hier und jetzt aber leider auf wenige Sätze beschränken muss, muss ich auch einige wenige Punkte herausgreifen.
Der Solikreis besteht aus vielen unterschiedlichen Gruppen und Einzelpersonen, die aus teils sehr unterschiedlichen politischen Traditionen stammen. Nichtsdestotrotz hat es uns geeint, den ganz konkreten Kampf der Neupack-KollegInnen praktisch zu unterstützen. Wir waren vor Ort, als in aller Herrgottsfrühe an der Seite der KollegInnen im Doerriesweg die Tore blockiert worden sind. Wir waren auch immer ansprechbar für die KollegInnen, viele haben gemeinsam Schichten im Streikzelt geschoben. Wir haben im St. Pauli-Stadion, in linken Medien und mit Veranstaltungen den Streik bekannt gemacht und Solidarität organisiert. Wir hätten auch noch mehr gemacht, wenn man uns gelassen hätte. Leider wurden beispielsweise unsere Besuche bei Zulieferbetrieben untersagt. Unterm Strich ging es uns immer darum zu zeigen: Ihr seid nicht allein! Euer Kampf ist unser Kampf! Und euer Kampf ist auch der Kampf vieler Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Bundesrepublik.
Denn was bei Neupack passiert ist, ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch und zukunftsweisend. Wir dürfen nicht vergessen, dass die überwiegende Mehrzahl der Betriebe in Deutschland Mittelstandsbetriebe sind.
Und diese Firmen konkurrieren infolge der Internationalisierung der Märkte und Produktion mit Unternehmen überall auf der Welt. Und was heisst das, „wettbewerbsfähiger“ werden? Unternehmen eignen sich noch Arbeit ihrer Belegschaften an, als sie ohnehin schon tun. Konkret heißt das: Sie steigen aus Tarifverträgen aus oder lehnen den Abschluss eines solchen gleich grundsätzlich ab. Sie drücken die Löhne und verschlechtern die Arbeitsbedingungen. Und last but not least bekämpfen die sog. Arbeitgeber jeden Versuch des Protests oder Widerstands erbittert. Was die Krügers gemacht haben, ist daher keine Überraschung. Die Neupack-Bosse sind nicht die personifizierte Rückkehr des Mittelalters, sondern die Inkarnation des modernen Kleinkapitalisten. Die Krügers besitzen auch keine „unternehmerische Unvernunft“. Sie haben nicht in „unternehmerischer Unverantwortung“ gehandelt, wie Michael Vassiliadis beim letzten IG BCE Kongress behauptet hat. Die Krügers sind im Gegenteil ihrer unternehmerischen Vernunft und Verantwortung ganz direkt gefolgt. Aus diesen Gründen hat der Arbeitskampf bei Neupack auch Modellcharakter für tausend andere Betriebe in der Republik.
Um so bitterer ist es, dass wir knapp ein Jahr nach Beginn des Streiks konstatieren müssen, dass wir Zeuginnen und Zeugen einer historischen Niederlage geworden sind. Die Krügers haben an euch und vor allem der IG BCE ein Exempel statuiert. Das heißt nicht, dass die minimalen Zugeständnisse Krügers wertlos sind. Aber gemessen an den Zielen, der gegenwärtigen Situation der Kolleginnen und Kollegen im Betrieb, der Größe der Gewerkschaft, den Opfern der kämpfenden KollegInnen und den Zugeständnissen, die die IG BCE den Krügers gemacht hat, kann und sollte man das Ergebnis des Streiks nicht beschönigen. Wir sollten uns nicht vor den Resultaten unserer Kritik und Selbstkritik fürchten. Nur durch die Kritik des alten, beschrittenen Weges können wir einen neuen, besseren Weg finden.
Der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger hat einen Vorschlag gemacht, wie wir in Zukunft bessere Kampfbedingungen auf unserer Seite der Barrikade herstellen können. Er riet auf einer Konferenz im Frühjahr dazu, die Gewerkschaften durch Streiks zu erneuern. Ich glaube, dass dies eine Möglichkeit ist. Aber ich meine auch, dass wir nicht DAMIT beginnen können und dass es nicht ausreicht, in den sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften zu kämpfen. Vielmehr müssen wir – wieder – damit anfangen, uns, unsere KollegInnen und unsere Beziehungen im Betrieb zu erneuern. Wir müssen uns und unseren KollegInnen klar machen, dass die Ausbeutung im Betrieb uns eint, egal welcher Herkunft wir sind, an welchen Gott wir glauben oder welches Geschlecht wir haben. Und wir müssen uns vor Augen führen, dass niemand uns helfen wird außer wenn wir uns selber organisieren.
Politiker können schöne Reden halten, Gewerkschaften sind nützliche Instrumente, wenn man sie richtig einsetzt. Aber PolitikerInnen in den Parlamenten nützen uns genausowenig wie Gewerkschaften, wenn wir in den Betrieben keine Macht haben. Und Macht bekommen wir nur, wenn wir uns organisieren – im Betrieb und in der Gewerkschaft. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass das Ende des Streiks nicht das Ende eures Kampfes bei Neupack sein kann und auch nicht sein darf.
Wenn ihr den Krügers eine Lektion erteilen wollt, dann geht das nur dadurch, dass bei Neupack nicht nur ein Murat, sondern viele Murats arbeiten. Kämpfende Belegschaften haben nur dann eine Chance, sich gegen ihre Ausbeuter und deren Komplizen durchzusetzen, wenn sie sich die geistigen und praktischen Fertigkeiten aneignen, die es für den Kampf bedarf. Eine Mannschaft braucht nicht nur einen Kapitän, sondern viele Kapitäne, auch wenn nicht alle die Spielführerbinde tragen.
Darüber hinaus müssen, und das hat der Streik bei Neupack eindrucksvoll gezeigt, klassenkämpferische Kolleginnen und Kollegen heute mindestens an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen. Einerseits müssen sie sich in den Betrieben und in Gewerkschaften zusammenschließen, um der herrschenden Klasse auf Augenhöhe entgegentreten zu können. Sie müssen sich also selbständig von unten organisieren, um – wie Marx schrieb – zumindest die alltägliche Ausbeutung auf das Normalmaß zurückzufahren. Andererseits müssen sie sich heute noch mehr als vielleicht jemals zuvor auch in den Gewerkschaften organisieren, um gegen die Sozialdemokratie und die sozialpartnerschaftliche Strategie ihrer Führung in Wort und Tat eine klare Alternative zu bilden. Hin und wieder gegen die Sozialpartnerschaft zu wettern und sie dann doch in der Praxis mitzutragen, ist ausdrücklich zu wenig. Wir brauchen nicht noch mehr Lippenbekenntnisse oder eine Rückkehr zu den Trade Unions der Arbeiteraristokratie, die Marx und Engels bereits im 19. Jahrhundert zurecht verspotteten. Wir brauchen eine andere gewerkschaftliche Praxis.
Diese kann man auch in Zukunft bei Neupack erproben. Niemand muss also die Füße still halten. Dafür muss aber klar sein und auch der Gewerkschaftsführung klar gemacht werden, dass die Kolleginnen und Kollegen nicht bereit sind, weitere Opfer in ihren eigenen Reihen in Kauf zu nehmen. Und in einem Punkt bin ich mir wirklich sicher: Die AktivistInnen des Solikreises werden die ersten sein, die euch zur Hand gehen, wenn es zur Sache gehen soll.
In diesem Sinne wünsche ich uns einen schönen Abend und natürlich, dass es nicht der letzte Arbeitskampf mit euch bei Neupack gewesen ist!

Danke für eure Aufmerksamkeit!

Zum Ende des Neupack-Streiks

„Dieser Kampf hat sich gelohnt – eine neue Zeit beginnt!“
So lautet die Überschrift im Streik-Info 62 der IG BCE-Führung und ist ein Zitat von Ralf Becker, dem Leiter des IG BCE-Bezirks Nord. Vielleicht wird es bei der Belegschaft zum geflügelten Wort wie schon der Satz des Vorsitzenden der IG BCE, Michael Vassiliadis: Wir werden an Neupack ein Exempel statuieren – koste es, was es wolle!

Was nicht erwähnt wurde in dem Streikinfo, ist die Ausgangsforderung: Wir wollen einen Tarifvertrag. Von diesem Ziel hat sich die Gewerkschaftsführung stillschweigend verabschiedet. (mehr…)

Zusammen Kämpfen? Über die Ausweitung von proletarischen Kämpfen

Ein Abend mit labournet.tv
Donnerstag 27. Juni * 19 Uhr * Centro Sociale Sternstraße 2 * 20357 Hamburg

In den letzten Jahren gab es viel Unruhe und Revolution. Wir wollen uns anschauen, wie sich in diesen Kontexten betriebliche Kämpfe ausgeweitet haben und umgekehrt soziale Bewegungen in Kämpfe am Arbeitsplatz eingegriffen haben. Drei Beispiele wollen wir untersuchen:
- Occupy Oakland und die Kommune von Oakland – als die Occupy Bewegung in Zusammenarbeit mit Hafenarbeiter_innen im Dezember 2011 die Häfen an der US- amerikanischen Westküste blockiert hat
- die Arbeiter_innenkämpfe in der Textilfabrik im ägyptischen Mahalla und ihre katalytische Funktion für die Revolution
in Ägypten, die ihrerseits wiederum eine Welle von Streiks im ganzen Land ausgelöst hat und bis heute migrantische Kämpfe in Europa befeuert;
- Aufstand in der Türkei: wir waren in der zweiten Juniwoche 2013 in Istanbul, um zu verstehen, welchen Anteil Arbeiter_innenkämpfe an den landesweiten Protesten gegen die Regierung Erdogan haben; (mehr…)

Im Schneckentempo zur Einigung

Artikel aus der jungen Welt vom 7. Juni 2013:

Der Streik beim Hamburger Verpackungshersteller Neupack läuft schon im achten Monat. Ein Ende ist nicht in Sicht
Von Wladek Flakin

Der Streik beim Hamburger Verpackungshersteller Neupack läuft bereits im achten Monat. Am letzten Maiwochenende hatte die gewerkschaftliche Streikinfo verkündet, man komme voran – im »Schneckentempo«. Am Donnerstag voriger Woche hieß es dann, daß »nur noch ein kleiner Schritt« fehle, bis die lang ersehnte Einigung für die rund 200 Beschäftigten in Kraft trete.

An diesem Tag währte ein Verhandlungsmarathon 14 Stunden. Die Streikenden waren zu einer Mitgliederversammlung eingeladen, um das Ergebnis der Gespräche zu erfahren, mußten aber wieder gehen, während die Gespräche noch liefen – schließlich begann die Frühschicht am Freitag um sechs Uhr. Der Betriebsrat und die Vertreter der Eigentümerfamilie von Neupack, die Krügers, verhandelten über 200 Fragen der Eingruppierung. Die IG BCE saß wie bisher am Tisch, doch der mittelständische Betrieb weigert sich weiterhin, offiziell mit der Gewerkschaft zu sprechen.

Den Angaben zufolge sollten nur noch »Details« geklärt werden, aber die Gewerkschaft verriet nicht, welche. Ein Streikender sagte gegenüber jW, daß der Betriebsratsvorsitzende Murat Günes weiterhin nicht in das Maßregelungsverbot einbezogen wird, demzufolge Beschäftigten keine Nachteile dadurch entstehen dürfen, daß sie dem Streikaufruf der Gewerkschaft gefolgt sind. Das Unternehmen wirft Günes vor, am ersten Streiktag eine Körperverletzung begangen zu haben. Die Gewerkschaft möchte diese Frage vor Gericht austragen, anstatt per Streik den Verzicht auf eine Anklage zu erzwingen.

Verhandelt wird jedenfalls nicht über einen Branchentarifvertrag und auch nicht über einen Haustarifvertrag, sondern lediglich über eine Betriebsvereinbarung. Das ist mehr als ein begrifflicher Unterschied: Während die Einhaltung eines Tarifvertrags kollektiv eingeklagt werden kann, müßte bei einer Betriebsvereinbarung jeder Kollege individuell gegen Verstöße klagen. Und da die Gewerkschaft nicht Vertragspartner einer Vereinbarung ist, könnte ein neu zusammengesetzter Betriebsrat sie einfach kündigen. Die Krügers arbeiten offenbar darauf hin, daß die Gewerkschaftsmitglieder bei den nächsten Wahlen die ohnehin schon knappe Mehrheit im Betriebsrat verlieren.

Der Solidaritätskreis für den Neupack-Streik, der seit dem 1. November letzten Jahres den Streik unterstützt, erinnerte in einer Stellungnahme daran, daß die IG BCE schon öfter ein baldiges Ende des Streiks verkündete. »Noch ein kleiner Schritt«, hieß es unlängst. Zuvor aber immer wieder ähnlich lautend: »Großer Teil des Paketes geschnürt«, »Durchbruch erzielt«, »Vertrag bis Ostern« und »Schritt nach vorn«. Der streikende Kollege erwartet kein baldiges Ende der Verhandlungen, da nicht mal ein Termin für die nächste, angeblich letzte Verhandlungsrunde anstehe.

Vom 1. November 2012 bis zum 23. Januar 2013 hatte die Gewerkschaft einen Vollstreik organisiert, der das Unternehmen in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten brachte. Seit dem 24. Januar läuft nur noch ein sogenannter Flexi-Streik, der in der Praxis bedeutet, daß die Gewerkschaft nur noch an einigen wenigen Tagen pro Monat zum Streik aufruft, so daß die Kollegen fast durchgehend arbeiten, die Lager wieder auffüllen und die neu eingestellten Streikbrecher anlernen müssen. Wegen des fehlenden ökonomischen Drucks hat das Unternehmen auch keine Eile, eine wie auch immer geartete Vereinbarung zu unterschreiben.

Beim Standort in Hamburg-Stellingen war die Streikbeteiligung in den letzten Monaten mit 50 Kollegen konstant hoch. Am Standort Rotenburg war sie hingegen um fast die Hälfte eingebrochen. Zehn Kollegen haben im Laufe des Streiks andere Arbeitsplätze gefunden.