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Ein Gespenst geht um …

erstellt von dave — zuletzt verändert: 28.06.2011 13:44
Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer - gern auch `Offshoring´ genannt - ist seit einiger Zeit in aller Munde. Artikel von Dave Hollis - Erschienen im Computer - Fachzeitschrift für Betriebs- und Personalräte vom 7/2004

Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer - gern auch `Offshoring´ genannt - ist seit einiger Zeit in aller Munde. Die Pläne bei Siemens, Arbeitsplätze zu verlagern, könnte - so sieht es der Gesambetriebsrat - zum Verlust von 74000 Jobs in Deutschland führen.

Nicht nur Deutschland ist von solchen Entwicklungen betroffen. Offshoring ist ein globales Phänomen. In Frankreich heißt es `Délocalisation´ und es wird bevorzugt nach Mauritius und Marokko verlagert. Spanische Firmen gehen nach Lateinamerika. In den USA wurde die Produktion zuerst nach Mexiko und anschließend nach China verlegt. Jetzt sind die IKT-Arbeitsplätze an der Reihe und die gehen - wie in Deutschland auch - vor allem nach Indien.

Globalisierung und die Folgen

Auch wenn die Einschätzungen über das mögliche Ausmaß der Offshoring-Folgen schwanken, prinzipiell ist es so, dass alle Arbeiten, die nicht vor Ort gemacht werden müssen, verlagert werden könnten. Dies gilt auch und insbesondere für Arbeitsplätze in der IKT-Industrie: Ein leitender Angestellter einer globalen Outsourcing-Firma, der für eine `typische´ Bank in Philadelphia, USA, eine Untersuchung erstellt hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass 85 Prozent aller dortigen Arbeitsplätze - von Low- bis High-Tech - verlagert werden könnten ...

Nun ist die Verlagerung von Arbeitsplätzen nichts Neues. Schon im 18. und 19. Jahrhundert wurde die indische Textilindustrie durch britisch-imperialistische Politik absichtlich kaputt gemacht, um Arbeitsplätze in England aufbauen zu können. Und einen (oft aggressiven) Welthandel gibt es seit über fünfhundert Jahren. Heute aber leben wir in einer global vernetzten Welt - und das macht den entscheidenden Unterschied aus. Denn weltweit vernetztes Arbeiten erlaubt es dem Kapital, seine Einzelaktivitäten - wie zum Beispiel Entwicklung, Produktion und Logistik - arbeitsteilig und koordiniert über den ganzen Globus zu verteilen.

Und wir leben in einem System globaler Märkte, Konzerne und Institutionen, das die nationalen Grenzen längst überschritten hat. Dies gilt auch für vermeintlich `deutsche´ Konzernen wie Siemens: In Deutschland beschäftigt der Konzern nur noch 41 Prozent der weltweit 417000 Beschäftigten und vom Umsatz werden lediglich noch 23 Prozent in Deutschland erzeugt.

Dabei heißt Globalisierung natürlich nicht nur, dass Arbeitsplätze und Güter exportiert werden. Es geht auch in die andere Richtung: Nach Erhebungen der Deutschen Bundesbank gab es 2001 Direkt-Investitionen aus dem Ausland hier in Deutschland in Höhe von 277 Milliarden Euro - der größte Investor waren die USA mit 60,5 Milliarden. Welche Auswirkungen das für die Beschäftigung in Deutschland hat(te), kann nur gemutmaßt werden. Für die USA jedoch gibt es konkrete Zahlen: Dort werden 6,4 Millionen Amerikaner von ausländischen Firmen beschäftigt.

Auch die Frage von Beschäftigung und Bezahlung ändert sich in einer `globalen Welt´. Wenn Arbeit fast nach Belieben hin und her verlagert werden kann, entsteht eine weltweite Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt - mit der Folge eines `Wettlaufs nach unten´. Regierungen versuchen ihre Länder wirtschaftlich attraktiv zu machen, indem sie die soziale Infrastruktur abbauen und die Arbeitsmärkte `flexibilisieren´.

Diese Konkurrenz wird durch das weltweite Defizit an Jobs noch verschärft. Der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge sind zurzeit mehr Menschen arbeitslos als je zuvor - 188 Millionen weltweit. Dazu kommen die `working poor´ (die arbeitenden Armen), 550 Millionen an der Zahl, die ihre Arbeitskraft für nicht mehr als einen Dollar pro Tag verkaufen müssen.

Offshoring von Computerarbeit

Die Marktforscher von Forrester schreiben in ihrem neuen Offshoring-Bericht, dass allein in 2004 588000 amerikanische Jobs ins billigere Ausland verlagert werden. Für die Software-Entwicklung, bei Call-Centern und sogar für schlichte Bürotätigkeiten wird für 2005 mit einem Verlust von 830000 Arbeitsplätzen gerechnet - das wären 40 Prozent mehr als für 2004 prognostiziert.

Welche Änderung des Bildes: Noch vor ein paar Jahren wurde in den `entwickelten´ Ländern händeringend nach IKT-Fachkräften gesucht. Die Firma, für die ich arbeite, graste auf der Suche nach geeigneten Menschen die ganze Welt ab - einige `Green-Cardler´ wurden auch tatsächlich geholt. Jetzt aber geht es anders herum: Die Arbeit wird zu den Fachkräften gebracht.

In einer global vernetzten Welt ist dies nicht schwer. Die dafür benötigte Infrastruktur ist vorhanden oder leicht zu schaffen. Räume, Netzanschlüsse und Rechner sind die Hauptinvestitionen und nicht besonders teuer. Und auch wenn viele es schlecht reden wollen: die Verlagerungen sind in der Regel erfolgreich.

In Bangalore, Indien, gibt es ein Software-Programmier-Zentrum, das unter anderem für Microsoft, Digital, Fujitsu, Bull, Olivetti, Oracle, IBM und Motorola arbeitet - zur Hälfte der in den Auftraggeber-Ländern üblichen Preise.

Wirtschaftliche Argumente, die gegen Offshoring sprechen, gibt es also nicht - der Preisunterschied ist einfach zu groß. Daran ändert auch nichts, dass die IG Metall in ihrer Offshoring-Broschüre (…genauer Titel usw.?…) den Versuch unternimmt, dem Kapital zu zeigen, dass sie besser rechnen kann. Selbst wenn die dort aufgeführten Kosten, die die Konzerne angeblich vergessen haben, stimmen sollten, so fallen sie in der Regel doch nur einmal an. Letzten Endes aber überwiegen die niedrigen Lohnkosten - zumal im Software-Bereich, wo sie den Hauptanteil ausmachen. Mittlerweile gibt es sehr viele Beispiele, die deutlich zeigen, dass es sich lohnt, Offshoring zu betreiben.

Auch die Frage der Qualifikation sticht nicht. Es hat wenig Sinn, wenn man als Argument gegen das Offshoring auf die Vorteile `gut ausgebildeter´, `hoch-qualifizierter´ westlicher Arbeitskraft setzt - die gibt es in den Ländern, in die verlagert wird, schon längst und in hoher Zahl. Wenn SAP im indischen Bangalore eine Stelle ausschreibt, dann bewerben sich darauf 6000 Menschen ... Und nicht zu Unrecht weist ein indischer Reporter darauf hin, dass Indien bereits jetzt der weltweite Marktführer in Sache Software-Design und -Entwicklung sei.

Standortdenken gegen Solidarität

Wer angesichts dieser Situation auf angeblich übersehene Kosten oder unsere ach so hohe Qualifikation setzt, will die Tatsache der Globalisierung nicht zur Kenntnis nehmen. In den Kategorien eines `Landes´ oder - schlimmer noch - eines `Standorts´ zu denken, gehört jedoch zum Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts und kann heute keine Rolle mehr spielen. Der Kapitalismus ist weiter fortgeschritten, die `Standortverteidiger´ (die Gewerkschaften zählen dazu) sind stecken geblieben ...

Wie gefährlich ein solches Denken werden kann, sieht man exemplarisch vor allem dann, wenn Offshoring (gewerkschaftlich) bekämpft werden soll. Die amerikanische Gewerkschaft Washtech beispielsweise arbeitet dabei gern mit `Rescue American Jobs´ zusammen, einer Organisation, die sich über eine Website organisiert. Eine der Parolen dieser Organisation ist: "American Jobs for Americans!" - was nicht von ungefähr an Slogans erinnert wie: "Deutsche esst deutsche Bananen!" Leider ist das, was man bei deutschen Gewerkschaften findet, oft nicht viel substanzreicher.

In Wahrheit werfen solche Diskussionen und Parolen die `Solidaritäts´-Frage auf - und zwar im globalen Maßstab! Das Denken, Argumentieren und Handeln in den Kategorien von Standort und Nation bedeutet, einen Teil der globalen Arbeitskraft gegen einen anderen, eine Bevölkerung gegen die andere auszuspielen, während das Kapital längst global denkt und handelt - als der Dritte, der sich freut, wenn zwei sich streiten. Es genügt nicht, bei passender Gelegenheit von `internationaler Solidarität´ zu reden, sie muss unverrückbare Grundlage gewerkschaftlicher Aktivitäten sein - auch und gerade dann, wenn es einmal schwierig wird.

Hinter diesem nationalen und manchmal rassistischen Denken steckt - neben der abwegigen Hoffnung etwas damit bewirken zu können - der Irrglaube, dass die Arbeitsplätze, die da verlagert werden, eigentlich die `unseren´ seien. Das jedoch waren sie nie.

Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, um Profit daraus zu ziehen - nicht aus sozialen Gründen. Und wenn irgendwo anders mehr Profit erzielt werden kann, werden die Jobs dorthin verlagert. Das ist schon immer so gemacht worden und es geschieht auch jetzt - nur unter massiv veränderten Bedingungen und mit bisher unbekannten Möglichkeiten. In jedem Fall aber sind es die Unternehmen, die dies veranlassen und nicht die ausländischen Beschäftigten, die gegenwärtig (und oft nur vorübergehend) davon profitieren.

Offshoring ist deshalb ein `natürlicher´ Teil der Globalisierung. Es sind genau die durch globale Netzwerke entstandenen Fähigkeiten und Voraussetzungen, die Offshoring erst ermöglichen. Dabei sind die Regierungen, sind wir alle auf lokaler und nationaler Ebene von der Globalisierung überholt worden und der `Barmherzigkeit´ des Weltmarkts, der globalen Konzerne und Institutionen überlassen. Es gibt nicht einmal einen globalen Staat, gegen den man eine Revolution anzetteln könnte.

Was bleibt ...

Die `Globalisierung von oben´ muss mit einer `Globalisierung von unten´ beantwortet werden!

Das wichtigste Mittel dabei wird für `Oben´ wie für `Unten´ das gleiche sein: die weltweite Vernetzung, das Internet. Die letzten Hürden, dieses Mittel global und `von unten´ zu nutzen, werden schon bald verschwunden sein. Der Social Science Research Council schreibt dazu, "dass wir gegenwärtig in einer Welt leben, wo fast jeder, der in einem städtischen Zentrum lebt, seine Botschaft global mit einem unbegrenzten Empfängerkreis für einige Dollar im Internet-Café teilen kann. Der Zugang ist nicht mehr oder wird nicht länger der Stolperstein für die Kommunikation der Organisationen der Zivilgesellschaft sein. Das viel dringendere Bedürfnis für die Zivilgesellschaft besteht darin, einen angemessenen Umgang mit der Netzwerktechnik, zu der jetzt Zugang besteht, zu erlernen, sie zu biegen und modellieren, so dass sie mehr strategisch und politisch" genutzt werden kann.

Wo eine solche Reise hingehen könnte, ist ungewiss - keine Frage. Das Offshoring zu stoppen wird nicht gelingen und kann wohl auch gar nicht unser Ziel sein.

Die Veränderungen dieser Welt so zu gestalten, dass die Fragen der Menschenrechte, einer annehmbaren Bezahlung und erträglicher Arbeitsbedingungen mit globaler Perspektive Berücksichtigung finden oder in vielen Fällen überhaupt erst einmal gesehen werden - das wäre schon mal ein Anfang. Und dieses Umdenken muss vor allem in den hoch-entwickelten, den reichen Ländern beginnen - auch wenn es schwer fällt und auch wenn viele Fragen noch offen bleiben. Erste Antworten sind zu finden unter www…

Weitere Informationen:

Anmerkungen zum Offshoring / Notes On Offshoring (von David Hollis)

Offshore - total global? IG Metall

Strategie in einem zunehmend globalen Arbeitsmarkt (Andrew Bibby, ver.di)

Genauso kompetent, hoch motiviert, billiger und weniger Urlaub ; telepolis 28.2.2004

Unsere Wirtschaft, IHK Lüneburg-Wolfsburg, 7-8/2003

IT-Offshoring - ein internationaler Problemaufriss aus gewerkschaftlicher Sicht (von Gerd Rhode, Union Network International)

Outsource This! American Workers, the Jobs Deficit and the Fair Globalization Solution; North American Alliance for Fair Employment,

Appropriating the Internet for Social Change; Social Science Research Council

K. Hirschfeld: `Jobs in Bewegung´; in cf 5/04 ab Seite 4

(2) Kommentare

Anonymer Benutzer 28.06.2011 13:44
"Die Veränderungen dieser Welt so zu gestalten, dass die Fragen der Menschenrechte, einer annehmbaren Bezahlung und erträglicher Arbeitsbedingungen mit globaler Perspektive Berücksichtigung finden oder in vielen Fällen überhaupt erst einmal gesehen werden - das wäre schon mal ein Anfang. Und dieses Umdenken muss vor allem in den hoch-entwickelten, den reichen Ländern beginnen - auch wenn es schwer fällt und auch wenn viele Fragen noch offen bleiben."

Hallo Dave,

hab Deinen Beitrag mit großem Interesse gelesen. Der oben zitierte Schluß kommt mir jedoch schon als Widerspruch zu den vorher analysierten Sachverhalten und Schlußfolgerungen vor (wie ich sie sehe).

1. Staaten stellen sich der welweiten Standortkonkurrenz mit Verarmungsprogrammen für ihr Volk:

"Wenn Arbeit fast nach Belieben hin und her verlagert werden kann, entsteht eine weltweite Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt - mit der Folge eines `Wettlaufs nach unten´. Regierungen versuchen ihre Länder wirtschaftlich attraktiv zu machen, indem sie die soziale Infrastruktur abbauen und die Arbeitsmärkte `flexibilisieren´."


2. Absage an den Nationalismus ein Gebot für Arbeitnehmer weltweit

"Das Denken, Argumentieren und Handeln in den Kategorien von Standort und Nation bedeutet, einen Teil der globalen Arbeitskraft gegen einen anderen, eine Bevölkerung gegen die andere auszuspielen, während das Kapital längst global denkt und handelt - als der Dritte, der sich freut, wenn zwei sich streiten....Hinter diesem nationalen und manchmal rassistischen Denken steckt - neben der abwegigen Hoffnung etwas damit bewirken zu können - der Irrglaube, dass die Arbeitsplätze, die da verlagert werden, eigentlich die `unseren´ seien. Das jedoch waren sie nie."

3. Kalkulation für den Profit: Grund für die Schädigung der abhängig Beschäftigten-weltweit

"Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, um Profit daraus zu ziehen - nicht aus sozialen Gründen. Und wenn irgendwo anders mehr Profit erzielt werden kann, werden die Jobs dorthin verlagert. Das ist schon immer so gemacht worden und es geschieht auch jetzt - nur unter massiv veränderten Bedingungen und mit bisher unbekannten Möglichkeiten. In jedem Fall aber sind es die Unternehmen, die dies veranlassen und nicht die ausländischen Beschäftigten, die gegenwärtig (und oft nur vorübergehend) davon profitieren."



Aus diesen Thesen/Erklärungen soll jetzt die anfangs zitierte Passage zu "Was bleibt " folgen?

Das kommt mir schon ein bißchen wie ein Billigangebot vor: die Therapie passt nicht so recht zur Diagnose.

Auf Dein Bedauern "Es gibt nicht einmal einen globalen Staat, gegen den man eine Revolution anzetteln könnte." möchte ich mal fragen: Reichen die nationalen nicht auch?

Ein Gespenst geht um … muß vom Wunsch zur Wirklichkeit werden. Sonst bleiben sowohl die anerkannten wie die nicht anerkannten Kostenfaktoren zur Armut verurteilt!
Anonymer Benutzer 28.06.2011 13:44
Vielleicht solltest Du den Text lesen, der hier auch zu finden ist: "From corporate globalisation to a global social solidarity unionism". Vielleicht sind einige Fragen damit geantwortet.

Dave